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Geraten die Katholiken in die Minderheit?

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Ist die Studie, die für die nächsten Jahrzehnte eine drastische Abnahme der Mitglieder der römisch-katholischen Kirche prognostiziert, unseriös? ■

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Ist die Studie, die für die nächsten Jahrzehnte eine drastische Abnahme der Mitglieder der römisch-katholischen Kirche prognostiziert, unseriös? ■

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Zwischen 30 und 56 Prozent werde der Anteil der Katholiken an der Bevölkerung Österreichs im Jahr 2051 betragen, schätzen die beiden Demographen Wolfgang Lutz (Institut für angewandte Systemanalyse, Laxenburg) und Christopher Prinz (Europäisches Zentrum für Wohlfahrtspolitik und Sozialforschung, Wien). In der Bundeshauptstadt Wien wären nach deren Berechnungen dann bestenfalls 25 Prozent, möglicherweise aber nicht einmal mehr 13 Prozent katholisch.

Bereits vor fünf Jahren hatten Lutz und Prinz mit einer ähnlichen Studie Aufsehen erregt. Das damalige „Extrem-Szenario” (in einem der drei seinerzeitigen Modelle war man von sich verdoppelnden Kirchenaustrittsraten ausgegangen) wurde, so Lutz gegenüber der Furche, diesmal weggelassen, aber auch die drei neuen Varianten (siehe Graphik rechts oben) haben es in sich. Und Lutz fühlt sich von der Entwicklung seit 1990 sogar bestätigt. Damals habe man die Ergebnisse der Volkszählung von 1991 noch gar nicht gekannt und die Austrittszahlen aus der Kirche sogar leicht unterschätzt.

Zwischen 1981 und 1991 war die Zahl der Katholiken auf 78 Prozent zurückgegangen, und zwar von 83 auf 76 Prozent bei den Männern und von 85 auf 80 Prozent bei den Frauen. Auffallend war 1991 der stark gestiegene Anteil derer, die sich zu keiner Religion bekannten (beziehungsweise nicht deklarieren wollten).

Der Anstieg der Austritte von etwa 20.000 in den späten siebziger Jahren bis auf über 37.000 im Jahr 1989 erfolgte nicht linear, sondern schubweise. Einen solchen Schub ergab 1995 auch die Affäre Groer. Das Modell 1 der neuen Studie geht nun davon aus, daß sich nach diesem Schub die Austrittszahlen wieder auf dem früheren Niveau einpendeln werden. Das würde auf 56 Prozent Katholikenanteil im Jahr 2051 hinauslaufen.

Im Modell 2 rechnet man dagegen, daß die Krise 1995 zu einer Verdoppelung der Austrittsraten führt, welche dann konstant bleiben und zu einem Katholikenanteil von 43 Prozent im Jahr 2051 führen.

Im Modell 3 erwartet man, daß die hohen Austrittsraten von Wien (dreimal so hoch wie im übrigen Bundesgebiet) ganz Österreich erfassen. Nur mehr drei von zehn Österreichern wären dann 2051 noch römisch-katholisch. Auch andere gesellschaftliche Entwicklungen hätten, so Lutz, in Wien begonnen und dann ganz Österreich erfaßt, deshalb erscheine ein solches Szenario nicht abwegig.

Daß solche Prognosen unter der Voraussetzung „Was wäre, wenn?” anfechtbar sind, weiß Lutz, er hält die Studie aber selbstverständlich für seriös und hält persönlich am ehesten eine Entwicklung zwischen dem mittleren und dem pessimistischen Szenario für realistisch. Ein allfälliges Wiedererwachen von Religiosität werde sich kaum in den großen Kirchen bemerkbar machen.

Der Wiener Pastoraltheologe Paul Michael Zulehner ist hier anderer Meinung und zeigt sich verwundert, daß die Lutz-Prinz-Studie das genaue Gegenteil zu allen Annahmen der Religionssoziologen darstelle. Der Trend zum Privatisieren gehe zurück, die Sehnsucht nach der starken religiösen Gruppe wachse, wie sich in den USA zeige, die heute schon einen religiösen Standard wie Polen oder Irland aufweisen. Man könne nicht seriös über einen so langen Zeitraum Prognosen zu weltanschaulichen Positionen abgeben.

Nicht für unseriös, aber für zu schwach abgestützt, weil man nur wenige Faktoren berücksichtigen konnte, hält der langjährige Leiter des Wiener Instituts für kirchliche Sozialforschung, Hugo Bogensberger, die Lutz-Prinz-Studie. Man habe sicher richtig gerechnet, könne aber einfach nicht alle Entwicklungen vorhersehen.

Tatsächlich erinnert die Studie ein wenig daran, daß man im späten 19. Jahrhundert angesichts der Zunahme von Pferdedroschken mit einer unglaublichen Vermehrung des Pferde-mistes bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts rechnen mußte, und dann warf die technische Entwicklung alle derartigen Berechnungen weit über den Haufen. Und im weltanschaulichen Bereich sind Prognosen natürlich noch viel schwieriger.

Dazu kommt, daß Prognosen mitunter ein Umdenken auslösen (und manchmal auch auslösen wollen), das die Prognose von einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung zu einer Fehlprognose werden läßt. Der berühmte erste Bericht des Club of Rome („Die Grenzen des Wachstums”) ist heute auch unter diesem Aspekt zu sehen.

Angesichts dieser Unwägbarkeiten ist die Studie mit Vorsicht zu genießen, es wäre aber sicher vollkommen verkehrt, sie einfach vom Tisch zu wischen. Jeder Austritt tut der Kirche weh, und die Kirche muß mit allen Kräften versuchen, die gegenwärtige Entwicklung zu stoppen, die Leute glaubwürdig anzusprechen, das Wesentliche ihrer 2000 Jahre alten Botschaft, die sie auf keinen Fall ungestraft verfälschen darf, zeitgemäß den vielen religiös suchenden Menschen nahezubringen.

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