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Gebildet oder geplant

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Anfang November wurde im Unterrichtsministerium eine neue Abteilung eingerichtet, die sich mit „Bildungsökonomie“ beschäftigen wird. Die Aufgabe dieser Neuschöpfung wird es sein — wie Minister Mock jedem, der es hören wollte, versicherte —, dem bildungsökonomischen Prinzip auch im Bereich der Wissenschaft und Forschung zum Durchbruch zu verhelfen.

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Anfang November wurde im Unterrichtsministerium eine neue Abteilung eingerichtet, die sich mit „Bildungsökonomie“ beschäftigen wird. Die Aufgabe dieser Neuschöpfung wird es sein — wie Minister Mock jedem, der es hören wollte, versicherte —, dem bildungsökonomischen Prinzip auch im Bereich der Wissenschaft und Forschung zum Durchbruch zu verhelfen.

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Damit wurde auch in Österreich eine Anregung aufgenommen, die vor nahezu zweihundert Jahren erstmals ausgesprochen wurde. „A man educated at the expense of much labour and time.. may be compared to one of those expensive machines“, schrieb schon Smith 1776 in seinem Buch „The Wealth of Nation“ und wies damals nachdrücklich darauf hin, daß auch die Entwicklung der menschlichen „Qualität“ — hier eigentlich mit „Bildung“ gleichzusetzen — als ein ökonomisch bedeutender Faktor zu sehen sei.

„Ein Ziel, das immer, wo es um Staatsausgaben geht, als Nebenziel zu allen anderen tritt, ist die Wirtschaftlichkeit, das Kriterium ökonomisch rationaler Entscheidung“, stellt Rolf Freund in einer kürzlich erschienenen Publikation des „Institutes für angewandte Sozial- und Wirtschaftsforschung“ zu einer möglichen Bildungsplanung fest. Damit schlägt Freund in dieselbe Kerbe wie Dr. Mock: beide sehen Bildung sowohl als wirtschafts- wie auch als finanzpolitisches Entscheidungsproblem. Nur mit der einen Einschränkung, daß Freund in seinem Buch „Bildungsplanung — Bildungsinvestitionen — Bildungsertrag“ bereits eine Lösung anbietet, während die ministeriellen Bemühungen noch in den Kinderschuhen stecken.

Zwar steht bereits eine Untersuchung Steindls aus dem Jahr 1967 zur Verfügung, die unter dem Titel (,Bil- dungSpianung und wirtschaftliches arfastgtA ric v.'.?: nov SHIMSĮ Wachstum“ erschienen ist, doch hat diese den Nachteil, daß sie im Wesen nur auf eine Angebotsschätzung für den Bildungsbedarf hinausläuft. Steindl geht, mit anderen Worten gesagt, davon aus, daß der Mehrbedarf an „Gebildeten“ in der österreichischen Wirtschaft und Gesellschaft in gleichem Maße steigt wie in den Jahren von 1951 bis 1961, die er als Grundlage seiner Untersuchungen herangezogen hat. Er mißachtet dabei eigentlich die Strukturveränderungen in den zehn Jahren. Wer aber die österreichische Situation nur etwas kennt, der weiß, welche großen Veränderungen tatsächlich eingetreten sind. Diese Veränderungen als „normal“ zu bezeichnen, wäre gleichbedeutend mit der historischen Lüge, Österreich habe das letzte halbe Jahrhundert eine „normale“ Entwicklung hinter sich gebracht. Deshalb ist die von ihm angenommene lineare Fortführung nicht den Tatsachen entsprechend, obwohl auch er genau erkennt, daß ohne echte Bildungsplanung der Weg des Österreichers als „Hilfsarbeiter Europas“ enden würde.

Ob sich die freie Berufswahl, die hinter dem Angebotsmodell Steindls steht, auch mit den Anforderungen des Arbeitsmarktes deckt, darüber schweigt die Untersuchung. Es wäre auf der anderen Seite aber auch falsch, den entgegengesetzten Weg gehen zu wollen, also eine reine Nachfrageprognose zu erstellen. Denn der Bedarf der Wirtschaft afi' qualifizierten Arbeitskräften, der in einem solchen Fall prognostiziert wird, sieht zwar die branchenspezifischen Effekte, mißachtet aber so die vorhin erwähnte freie Berufswahl.

Strukturverschiebung vernachlässigt

Um die Einigkeit der beiden Modelle zu beseitigen, ist eine Integration beider Prognosen nötig. Freund, der diese Möglichkeit versucht hat, gelangt so zu einer „Bilanz“, die er einem Bildungsplan zugrunde gelegt wissen will. „Engpässe am Arbeitsmarkt und größere Arbeitslosigkeit von qualifizierten Kräften“ können aber erst dann vermieden werden, wenn die Wirtschaftlichkeit des Planes außer Frage gestellt ist Trotz aller Bemühungen um eine realistische Bildungsplanung kann nicht darüber hinweggesehen werden, daß bei allen Prognosen immer nur von meßbaren Tatsachen ausgegangen werden kann. Ebenso wie sich in der Schulgesetzgebung die heute gefaßten Entscheidungen erst nach Jahren als gut oder schlecht herausstellen — ein jüngstes Beispiel sind hier die Schulgesetze des Jahres 1962 —, genauso verhält es sich mit der Bildungsplanung und ihrer Wirtschaftlichkeit. Die Grundlagen der Prognosen, die auf der Bevölkerungsstruktur und deren Veränderungen, der Entwicklung des Bruttonationalprodukts, der Arbeitsproduktivität und der Schulstruktur können in Österreich — und das wäre dabei notwendig — nicht einmal über „lange Zeitreihen“ verfolgt werden. Schon aus diesen Überlegungen ist die Suche nach einem System zwar vordringlich, aber das „Rezept“ für die Bewältigung gefunden zu haben, ist keineswegs noch gelungen.

Damit soll nicht gesagt werden, daß die Diskussion, die jetzt mit aller Heftigkeit in den Fragen der Bil

dungsplanung eingesetzt hat, nicht zielführend sein kann. Nur darf nicht erst und allein nach den sekundären Faktoren gesucht werden, wenn die primäre Frage — das Bildungsziel — noch nicht gänzlich beantwortet ist. In der Folge ist es klar, daß dann Bildung nicht nur dem Vorteile bringt, der sie erwirbt, sondern in erheblichem Umfang auch der Gesellschaft.

Sicherlich ist es aber nicht im Interesse des Unterrichtsministeriums gelegen, sich jetzt mit aller Kraft nur der Bildungsplanung zu widmen und die anderen Probleme zu vernachlässigen. Deshalb ist der Schritt zu

echten bildungsökonomischen Überlegungen uneingeschränkt zu begrüßen. Denn bei einem beträchtlichen Teil der Bevölkerung übersteigt die Zeitspanne der nötigen Ausbildung den Planungshorizont, so daß sie gar nicht erwägen, höhere und bessere Ausbildung zu erwerben. Das hat seinen Grund darin, daß „ärmere“ Volksschichten eine sehr große Wertschätzung von Gegenwartsgütern zeigen, also einen sehr hohen Kalkulationszinsfuß für Zukunftsgüter haben, der, wird er auf die Erträge der Ausbildung angewandt, letztere unbedeutend erscheinen läßt.

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