7103759-1995_22_04.jpg
Digital In Arbeit

Geduldig an sinnvollen Grenzen festhalten

19451960198020002020

Das Fernsehen: Die große Versuchung für die Kinder. Wie geht man mit ihrem Drängen, sich für ihr Alter Ungeeignetes anzusehen um?

19451960198020002020

Das Fernsehen: Die große Versuchung für die Kinder. Wie geht man mit ihrem Drängen, sich für ihr Alter Ungeeignetes anzusehen um?

Werbung
Werbung
Werbung

Ich wünschte mir”, schreibt eine Mutter, „daß Sie einmal die Frage der Auswahl von Videokassetten behandeln: Meine persönlichen Vorstellungen verbannen Filme mit zu gewalttätigen Darstellungen, aber mein zehnjähriger Sohn hat Kontakt zu Kindern, deren Eltern nicht dies-selben Wertvorstellungeh wie ich sie habe und die ihren Sprößlingen Videos mit argen Gewaltszenen zur Verfügung stellen. Was soll man tun, damit Kinder aus Familien, die sich um eine ausgeglichene und gesunde Kindererziehung bemühen, nicht das eigene Heim verlassen, um laxere Haushalte aufzusuchen, wo man sie tun oder sehen läßt, was bei uns verboten ist?”

Dieser Brief wirft zwei Fragen auf. Die erste betrifft den rechten Gebrauch des Fernseh- und Videogeräts: Es ist wichtig, auszuwählen und seinen Kindern nicht zu erlauben, sich einfach irgendetwas anzuschauen. Daß die Bilder Einfluß ausüben, bedarf keines weiteren Beweises mehr.

Diese erste Frage wirft eine zweite, allgemeinere auf: Die Schwierigkeiten, mit denen diese Leserin konfrontiert ist, gehen über das Problem der Video-Kassetten hinaus. Sie können sich bei anderen Erziehungsfragen (etwa der Erlaubnis auszugehen oder der Gestaltung der Abende mit Partys ...) ergeben. Unsere Kinder sind stark der Versuchung ausgesetzt, sich den elterlichen Forderungen zu entziehen und laxere Haushalte aufzusuchen: Was ist da zu sagen? Was kann man tun?

■ Unsere Kinder müssen unterstützt und behütet werden aber sie können auch nicht unter einem Glassturz, gesondert von jenen, denen sie tagtäglich im Hof, im Fußballklub oder in der Schule begegnen, heranwachsen. Allerdings können sich die erzieherischen Anforderungen von einer Familie zur anderen gravierend unterscheiden: Das gab es immer schon, aber in weniger tiefreichender Form als heute. Vor allem wegen des Fernsehens, dieses weit von Gewalttätigkeit und Verdorbenheit einer orientierungslosen Welt geöffnete Fenster.

Eltern mögen noch so gute erzieherische Anforderungen stellen - lassen sie jedoch ihre Kinder beliebig fernsehen, so wird dieses Medium zerstören, was sie geduldig aufgebaut haben. Das heißt also, daß Eltern eindeutige Grenzen setzen müssen, wenn es um den Gebrauch des Fernsehers geht, nicht nur im eigenen Heim, sondern auch überall sonst. Mit anderen Worten: Man kann (ja man muß) seinem zehnjährigen Sohn verbieten, zu Nachbarn „spielen” zu gehen, wenn man weiß, daß dieses Spielen tatsächlich nichts anderes als das Anschauen von Video-Kassetten sein wird, die für sein Gleichgewicht gefährlich ist ■ Natürlich ist eine solche - notwendige - Bestimmtheit für das Kind (den Jugendlichen) nicht immer leicht zu akzeptieren. Zunächst einmal, weil es nie leicht ist, ein „Nein” zu hören. Dann, weil man nicht versteht, warum etwas, das anderen gleichaltrigen Jugendlichen erlaubt wird, in der eigenen Familie auf Ablehnung stößt. „Alle in der Klasse dürfen! Warum ich nicht?” Abgesehen davon, daß man klarstellen müßte, wieviele Junge diesem „alle” nun tatsächlich entsprechen, ist es wichtig, unseren Kindern - selbst den kleinen - beizubringen, sich in Freiheit festzulegen: nicht aufgrund von Mehrheitsentscheidungen, sondern auf der Basis dessen, was man im Gewissen für richtig hält.

Das setzt eine parallel stattfindende Gewissensschulung voraus: Was ist gut? Was ist schlecht? Warum? Viele Jugendliche - einmal erwachsen geworden - sind ihren Eltern dankbar dafür, daß diese mit Bestimmtheit „nein” gesagt haben, wenn es notwendig war ... auch wenn sie damals Probleme hatten, dieses „Nein” zu akzeptieren.

■ Weil das also recht schwierig ist, muß man das Kind - umso mehr den Jugendlichen - bestärken. Einfach nur ein Verbot auszusprechen oder es zu streng zu tun, birgt die Gefahr nachteiliger Folgen, weil das Verbot dann indirekt zum Ungehorsam oder zur stillen Auflehnung verleitet.

Einfach nur zu verbieten, genügt nicht, man muß das Urteilsvermögen schulen

Gewaltdarstellungen verbieten? Ja, aber unter der Voraussetzung, daß man dafür gute Filme, die den betroffenen Jugendlichen gefallen könnten, anbietet. Beschränkt man das Video-Kassetten-Angebot aber auf „Bambi” und ähnliches, so darf man sich nicht wundern, daß Kinder, die älter als zehn Jahre sind, sich anderswo Filme „für die Großen” anschauen gehen.

Verbieten, daß man zu dieser oder jener Familie geht? Ja, aber unter der Bedingung, daß man die Türen des eigenen Heimes weit für die Freunde der eigenen Kinder öffnet. Und unter der Voraussetzung, daß man die Heranwachsenden nicht zu Hause einsperrt unter dem Vorwand, sie zu beschützen: Sie müssen hinaus, ihre Freunde außerhalb des familiären Rahmens treffen, andere Familien kennenlernen. Und daher müssen sie auch Jugendliche kennenlernen, die nach jenen Werten erzogen worden sind, die uns am Herzen liegen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung