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Fremdenverkehr mit Prinzipien

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Die Dämpfung des Fremdenverkehrs im Jahre 1967 hat weit über die eigentlichen Wirtschaftskreise hinaus einen Schock verursacht, der tiefe Nachwirkungen zeigt. Man hat, allerdings mehr gefühlsmäßig als mit Hilfe umfassender wirtschaftlicher Untersuchungen, erkannt, daß es sich bei dem Rückschlag um mehr als um eine kleine Konjunktureinbuchtung handelt, und wittert nun mit einigermaßen nervöser Reaktion überall Gefahren für die weitere Entwicklung. Diese Überängstlichkeit ist jedoch nicht durch kommerzielle Überlegung gedeckt, sondern nur das Ergebnis einer langen Konjunkturverwöhnung, die sich an einem linearen Wachstum orientiert und nicht mehr mit dem Risiko und dem Auf und Ab jeder wirtschaftlichen Betätigung vertraut ist.

Außerdem — und das muß man offen aussprechen — sind die heute so sehr angebeteten statistischen Unterlagen gerade auf dem Gebiet des Fremdenverkehrs nicht dazu angetan, Anlaß zu Freuden- oder Verzweiflungsausbrüchen zu sein.

Die „Wende”?

Aber auch wenn wir den Rückschlag nur mit Vorbehalt betrachten, bleibt ein Rest zum Nachdenken. Das Institut für Wirtschaftsforschung spricht in seinem Jahresbericht 1967 immerhin von einer „Wende” und sucht die Ursachen in einer ermatteten Reiselust. Der Rückgang der Ausländernächtigungen um 3,3 Prozent, insbesondere ein Abfall des deutschen Anteils um 4,2 Prozent gegenüber dem Vorjahr, beweist doch, daß finanzielle Überlegungen sicherlich allein nicht ausschlaggebend waren, denn gerade während der rezessiven Entwicklungen hätte das billige Reiseland Österreich seine Anziehungskraft voll entfalten müssen.

Statt dessen hat das teure Fremdenverkehrsland Schweiz eine Zunahme um 0,6 Prozent zu verzeichnen, und in Österreich haben die besser ausgestatteten und dementsprechend teuren Quartiere mehr Erfolg gehabt als vor allem die billigen Privatquartiere, die einen Verlust von 1,2 Millionen Ausländernächtigungen aufwiesen. Schon diese Zahlen zeigen, auch wenn man ihnen nur bedingten Wert zuerkennen mag, daß es vollständig verfehlt wäre, hier „Schuldfragen” aufzurollen und daß es ebenso falsch wäre, gedankenlos die Hände in den Schoß zu legen. Ebenso ungeschickt wäre es, etwa jetzt alles Heil bei der Werbung zu suchen, ohne an die Substanz zu denken. Das Institut für Wirtschaftsforschung sieht im langfristigen Trend sowieso wieder eine wachsende Kurve in unserem Fremdenverkehr kommen, womit freilich keine Anregung zu tatenloser Schicksalsgläubigkeit gegeben sein soll: in der Wirtschaft ist alles nur Ergebnis von Nachdenken und Arbeiten.

Ein Stiefkind

Wenn wir eine Lehre aus dem Rückschlag von 1967 ziehen wollen und sollen, dann kann es nur eine Selbsterkenntnis sein, die sich zunächst und in erster Linie auf Österreich als Ganzes bezieht. Gestehen wir uns doch endlich einmal ein, daß Österreich eben ein solches Fremden - verkehrsland ist und daß der Fremdenverkehr nicht bloß eine Randproduktion unserer Wirtschaft ist, die man im Grunde nur verschämt zur Kenntnis nimmt. In gewissen wirtschaftenden Schichten betrachtet man jedoch noch immer die Schwerindustrie als die „heilige Kuh”, als das Idol der Wirtschaft schlechthin, obwohl dieser Wirtschaftszweig längst auf drittklassige Bedeutung zurückgesunken ist, und sieht verächtlich auf das Fremdenverkehrsgewerbe herab. Ein anderer beachtlicher Teil der Bevölkerung rümpft die Nase über das „unwürdige Kellnerdasein” Österreichs, das mit der großen Vergangenheit nicht vereinbar sei. Kurz, man steht etwas zwiespältig dem Fremdenverkehr gegenüber, was sich in den ganzen Jahren der automatischen Konjunktur in der geringen Anteilnahme der öffentlichen Hand am deutlichsten niedergeschlagen hat.

Was nottut

Das Institut für Konjunkturforschung leitet aus dem Mißerfolg des vorigen Jahres die Folgerung ab, daß es in Zukunft nicht auf Kapazitätsausweitungen ankommt, sondern auf qualitätssteigernde Investitionen. Sagen wir offen, wenn wir überhaupt eine Lehre ziehen wollen, daß noch etwas viel nötiger ist: nämlich eine Mentalitätsänderung! Der Fremdenverkehr darf nicht dauernd als ein Aufbesserungsmittel der Zahlungsbilanz und als Trinkgeldquelle betrachtet werden. So etwas bleibt auf die Dauer auch dem Gast nicht verborgen und verstimmt zuletzt. Das, was not tut, ist die allgemeine Mentalität eines Landes der Gastfreundschaft, was z. B. bedeutet, daß man sich auch gegenüber Diplomatenkindern anderer Hautfarbe zu benehmen weiß. Man muß sich klar sein, daß die Fremdenverkehrswirtschaft von der Mundpropaganda lebt und eine einzige Anpöbelung eines Fremden mehr Schaden stiftet, als zehn teure Plakate wieder gut machen können. Die Unechtheit einer Mentalität spricht sich nämlich wie ein Steppenbrand herum.

Gastfreundschaft ist gar nicht so leicht zu üben, sie ist eine sehr schwere und auf innerer Diszipliniertheit beruhende Aufgabe, die schon in der Schule Erziehungsgegenstand sein muß.

Mit der allgemeinen Grundeinstellung auf den Gast — gemeint ist die Haltung der gesamten Öffentlichkeit und nicht nur jene der Bettenvermieter — ergibt sich aber auch eine umfassende Umorientierung des Qualitätsproblems. Es kommt nicht auf die Vermehrung der Badezimmer arų zumal viele Gäste es sowieso nicht benützen (man denke nur an Fehlinvestitionen dieser Art in manchen Schloßhotels) und die westeuropäischen Erfahrungen die einfache Dusche ausreichend erscheinen lassen.

Der Zauber der „Montur”

Was aber viel dringender erscheint, ist die Schaffung der Atmosphäre Zum Beispiel mit Hilfe von Altstadtsanierungen. Die Romantik, das Photomotiv, der Zauber der Architektur ist Millionen von Fremder wichtiger als Komfort, ja sie nehmen sogar Mühen und Schwierigkeiten auf sich, um eine Altstadt, eir Monument, ein Zeugnis tausendjähriger Geschichte gesehen zi haben. Maßnahmen in diesem Sinne — Entschandelungen, Vermeidung von Verschandelungen usw. — kosten in den einfachsten Bemühungen un Schönheit außer Denkarbeit er staunlich wenig, sie haben abe: zugleich den Vorteil, uns selbst aud einen schöneren Lebensrahmen zigeben. Dazu gehört auch die Befreiung unserer edelsten architektonischen Bezirke vom Autoblech. Was man in Ravenna um Dantes Grabmal kann, muß auch auf dem Wiener Josefsplatz, am inneren Burgplatz oder in der Salzburger Altstadt möglich sein. Ohne jede Hemmung dem Gerümpel unserer Zeit zu erliegen, entspricht nicht echter Gastlandgesinnung.

Auch ein anderes Kapitel, von dem man in der Schweiz, aber auch in Frankreich und Deutschland wenigstens sehr viel redet, während man bei uns nicht einmal auf die diesbezüglichen Mahnungen aus Fachkreisen hinhört, das ist die überwirtschaftliche Erholungsbedeutung des Waldes. Man ist zwar gern bereit, bei jedem Hochwasser oder Sturm wegen des angeblichen Raubbaues an den Wäldern Klage zu erheben, es fällt aber niemand ein, den Erholungsverbrauch an Wald zu bezahlen oder gar etwa die fremdenverkehrswirtschaftliche Bedeutung des Wfaldies in die allgemeine Volkswirtschaftsrechnung einzuführen. Genau das gleiche gilt vom Wasser: der Reinhaltung der Gewässer, dem Schutz der Badestrände, der Bewahrung der Quellen usw. Haben Sie schon die alten Matratzen und Konservenbüchsenlager in den klaren Fluten der Bäche in manchen Kurorten bewundert? Adressen dieser Art Fremdenverkehrsförderung liegen auf. Am Bodenseeufer haben Schulen, Vereine und Gemeinden 1967 systematische Uferreiniigungen durchgeführt. Wo findet man sonst noch eine derartige Anstrengung?

Die Lehre

Es kommt nicht darauf an, daß man die Zahl der Betten ungemessen vermehrt. Man hat an manchen Stellen damit nur das Gegenteil erreicht, nämlich, daß die Fremden überhaupt ausgeblieben sind, weil sie — vor allem bei Regenwetter — nicht zum kasernierten Dasein auf dem Bettrand verurteilt sein wollen. Der Gast sucht Erholung und Romantik, und das erfordert eine Infrastruktur des Fremdenverkehrs, um die man sich bisher noch kaum gekümmert hat. Sie birgt die Grundprinzipien der Fremdenverkehrswirtschaft. Das wäre als Lehre aus der Krise zu gewinnen.

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