Fremde (Füll-)Federn

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Den Volksschülern wird es gleichsam hinter die Ohren geschrieben. Den Hauptschülern auch. Nur künftige Minister scheinen es nicht verinnerlichen zu wollen, dass man nicht abschreibt.

Für den materiellen Diebstahl, und sei es aus Not jener einer Wurstsemmel, stehen in unseren Breitengraden tagtäglich Täterinnen und Täter zu Recht vor Gericht. Der geistige Diebstahl aber, der um keinen Deut weniger kriminell ist, wird heute noch immer als eine Art Kavaliersdelikt mit Achselzucken abgetan. In letzter Zeit mehren sich erfreulicherweise die Zeichen für einen Paradigmenwechsel. Bald wird niemand mehr ungestraft nach der Devise Copy and paste zu akademischen Ehren - und vor allem Titeln - gelangen können.

Betroffen sind von den akademischen Unehren des Titelentzugs meist Politikerinnen und Politiker, denen nicht immer der Gegner am Zeug flicken will, sondern Ranghöhere, an deren Sessel die Frau Doktorin oder der Herr Doktor zu auffällig und heftig sägen. Wir müssen uns nur daran erinnern, wie hoch der Beliebtheitsgrad des Freiherrn von und zu unter bundesdeutschen Wählerinnen und Wählern war. Offensichtlich so hoch, dass ihn Parteiobere einerseits für gefährlich und andererseits für einen Säger am Sessel der Chefin hielten.

Andere Länder, andere Sitten …

In Österreich hat ein ehemaliger Bundesminister, bezeichnenderweise ein solcher für die Wissenschaft, der sich heute auf europäischer Ebene verdingt, die Kurve gekratzt. Das heißt, dass sich der Dr. phil. das Drucken neuer Visitenkarten ersparen konnte. In Ungarn musste Pál Schmitt als Staatspräsident gehen, in Rumänien hingegen bleibt Victor Ponta als Premierminister im Amt, obwohl der Plagiatsnachweis ausreichend erbracht wurde. Andere Länder, andere Sitten. EU hin oder her …

In Deutschland weht, wie immer, ein anderer, weil rauerer Wind. Ein Minister, wie gerade festgehalten, und eine Ministerin des Kabinetts Doctoris Merkel sowie eine Europa-Politikerin anderer politischer Färbung, Silvana Koch-Mehrin, die immer wieder als Polit-Hoffnung apostrophiert wurde, mussten im wahrsten Sinn des Worts resignieren. Bevor dies in unseren Gefilden der Fall wäre, müsste man den Damen und Herren wahrscheinlich den Volksschulabschluss aberkennen … Und das meine ich beileibe nicht pointiert.

Die beiden Merkel-Minister, denen der Doktor zum Verhängnis wurde, kennt inzwischen jeder halbwegs politikinteressierte Zeitgenosse. Zuerst musste wegen des wissenschaftlichen Betrugs Karl-Theodor zu Guttenberg sein Amt als Verteidigungsminister niederlegen, und kürzlich hat es Annette Schavan, Bildungsministerin(!), erwischt. Doch die-se Dame will um ihren vor 33 Jahren erworbenen Doktortitel kämpfen, obwohl die Universität Düsseldorf der interessierten Öffentlichkeit wortwörtlich mitgeteilt hat, in Schavans Arbeit seien "in bedeutendem Umfang nicht gekennzeichnete wörtliche Übernahmen fremder Texte zu finden“.

Doctor honoris causa

Und der Treppenwitz der Geschichte? Die Universität Lübeck wird der ehemaligen Bundesbildungsministerin ein Ehrendoktorat verleihen. Schon allein aus Fairnessgründen ist festzuhalten, dass die zu Ehrende der Universität angeboten hat, "über die Verleihung der Ehrendoktorwürde noch einmal neu zu befinden“, wofür die Universität aber "keine Veranlassung“ sah. Nun wird nur die akademische Feierstunde von April auf einen unbestimmten Zeitpunkt verschoben.

Ein Wort sei auch noch zu Guttenberg festgehalten. Seine Dissertation hatte in Buchform - sie ist in einem bedeutenden deutschen Wissenschaftsverlag erschienen - einen Umfang von einigem mehr als vierhundert Seiten und damit die Kubatur eines Ziegelsteins. Natürlich ist das Buch über Nacht und wenig überraschend aus dem Programm des Verlags verschwunden. Deshalb ein Tipp: Wer trotz allem die unbändige Lust verspürt, das Werk (Guttenberg kann man fast nicht sagen) zu lesen oder gar zu studieren, surfe auf den Antiquariats-Internetseiten und bestelle das dicke Buch. Und zum Tipp eine Warnung: Die Preise für den Band sind nach der öffentlichen Erregung nicht unerheblich.

Allenthalben wurde argumentiert, "der Fall Schavan liegt über dreißig Jahre zurück und ist damit rechtlich und moralisch verjährt“. Zum Vergleich wurde festgehalten, dass in der Bundesrepublik Deutschland die Strafbarkeit der Steuerhinterziehung nach längstens 13 Jahren verfalle und der Fiskalsünder nicht einmal etwas nachzahlen müsse. Rechtlich ist es nun in unserer ziemlich strengen Nachbarrepublik tatsächlich so, dass Anlassfälle für Verwaltungssachen nach dreißig Jahren ablaufen, es sei denn die Frist wird wegen "neuer Umstände“, "nova producta“, wie es im Juristendeutsch heißt, gehemmt.

Der Freiherr als Rekordhalter

Welche neuen Umstände nach der Approbation einer Doktorarbeit auftreten können, würde mich interessieren. In diesem Sinn halte ich Schavans Ankündigung für ihren Titel - mit Rechtsmitteln - kämpfen zu wollen, für nicht offenbar absolut mutwillig. Jedoch für moralisch reinweg bedenklich.

Dabei ist aus Gründen der Objektivität noch zweierlei zu erwägen. Erstens hatte die Doktorandin Schavan zwei Begutachter, denen jedenfalls zur Last zu legen ist, dass sie die Arbeit zu wenig ernsthaft oder genau geprüft haben. Das Wort Dissertationsbetreuung war auch vor 33 und mehr Jahren keine Worthülse, sondern ein akademischer Auftrag, dem die Professoren nachzukommen hatten und für den sie entlohnt wurden. Und zweitens, dies fällt wiederum allein der abschreibfreudigen Dissertantin zur Last, gibt es nachvollziehbare Zitierregeln nicht erst seit gestern, nämlich dem Beginn des Google-Zeitalters.

Die Zitierregeln haben sich, konkret gesagt, in den letzten Jahrzehnten nicht wirklich geändert, nur macht das Internet mit seinen Suchmaschinen heute eine Überprüfung leichter oder überhaupt erst richtig möglich. Die Frage ist bloß, ob jemand die Zitierkultur respektiert und wissenschaftlich anständig arbeitet oder nur darauf aus ist, seinen Namen mit einem akademischen Bestandteil zu schmücken.

Und auch bei diesem Anstand gibt es noch bemerkenswerte Nuancen. Salopp gesagt, hat Anette Schavan dem Vernehmen nach "nur“ dreißig Prozent "abgeschrieben“, Guttenberg hingegen, man glaubt es kaum, sage und schreibe, 94, in Worten: vier-und-neunzig! Oder um eine Spur wissenschaftlicher ausgedrückt: Bei vierundneunzig Prozent der Seiten fehlen die korrekten Verweise auf fremdes Gedankengut. Wahrscheinlich ein einsamer Rekord in der akademischen Landschaft.

Der Autor ist Jurist, Schriftsteller und lehrt an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt / Univerza v Celovcu. Demnächst erscheint seine Monographie "Die Parenzana“ (Styria Verlag, Wien-Graz)

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