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Genußkultur ohne soziale Verantwortung

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Unsere Demokratie ist bedroht. Gefährdet sind damit auch wir selbst. Der Sozialethi-ker Herwig Büchele ortet ein Defizit eines gemeinsamen Werte-Fundaments.

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Unsere Demokratie ist bedroht. Gefährdet sind damit auch wir selbst. Der Sozialethi-ker Herwig Büchele ortet ein Defizit eines gemeinsamen Werte-Fundaments.

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Speziell für Österreichs „Realverfassung” konstatiert der in Innsbruck lehrende Sozialethiker Büchele einen dramatischen Wandel. Osterreich marschiert, so der Wissenschaftler bei einer Tagung im Grazer Bildungshaus Mariatrost, von einer „Konkordanzdemokratie”, in der die Eliten der Großparteien und Großverbände relativ konfliktfrei das Land regierten, in Bichtung „asymmetrisches, von vielerlei Kräften und Medien abhängiges Teilsystem mit unklarer Systemlogik”. Dazu gesellten sich die negativen Folgen der Globalisierung wie Arbeitslosigkeit, neue Armut, Schädigung der Umwelt, was als Beaktion einen „Prozeß der Fragmentierung” auslöse. Durch Bückgriff auf Nationalismus, Be-gionalismus, Bassismus werde die Tendenz zu einer Weltklassengesellschaft verstärkt. Der Mensch werde „nach einer Einschließungs- beziehungsweise Ausschließungslogik” definiert. Subpolitik -Wissenschaft, Technik oder Ökonomie - übernehme die Führungsrolle der Politik. Damit zeichne sich ein Ende der Demokratie ab.

Für den Sozialethiker stellt sich nach dem Zusammenbruch des Sowjetimperiums verschärft die Frage nach der inneren Bindekraft der Demokratien, zumal das Streben nach Selbsterhaltung und Ich-steigerung zum „instinktiven Kompaß” geworden sei. Der laufende Individualisierungsprozeß habe die Tendenz zu einer „entmündigenden Komfort- und Genußkultur ohne soziale Verantwortung” mit einer Standardisierung von Existenzformen, während Lebensordnungen verstärkt aufgelöst würden. Die „me-diatisierte” Demokratie fördere einerseits weltanschauliche Pluralisierungstendenzen und bringe neben Aufklärung über Staatsgrenzen hinweg auch Überforderung durch ein Überangebot an Information und Überreizung. „Die Trennlinie zwischen privater Lebenswelt und Öffentlichkeit löst sich (in der mediati-sierten Demokratie) immer mehr auf. Tabuzonen des Intimen und Diskreten werden immer weniger respektiert. Von den Medien wird eine Kompensation für die Traurigkeit und Zerstreutheit des Alltags erwartet. Crime, Sex and Gossip (Tratsch, Geschwätz) wird das Erfolgsrezept der Massenmedien.”

Ein Grunddilemma der Demokratie stellt für Büchele die Gleichheit für alle dar. Mehr Gleichheit bedeute einmal Enthierarchisierung, Befreiung aus Unterdrückung, aus Entmündigung und sinnentfremdeter Unterdordnung; sie böte mehr Chancen zur Selbstwerdung und Mitverantwortung. Andererseits kommt es durch Enthierarchisierung auch zu mehr Konkurrenz, mehr Bivalität, mehr

Gewalt. Um dieses Dilemma zu lösen, mehr Gleichheit zu mehr Chancengleichheit und verantworteter demokratischer Teilhabe zu führen, bedarf es nach Büchele „einer Vertiefung unserer Konflikt-und Kommunikationskultur”.

Deswegen fordert der Sozialwissenschaftler einen „Bruch mit dem unerklärten Ausgrenzungskonsens”, wenn man die Bedrohungs- und Gefährdungsdynamik stoppen will. Konkret für Österreich sollte „im Bahmen einer weitgehenden Verfassungsänderung” an Stelle des Bundesrates ein sogenannter Solidar-Bat gebildet werden „als Instrument eines gerechteren Interessenausgleichs im Sinne des Fairnessprinzips einer möglichst gerechten Verteilung der Vorteile und der Lasten”. Zudem sollte nicht die Subpolitik die Politik, sondern die Politik die Subpolitik bestimmen. Mit dem Konzept der „vier Dimensionen der universalen Bepublik” will Büchele den negativen Folgen der Globalisierung begegnen.

Diese Dimensionen sind: Demokratie am Ort und in der überschaubaren Begion; der National-Staat ergänzt durch einen Solidar-Bat; der Bundesstaat Europa; die Weltrepublik frei verbündeter Staaten.

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