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Guter Rat nicht gefragt?

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Die große Koalition laboriert an einer taktischen „linksseitigen“ Lähmung. Um so mehr überraschte seinerzeit ein Arrangement zwischen dem damals noch lebenden Altbundeskanzler Julius Raab und dem Abgeordneten Anton Benya, die als Präsidenten der Bundeswirtschaftskammer beziehungsweise des DGB die Errichtung eines Beirats für Wirtschafts- und Soziialfragen vereinbarten. Es ging dabei sicherlich nicht in erster Linie um eine Demonstration des Willens und der Möglichkeit zur weiteren Zusammenarbeit. Man einigte sich aber kaum zufällig — und in der öffentlichen Meinung schlägt dieser Eindruck durch — gerade in einem für die Koalition kritischen Zeitpunkt.

Der Beirat ist manchen Interessengruppen unangenehm geworden. Er bemüht sich nämlich, etwas zu tun! Seine Gutachten enthalten nicht, wie vielleicht gehofft, nur farblose Kompromißformeln. Sie sind sogar kritisch und erreichen große Publizität.

Vernunft in wirtschaftlichen Dingen ist jedoch keineswegs immer gefragt. So sind es in dieser Phase offenbar etwas kurzsichtige Kreise, die mit wachsendem Mißvergnügen dem „Neuen Stil“ gegenüberstehen. Bei der Fxontbiläung pro und contra Beirat scheint es jedoch in der Standesvertretung der Unternehmer nicht nur um die Wahrnehmung von ökonomischen Sonderinteressen zu gehen. Daneben dürfte noch die keineswegs endgültig entschiedene Auseinandersetzung um die Spitzenpositionen in den verschiedenen Organisationen der gewerblichen Wirtschaft eine gewisse Rolle spielen.

Es wäre bedauerlich, wenn sich an dieser von ihm nicht beeinflußbaren Situation der bisher zwar nicht Wunder wirkende, aber doch ganz praktikable Beirat aufriebe. Man findet jedoch in den verschiedensten Lagen, nicht nur im eben zitierten, Wohlmeinende, die darauf warten. Dann erhielte nämlich die jetzt etwas eingeengte Demagogie in wirtschaftspolitischen Fragen ihre volle Freiheit wieder. Überdies könnte, so meinen manche linke Leute, das häufige Zusammensitzen von fachlich versierten Interessenvertretern dem Klassenbewußtsein der Massen wie auch der unmittelbar beteiligten Arbeitnehmervertreter nur abträglich sein. Durch die intensive Zusammenarbeit wurde nur die Illusion der „sogenannten“ Sozialpartnerschaft verstärkt, daher sei dem Beirat, am liebsten überhaupt der gesamten Paritätischen Kommission, ein rasches Ende zu bereiten. Wie bei vielen anderen Auseinandersetzungen zeigt sich auch in der Diskussion um den Beirat eine merkwürdige Konvergenz extremer Interessen auf der Unternehmer- und der Arbeitnehmerseite bei der Verfolgung konkreter Einzelziele.

Die zwölf Mitglieder des Beirates (je drei von der Bundeswirtschafts-kammer, den Landwirtschaftskam-mem, dem Arbeiterkammertag und dem ÖGB) und seine beiden Geschäftsführer (je einer von der Dienstgeber- und der Dienstnehmer-seite) sind keine im interessenfreien Raum schwebenden Experten. Sie gehören weiterhin den sie delegierenden Organisationen an und sind daher auch interessengebunden, aber doch sachlichen Argumenten zugänglich.

So gelangen immerhin etwa das Stabilisierungsprogramm vom Vorjahr, einige Vorschläge zur Gestaltung des neuen Haushaltsrechts, der erste Teil eines Konzepts zur Belebung des österreichischen Kapitalmarkts usw.

Der Beirat ist ein Instrument der Paritätischen Kommission. Als ihr Unterausschuß erhält er seine Aufträge von oben und reicht seine Arbeiten wieder nach oben zur Begutachtung und Entscheidung. Der Beirat selbst hat also gar keine Chance, etwas direkt zu beeinflussen. Die in letzter Zeit gängige Formel „Der Beirat berät, die Regierung regiert“ übertreibt daher seine Möglichkeiten. Dieses neue Organ erwarb sich zwar ziemlich schnell in der öffentlichen Meinung eine gewisse Reputation, wobei die weitverbreitete Neigung zur „neuen Sachlichkeit“ und zum „Wirtschaffcs-konzept“ förderlich war, aber davon allein konnte und kann es nicht leben. Entscheidend ist der Wille der großen Interessenvertretungen, den Beirat mit ihrer Autorität zu decken und ihn am Glanz ihres wirtscbafts-politischen Einflusses teilhaben zu lassen.

Mehr als früher können jetzt die verschiedenen Vorstellungen im Beirat koordiniert und womöglich noch mit nationalökonomischen Argumenten abgeschirmt werden. Dies verstärkt naturgemäß ihre Durchsetz -barkeit und reduziert angesichts der dominierenden Stellung der Interessenvertretungen den Entscheidungsspielraum der Regierung. Der Beirat selbst ist aber kein geborener Einflußträger; die Entscheidungen gehen immer von seinen Auftraggebern aus.

So gesehen, beruhen die zuweilen auftauchenden Forderungen nach einer Abgrenzung der Funktionen des Beirats auf einem Mißverständ-

Der Beirat hat, wie bereits erwähnt, eine Reihe von Arbeitsgruppen gebildet und Persönlichkeiten mit theoretischer und (oder) praktischer Beziehung zur jeweiligen Problematik zur Mitarbeit eingeladen. Beirat wie auch Arbeitsgruppen entscheiden strittige Fragen nicht durch Abstimmung; man bemüht sich um einen für alle tragbaren und trotzdem sachlich vertretbaren Kompromiß.

Bisher arbeiten mehr als 200 Experten verschiedenster Fachrichtungen in den Arbeitsgruppen des Beirats mit. Er ist also auch ein Instrument zur Mobilisierung bisher nicht genügend und auch heute noch bei weitem nicht voll genutzter intellektueller Ressourcen im Bereich der Wirtschaftspolitik.

Zur Zeit bestehen zwischen der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite gewisse Differenzen über die Fassung des Mandats für eine neu zu schaffende Arbeitsgruppe. Die Vertreter der Bundeswirtschaftskammer haben die Ausarbeitung eines Konzepts für eine „geldwertneutrale Lohnpolitik“ beantragt. Die Gewerkschaften erklärten sich grundsätzlich bereit, das vorgeschlagene Problem zu untersuchen und Empfehlungen dazu auszuarbeiten. Dies allerdings nur dann, wenn auch die Einkommensbildung bei den Selbständigen in die Diskussion einbezogen wird. Die Unternehmerseite wies diesen Wunsch angeblich aus grundsätzlichen Erwägungen zurück. Da beide Seiten auf ihren Standpunkten beharren und die Gewerkschaften in dieser Frage kaum nachgeben können, hat die ungeklärte Situation eine fühlbare Hemmung der verschiedenen Aktivitäten im Rahmen des Beirats zur Folge.

Es ist bereits mehrmals empfohlen worden, an die Stelle interessengebundener Experten ein aus Professoren der einschlägigen Wirtschaftsfächer bestehendes Gremium zu schaffen. Dieser Vorschlag besticht zumindest aufs erste. Professorale Konzepte haben ohne Zweifel in der Regel den Vorteil, sehr gescheit und gründlich zu sein; sie abstrahieren allerdings gerne von der konkreten gesellschaftlichen und politischen Konstellationen und müssen dies im Interesse wissenschaftlicher Klarheit tun. Gerade in Mitteleuropa neigen die Professoren mehrheitlich dazu, die beste ihrer jeweiligen wirtschaftspolitischen Welten anzubieten, übersehen aber gerne, daß nicht alle organisierten einflußreichen Gruppen ihre Meinung über das jeweilige Optimum teilen. Anstelle der Parteipolitik die Adaptierung von Idealvorstellungen an die verschiedenen Gruppeninteressen zu überlassen, erscheint der andere Weg gar nicht so verkehrt: nämlich gleich einem Klub von zwar interessengebundenen, aber aufgeschlossenen und volkswirtschaftlich einigermaßen versierten Leuten die Erstellung von Analysen und Empfehlungen zu übertragen.

Die derzeitige Behinderung des Beirats hat die Idee aufkommen lassen, ihn von den Interessenvertretungen zu lösen und der Bundesregierung an die Seite zu stellen. Die Mehrzahl seiner Mitglieder wären weiterhin von den ihn heute tragenden Institutionen vorzuschlagen. Dazu sollten jedoch von der Regierung ernannte Fachleute treten, die keiner Interessenvertretung nahestehen, zum Beispiel Professoren, Mitglieder von Forschungsinstituten usw.

Trotz der gegenwärtigen Schwierigkeiten scheint sich, wenn man verschiedene Äußerungen auf der Unternehmerseite so deuten darf, die Balance zugunsten des Beirats, wenn auch mit Vorbehalten, zu neigen. Die Arbeitnehmerorganisatiohen haben sich in der kritischen Phase bereits mehrmals für den Beirat ausgesprochen. Die Fortführung dieses Experiments wäre nach den Erfahrungen bisher zu begrüßen. Selbst kleine Schritte auf dem Weg zur vielbeschworenen „Wirtschaftspolitik aus einem Guß“ verdienen Anerkennung und Förderung.

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