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Gleicher Wahltermin für Natio nalrats- und Landtagswahlen?

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Getreu unseren Grundsatz, auch Stimmen zu veröffentlichen, die von dem von der „Furche" vertretenen Standpunkt abweichen, geben wir nachstehend einer Zuschrift des Landeshauptmanns von Vorarlberg, Ulrich Ilg, Raum.„Die Furche".

In der Nummer 27 der „Oesterreichischen Furche“ vom 3. Juli d. J. wird von Dr. Kurt Skalnik im Rahmen eines Artikels „Zwischenbilanz im kleinen Wahljahr“ der Vorschlag gemacht, in Hinkunft die Landtagswahlen mit den Nationalratswahlen zusammenfallen zu lassen. Begründet wird die mit dem „Wahlkampfklima“, das jede sachliche Arbeit störe, so daß man es höchstens alle vier Jahre in Kauf nehmen könne, „wenn es gar nicht anders gehen will“. Es wird zwar selbst darauf hingewiesen, daß in der Zusammenlegung der Wahltermine eine „Gleichschaltung“ erblickt werden könne, daß die Parteien aus Zwischenbilanzen Lehren ziehen könnten und daß bei einer Zusammenlegung der Wahltermine die speziellen Fragen der Landespolitik durch die Bundespolitik überspielt würden. Hierauf wird jedoch erwidert, daß Landtagswahlen ohne Zweifel stets von der „großen Politik“ des Bundes überschattet werden.

Abgesehen von grundsätzlichen Zweifeln an der parlamentarischen Demokratie die dem erwähnten Verfasser zweifelsohne ferngelegen sind — Anm. d. Red., zeugen diese Ausführungen auch von einer teilweisen Verkennung des bundesstaatlichen Charakters Oesterreichs. Aus diesem Grunde verdient diese Frage eine Beleuchtung auch von diesem Gesichtspunkte und vom Standpunkte der Länder aus gesehen. Die Bundesstaatlichkeit beinhaltet nämlich in ihrem Wesen, daß die Staatsgewalt zwischen den einzelnen Bundesländern als Gliedstaaten und dem Bund als Gesamtstaat geteilt ist, d. h., daß die Länder eine selbständige, dem Bund gleichgeordnete Hoheit besitzen. Es handelt sich also bei den Ländern nicht lediglich um eine Form von „Dezentralisation", d. h. die Ausübung von einer und derselben Staatsgewalt durch untergeordnete Organe. Dezentralisation findet sich auch in den Einheitsstaaten, ja sogar unter autoritären und diktatorischen Regimen, da hierfür vielfach schon rein technische Notwendigkeiten bestehen. Die Länder haben aber im Bundesstaat sogar die primäre Staatsgewalt, da sie vor dem Bund da waren und ihn erst gebildet haben. Siehe in Oesterreich die Beitrittserklärung der österreichischen Länder vom November 1918!

Die bundesstaatliche Organisationsform entspricht am reinsten dem naturrechtlichen Subsidiaritätsprinzip, wie es auch in der Enzyklika „Quadragesimo anno“ zum Ausdruck kommt, wonach nämlich die naturrechtliche Ordnung gestört wird, wenn Aufgaben von kleineren Gemeinschaften auf größere übertragen werden, obwohl diese sie selbst ebensogut besorgen könnten. Wie die Erfahrung zeigt, ist der Föderalismus auch einer der stärksten Garanten der Demokratie und der persönlichen Freiheit und ein Schutzmittel gegen die Vermassung. Der Föderalis-mus ist aber in Oesterreich auch aus geographischen, bevölkerungsmäßigen und geschichtlichen Gründen gerechtfertigt. Es muß dies hier nicht im einzelnen ausgeführt werden.

Es gehört somit zum Wesen der Bundesstaatlichkeit, daß die Länder einen eigenen Aufgabenbereich besitzen, den sie selbständig verwalten, ebenso wie dies auch für den Bund zutrifft. Leider hat die österreichische Verfassung dem Bund ohnedies schon viel mehr Aufgaben zugewiesen, als unbedingt notwendig wäre.

Wenn man daher die Bundesstaatlichkeit und somit einen selbständigen Aufgabenbereich der Bundesländer bejaht, muß es geradezu als wünschenswert erscheinen, daß auch bei der Bestellung der Organe durch Wahlen und der. damit verbundenen Auseinandersetzung über die geleistete und künftige Arbeit dieser Organe in der Regel eine saubere Trennung erfolgt. Eine Vermischung von Fragen der Bundespolitik und der Landespolitik muß auch weitgehend das Interesse der Bürger an den ihnen zunächststehenden öffentlichen Einrichtungen lähmen und trägt insbesondere zu einer unrichtigen Beurteilung der Verantwortlichkeiten bei. Gerade die Oesterreichische Volkspartei hat den Föderalismus an die Spitze ihres Programmes gestellt, und auch die gegenwärtige Bundesregierung hat in ihrer Regierungserklärung die Wahrung der Länderrechte versprochen. Es kann daher niemals in ihrem Interesse liegen, eine solche Gleichschaltung herbeizuführen.

Es ist anzuerkennen, daß im erwähnten Artikel in erster Linie die Landtage zu einer Angleichung der Wahltermine aufgefordert sind. Was ist aber dann, wenn die Landtage , einem solchen Wunsche nicht Rechnung tragen? Es ist nur ein kurzer Schritt zur Forderung auf entsprechende Aenderung der Bundesverfassung. Da auch mit vorzeitiger Auflösung des Nationalrates gerechnet werden muß, wäre eine Gleichschaltung kaum anders erreichbar. Soll eine Regierungskrise im Bund, die zur Auflösung des Parlamentes führt, zwangsläufig auch eine solche in den Ländern heraufbeschwören? Diese Möglichkeit muß aber vom Standpunkte der Länder zu einer besonderen Besorgnis Anlaß geben. Es ist gerade eines der Uebel unseres staatlichen Lebens, daß die Unantastbarkeit der Verfassung als des ehernen Grundgesetzes des staatlichen Lebens von vielen nicht erkannt und billigen Zweckmäßigkeitserwägungen des Augenblicks untergeordnet wird. Was übrigens heute zum eigenen Vorteil gereicht, kann morgen ebensogut dem Gegner nützen.

Verschiedene Wahltermine für Bundes- und Landesorgane sind schließlich in allen Bundesstaaten nicht nur üblich, sondern geradezu selbstverständlich, ohne daß hieraus ernsthafte Nachteile erwachsen. Ein wunder Punkt wird hierbei nur allzu leicht übersehen. In einer gesunden und reifen Demokratie dürfte die sachliche Arbeit durch das Herannahen eines Wahltermines nicht gefährdet sein. Im Gegenteil sollte jede Partei Nachteile befürchten müssen, wenn sie aus wahlpropagandistischen Gründen von der sachlichen Linie abweicht. Wenn wir im kleinsten Bundeslande, Vorarlberg, gerade aus diesen Gründen nicht das geringste Wahlfieber beobachteten, warum soll das nicht auch in anderen Länder und auf der Bundesebene möglich sein? Es wird allerdings eine große Erziehungsarbeit notwendig sein. Bezeichnen wir diese nicht von vornherein für aussichtslos, sondern stellen wir uns mehr ab auf dieses Ziel. Der Bestand der Demokratie wird davon abhängen, ob sich diese Sachlichkeit durchsetzt oder nicht. Es ist ein Zufall, daß heuer in vier österreichischen Bundesländern zugleich Landtagswahlen stattfinden, darunter in den beiden größten: Wien und Niederösterreich. Wenn hier ein Wunsch aufgestellt werden könnte, so wäre es eigentlich nur der, diese Gruppe durch verschiedene Termine noch weiter aufzulockern, was sich im Laufe der Zeit vermutlich von selbst ergeben wird. Bei neun verschiedenen Landtagswahlterminen könnte man dann doch wohl kaum mehr von „Barometerwahlen“ sprechen.

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