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Frömmigkeit im Zwielicht

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Was in Österreich kaum Schlagzeilen wert ist, sorgt in Deutschland für große Aufregung: die Mitgliedschaft bei Scientology. Politiker rufen zum Boykott des Tom-Cruise-Films „Mission Impossible" auf, und in Rayern werden Scientologen vom öffentlichen Dienst ausgeschlossen. Während die einen darin Parallelen zur Judenverfolgung im Dritten Reich ziehen, sprechen sich andere für noch härtere Maßnahmen aus. Im Mittelpunkt der hitzigen Debatte steht die Frage: Wie geht der Staat mit Gemeinschaften um, die sich als Kirche bezeichnen, von Kritikern aber als autoritäres Ausbeutungskartell gesehen werden?

Nach der Verfassung muß die Glaubens- und Gewissens-freiheit eines jeden Bürgers geschützt werden. Aber kann daher jeder tun, was er will, sofern er seine Aktivitäten nur im Raum und im Rahmen seiner Kirche ausübt?

Die Antwort fällt von Land zu Land unterschiedlich aus. In den USA darf der Staat keine religiösen Gesetze erlassen. Es steht dort jedem frei, auch die aberwitzigste Kirche zu gründen. In dem religiösen Supermarkt hat eben auch Scientology einen Platz. Mit diesem Verständnis der Glaubensfreiheit kollidiert die deutsche Innenministerkonferenz, die Scientology eine Organisation nennt, „die unter dem Deckmantel einer Religionsgemeinschaft Elemente der Wirtschaftskriminalität und des Psychoterrors vereint". Im Gegensatz zu Deutschland, Großbritannien, Belgien und der Schweiz hat Osterreich vor einem Jahr Scientology den Status der Gemeinnützigkeit zuerkannt, was die Mitglieder als Quasi-Anerkennung als Religionsgemeinschaft feierten.

Unabhängig von Scientology hält der Zustrom zu neureligiösen Gruppen und als Sekten bezeichneten Bewegungen an. Vor allem zwei Gründe tragen zum großen Erfolg bei: daß sie verkannt und unterschätzt werden. In Österreich sind schon bis zu 600 derartige Kulte aktiv. Die Zahl ihrer Anhänger hat sich in den letzten Jahren auf 200.000 verdoppelt. Die Regierung stand dieser Entwicklung bisher tatenlos gegenüber. Wie kann sie eine weitere Ausbreitung verhindern? >

Solange sich die Organisationen im Rahmen des Strafgesetzbuches bewegen, darfeine Demokratie gegen sie nicht einschreiten. Das einzige wirksame Mittel der Behörden ist eine sachlich fundierte Aufklärung. Diese wurde den Sektenreferaten der Kirchen, der personell stark unterbesetzten Wiener Gesellschaft gegen Sekten- und Kultgefahren (die als einzige private Beratungsstelle eine äußerst bescheidene staatliche Unterstützung erhält) und kleinen Selbsthilfegruppen überlassen. Obwohl im Jänner 1993 die Abgeordneten aller Parteien bei einem Expertenhearing zum Thema Sekten im Parlament konkrete Maßnahmen forderten, laufen diese erst jetzt langsam an.

Zunächst richtete das Unterrichtsministerium heuer eine kleine Stelle für die zahlreichen Hilferufe besorgter Eltern ein. Die seit vielen Jahren angekündigte interministerielle Arbeitsgruppe tagte erstmals vor zwei Monaten. Ob bei den nur zweimal im Jahr vorgesehenen Treffen ein effizientes Vorgehen möglich ist, muß sich erst zeigen.

Familienminister Martin Bartenstein plant, die Familienberatungsstellen mit Schulungsmaßnahmen über Sekten zu unterstützen und im Oktober eine Aufklärungsbroschüre herauszugeben. Mit Unterrichtsministerin Elisabeth Gehrer verhandelt er über eine Verteilung an den Schulen. Die Broschüre soll allgemeine Kriterien für die Beurteilung pseudoreligiöser Organisationen beinhalten. Als kennzeichnend gilt unter anderem ein ideologischer Monopolanspruch, ein autoritärer Führungsstil, eine strenge Geschlossenheit und ein System psychologischer Einflußnahme. Davon gewisse Strömungen in den etablierten Kirchen abzugrenzen, ist schwierig. Man denke nur an das umstrittene Engelwerk.

Ob in der Aufklärungsbroschüre konkrete Namen vorkommen, ist noch nicht entschieden. Bartenstein zur FURCHE: „Darüber führe ich gerade Gespräche mit dem Justizminister." Zur Erinnerung: Die 1987 zu diesem Thema herausgegebene Broschüre mußte wegen Rechtskonflikten aus dem Verkehr gezogen werden. German Müller von der Gesellschaft für Sekten und Kultgefahren begrüßt das Engagement des Familienministers: „Ich bin froh, daß endlich etwas getan wird." Er hält aber Informationsmaterial ohne Namensnennung für unzureichend: „Damit wird die Verantwortung auf kirchliche Sektenreferate und private Beratungsinitiativen abgeschoben. Diese müssen ständig mit dem Risiko leben, vor Gericht gezerrt zu werden, weil sie vor konkreten Gruppen warnen."

Ebenso wichtig wie die präventive Aufklärung sind langfristige l'herapieangebote für ehemalige Sektenmitglieder und deren Angehörige. Viele Organisationen versuchen, das „abtrünnige Schaf mit allen Mitteln zur Herde zurückzuführen. Eine Trennung aus eigener Kraft ist kaum möglich. Der Staat fördert Entziehungskuren für Alkoholiker, Raucher und Drogenabhängige - warum nicht auch solche für Aussteiger religiöser Sondergruppen?

Resonders schwierig ist der Loslösungsprozeß für jene, die in einer totalitären Gemeinschaft aufgewachsen sind. Sie kennen nur die Sektenrealität und den Gruppenalltag.

Die Sektenexpertin der Erzdiözese Wien, Friederike Valentin, rät daher, sich verstärkt um die bisher „öffentlich zu wenig beachteten" Kinder von Sektenmitgliedern zu kümmern. Da es bei uns im Gegensatz zu Deutschland gestattet ist, Kinder außerhalb des öffentlichen Schulwesens zu unterrichten, bedeutet das für die Betroffenen oft eine Abschottung von Altersgenossen. Wie dringend hier Handlungsbedarf besteht, zeigt das Beispiel von „Sahaja Yoga", die in Indien eine Privatschule betreibt. Von den 196 dort unterrichteten Schülern sind 23 österreichische Staatsbürger.

Neben dem Schutz von Sektenopfern versäumte es der Gesetzgeber, den Rechtsstatus der neureligiösen Rewegungen zu klären. Nach dem Staatsgrundgesetz von 1874 hat das Kultusamt zwölf, Religionsgemeinschaften gesetzlich anerkannt. Alle anderen Gemeinschaften können über einen sogenannten Hilfsverein die Rechtskörperschaft erlangen, obwohl es das Vereinsgesetz religiösen Gruppen eigentlich verbietet, einen Verein zu gründen.

Seit Jahrzehnten wurschtelt man also mit einer halblegalen Konstruktion dahin. Bewegung brachte erst eine Beschwerde der Zeugen Jehovas vor dem Verwaltungsgerichtshof. Spät aber doch arbeitet man nun an der Novellierung des veralteten Staatsgrundgesetzes. Gegenüber der Furche sprach sich der Leiter des Kultusamts, Felix Jonak, für einen Sonderstatus aus, der den Gruppen das Zertifikat „ordentliche Religionsgemeinschaft" verleiht; das wäre rechtlich mehr als ein „Verein", hätte aber nicht den Stellenwert einer „anerkannten Religionsgemeinschaft".

Der Zustrom zu Sekten zeigt, daß es den etablierten Kirchen immer weniger gelingt, das Wesen des christlichen Glaubens zu vermitteln. Religiöse Sehnsucht wird anscheinend kirchlich nicht mehr erfüllt.

Daneben bereiten auch gesellschaftliche Entwicklungen (Auseinanderbrechen von Familien, Verlust der Gemeinschaft) den Nährboden für diffuse weltanschauliche Ideen oder obskure Erfolgs- und Selbsterlösungsideologien. Insofern können gesellschaftliche Institutionen und Kirchen in der Auseinandersetzung mit neuen religiösen Bewegungen viel über ihre eigenen Defizite lernen.

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