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Geld, Handel, Ernährung

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Paris, im Spätherbst: Nennt man einem Taxifahrer die Adresse „2, rue Andrė Pascal“, so wird er im ersten Augenblick ratlos dreinschauen, dann ein abgegriffenes Straßenverzeichnis herausnehmen und schließlich, mit einer Hand den Wagen durch den Verkehrsstrom lenkend, mit der anderen die Straße im Verzeichnis suchen. Die rue Andrė Pascal ist draußen in Passy. Nennt man aber einfach die Bezeichnung „Chateau de la Muette“, dann ist der Taxifahrer sofort im Bild. Chateau de la Muette: das ist das Hauptquartier einer der vielen internationalen Organisationen, die Paris — auch nach dem Abzug des NATO-Hauptquartiers — immer noch beherbergt, der Sitz der OECD.

OECD — eine der vielen Abkürzungen mehr, die im Gefolge der US-Army nach dem Krieg nach Europa gekommen sind? Fragen Sie doch einmal jemanden nach der Aufschlüsselung dieser Chiffren — selten wird die richtige Antwort kommen: Organisation for economic cooperation and development — Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklungshilfe.

Vielfältige Probleme

Eine Bezeichnung, gewählt aus typischem „Understatement“, denn die Aufgaben, die diese Organisation hat, reichen weit über das hinaus, was sonst Institutionen mit ähnlich klingenden Namen zu tun haben. Schon die zahlreichen Mitgliedsländer (Australien, Österreich, Belgien, Kanada, Dänemark, Frankreich, Deutschland, Italien, Japan, die Niederlande, Norwegen, Portugal, Schweden, Großbritannien und die USA) und ihre vielfach eigenständigen und besonderen Probleme sorgen dafür, daß die Fragen, mit denen sich die OECD beschäftigt, möglichst vielfältig sind.

Journalisten aus aller Welt, von der japanischen „Nihon Keizai

Shimbun“ bis zur „New York Times“, hatten kürzlich Gelegenheit, einen Blick hinter die Kulissen der OECD zu werfen. Sicherlich, in zwei knappen Tagen kann dieser Blick nur einen Teilaspekt umfassen, wenn auch erste Fachleute der Organisation bemüht waren, blitzlichtartig ihr Gebiet zu beleuchten.

So führte etwa Alexander King, der „Director for Scientific Affairs“, unter anderem einiges aus, was nicht zuletzt für Österreich bestimmt schien: Man hätte besondere Aufmerksamkeit den kleineren Ländern zugewendet, für die die Verschiedenartigkeit der wissenschaftlichen Forschung oft in Widerspruch zu ihrer finanziellen Leistungsfähigkeit steht. „Zwei besondere Lösungen wurden vorgeschlagen: die Konzentration der Anstrengungen durch Spezialisierung und die Ausdehnung der Hilfsmittel durch regionale und überregionale Zusammenarbeit. Nimmt man an, daß jedes Land einen größtmöglichen Grad an wissenschaftlicher Arbeit erreichen soll, so ist es nötig, daß jedes Land einmal eine vernünftige Anstrengung zu fundamentaler Arbeit macht... Ferner wäre es wünschenswert, daß eine Zusammenarbeit von Ländern mit ähnlichen Interessen sich nicht auf die prestigebringenden und teuersten Zweige der Forschung beschränken sollte, das Konzept sollte vielmehr so sein, daß eine vernünftige Zusammenfassung der Hilfsmittel dieser Länder versucht werden sollte.“

OECD-Studien berücksichtigt

Gerade in Österreich arbeiten die verantwortlichen Stellen sehr gut mit der OECD zusammen, nicht zuletzt bei der Planung der Linzer Universität wurden Studien der Organisation bei der Erstellung des Studienplanes weitgehend berück sichtigt. Dennoch: Unsichtbar stehen als Motto über der Arbeit der OECD die Worte Geld, Handel und Ernährung. Sie umreißen deutlicher, als weitschweifige Statuten es könnten, den selbstgewählten Aufgabenbereich der OECD. Diese drei Probleme kommen in den nächsten

Jahren unausweichlich auf uns, auf die ganze Welt, zu. Faßt man die Probleme auch in drei einfachen Worten zusammen, so sind sie freilich weit weniger einfach zu lösen. Natürlich sind es Probleme der ganzen Welt, doch gerade die westlichen Länder sind von ihnen mehr betroffen als die anderen, schon deshalb, weil sie einen großen Teil der Weltproduktion und des Welthandels umfassen.

Werden wir alle hungern?

So stehen also — und dies stellte der Generalsekretär der OECD, der Däne Thorkil Kristensen, in den Mittelpunkt seines Referates — diese drei Problemkreise im Mittelpunkt der Arbeit'der OECD in der nächsten Zukunft. Auf direkte oder indirekte Weise ist die meiste Arbeit der Organisation mit diesen drei Problemkreisen verbunden.

Am „publikumswirksamsten“ von allen drei Fragen ist zweifellos das Welternährungsproblem, kein neues Problem, denn durch viele Jahre schon müssen Entwicklungsländer Getreide einführen und andere Länder unter größten Anstrengungen Nahrungsmittel. Akut ist die Frage jedoch geworden durch die ständigen Schwierigkeiten in Indien und durch die Tatsache, daß die ständigen Überschüsse in den USA seit 1961 ständig zurückgegangen sind.

Kommt also in ein paar Jahren der große Hunger? Die OECD wird die erste offizielle Stelle der Welt sein, die das erfahren und der Menschheit eine Antwort auf diese bange Frage geben können wird. Auf der Grundlage von FAO-Stati- stiken und anderen Quellen wird eine Untersuchung darüber vorbereitet, von der vieles abhängen wird.

Düstere Prognosen

Man ist sich im Pariser „Chateau de la Muette“ völlig im klaren: wenn es auch die Sorgen vor allem der westlichen Welt sind, mit denen man sich beschäftigt, wenn Geld, Handel und Ernährung — wie schon gesagt — vor allem Probleme der westlichen Länder sind, so ist mit ihrer Lösung doch untrennbar verbunden das Wirtschaftsproblem der Entwicklungsländer. Viel wird von deren Anstrengungen auf landwirtschaftlichem Gebiet abhängen

Über die einigermaßen düsteren Zukunftsaussichten befragt, stellt Generalsekretär Kristensen zwei Theorien auf; eine — wie er sie nennt — „optimistische“ und eine „weniger optimistische“: Nach „optimistischen Schätzungen werden die Entwicklungsländer (ausgenommen China) an Stelle eines Nettoexports von Nahrungsmitteln im Ausmaß von 1.3 Billionen Dollar, den sie noch 1960 verbuchen konnten, einen Im portbedarf von 2,3 Billionen Dollar 1970, 6 Billionen Dollar 1980 und 15,7 Billionen Dollar im Jahr 2000 haben. Die „weniger optimistischen“ Berechnungen, denen der augenblickliche Stand der Produktion zugrundeliegt, setzt die Importzahlen weit höher an, nämlich mit 4.6, 12,5 und 40.8 Billionen Dollar für die gleichen Stichjahre.

Und wohin werden diese Importe gehen? Auch darüber geben die Untersuchungen der OECD bereits Auskunft: in den Fernen Osten, aber auch in den Nahen Osten und in bestimmte Teile Afrikas. Außerdem dürfte ein gewisser Export aus den OECD-Ländern einschließlich Australiens und Neuseelands im nächsten Jahrzehnt in die Länder mit gelenkter Wirtschaft gehen (eingeschlossen die Sowjetunion und Ohina).

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