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Haben wir Werte?

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Man spricht heute oft von wertfrei und darf . sich nicht wundern, wenn wertfrei mit wertlos gleichgesetzt wird. Es ist üblich, Leistungen zu bewerten, Chancen zu verwerten (bisweilen gelingt es sogar österreichischen Fußballern), eine Währung (aber auch Menschen) auf- oder abzuwerten. Wertpapiere und Mehrwertsteuer sind

jedem geläufig. Wer Verkehrsmittel benützt, muß seinen Fahrschein entwerten. Und wer sein Selbstwertgefühl verliert, bekommt einen Minderwertigkeitskomplex.

Der Wert einer Ware ist oft nicht mit dem Preis identisch. Ist Gold mehr wert als Luft? Ist Sekt mehr wert als Wasser?

Johann Nestroy hat einmal ein Stück über das Notwendige und über das Uberflüssige geschrieben. Daß die überflüssigen (vom Überfluß abgeleiteten) Güter oft höher im Kurs stehen als die notwendigen wie Wasser oder Luft, macht sie noch nicht wertvoller. Die lebenserhaltenden Güter und

die lebenserhaltenden geistigen Werte sind nicht die überflüssigen, sondern die notwendigen; auch wenn die überflüssigen das Leben oft verschönern können, sollte man nicht von ihnen abhängig werden.

In Franz Grillparzers „König Ottokars Glück und Ende", heuer zum Millennium durchaus aktuell, heißt es über Österreich: „Es ist ein gutes Land, wohl wert, daß sich ein Fürst sein unterwinde." Mit anderen Worten: Es lohnt sich, sich für dieses Land einzusetzen.

Gibt es noch echte Werte, die in unserem Kulturkreis allgemeine Geltung haben? Im Grunde sind Werte etwas sehr Persönliches, jeder wird seine subjektive Werteskala entwickeln. In einem funktionierenden Gemeinwesen sollten natürlich die Werte der Individuen miteinander harmonieren und die anerkannten Grundwerte außer Streit stehen. Daß man im Konfliktfall eine Güterabwägung vornehmen muß, soll dabei gar nicht bestritten werden.

Zyniker werden sagen: Sicher könnten sich die meisten Menschen auf einen einzigen Begriff einigen, der ihnen der höchste Wert ist, er hat nur drei Buchstaben und lautet: Ich. Hängen die Menschen ihr Herz wirklich nur mehr an Selbstverwirklichung, Durchsetzen, oder gibt es etwas über den Egoismus hinaus? Sind es noch die traditionellen christlichen Werte der Zehn Gebote oder der Bergpredigt?

Man sollte weniger die Sünden, die man gegen die Zehn Gebote begehen kann, sondern vor allem die Werte sehen, die damit geschützt werden sollen. Da geht es zunächst um den Glauben an Gott, dessen Namen man nicht verunehren und dessen Tag man heilighalten soll. Da geht es ferner um einen Generationenvertrag in der Familie: Man soll als schon Erwachsener die Eltern so behandeln, wie man selbst im Al-

ter behandelt werden möchte. Und da geht es um die Werte Leben (fünftes Gebot), geregeltes Zusammenleben der Geschlechter in Form der Ehe (sechstes Gebot), Eigentum (siebentes Gebot), Wahrheit und Vertrauen (achtes Gebot), Bescheidenheit (neuntes und zehntes Gebot). Es gibt noch speziell in der Bergpredigt genannte christliche Werte wie den Frieden, die Barmherzigkeit, die Demut, den Einsatz für die Gerechtigkeit.

Mehr noch als daran orientieren sich heute aber viele Menschen an den Werten Gesundheit und Sicherheit oder an den Idealen der Französischen Bevolution - Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit -,die im Grunde der christlichen Offenbarung durchaus entsprechen - so wie der Auftrag zur Bewahrung der Schöpfung.

Sind dies aber die heute geltenden Werte in den Medien oder in der Politik? Man sollte

nicht verallgemeinern, aber es gibt beängstigende Trends in diesen Bereichen. Man denke nur an die Aussage des früheren ÖVP-Obmanus Josef Bieg-ler, er habe am Ende seiner Amtszeit nur mehr zwei Personen in der Parteizentrale vertrauen können. Wie gering das Vertrauen der Bürger heute in ihre Politiker ist, das offenbaren immer wieder die Meinungsumfragen, im Grunde ein Alarmsignal für die Gesellschaft, das Populisten unverdient gute Chancen eröffnet.

In der heutigen Medienwelt zählen vorwiegend Dinge -„Werte"? - die sich materiell niederschlagen. Man denkt in Einschaltquoten und Beich-weiten, und das hat seine Ur-

sachen und Wirkungen. Man wirft alle moralischen Bedenken über Bord, läßt um der Sensation willen Kriminelle im Fernsehen auftreten oder plaudert mit Kindern über Inzest im Badio. Überall in Europa herrscht die gleiche Schizophrenie: Man predigt die Freizügigkeit, den Abschied von herkömmlicher Moral, erwischt man aber dabei einen Prominenten, ist das natürlich ein unerhörter Skandal.

Macht, Lust und Geld sind im Grunde die vorherrschenden „Werte" unserer Zeit. „Uns ist nichts heilig" wurde als Ausspruch des Homosexuellen-Aktivisten Kurt Krickler kolportiert, der damit bekannt geworden ist, daß er vier österreichische Bischöfe als Personen mit homosexuellen Neigungen „outete". Dieses „Uns ist nichts heilig" kennzeichnet eine sehr gefährliche Haltung, es besagt, daß man sich bei diesem Menschen auf nichts verlassen kann, er wird je nach Lust und Laune vorgehen.

Eine Gesellschaft braucht aber einen einigermaßen stabilen Konsens über Grundwerte. Die Gesetze über Kindes-mißbrauch beziehungsweise den Handel oder Besitz von Medienmaterial, das den sexuellen Mißbrauch von Kindern zum Inhalt hat, zeigen, daß wenigstens minimale moralische Standards noch konsensfähig sind. Darauf sollte sich aufbauen lassen, ohne daß hier irgendeiner Art Zensur das Wort geredet werden soll.

Das Paradies auf Erden wird es, so wie der Mensch beschaffen ist, weder heute noch morgen geben. Wir werden aber zu gewissen Standards zurückkehren müssen. Wie uns unlängst, sicher in den Details kritisierbar, via Sparpaket bewußt gemacht wurde, daß wir unsere materiellen Bessourcen überstrapaziert haben, daß wir schlicht jahrelang über unsere

Verhältnisse gelebt haben, genauso wird uns bewußt werden müssen, daß unsere geistigen Bessourcen, unsere Kultur, unser menschenwürdiger Umgang miteinander auf eine neue Basis gestellt werden müssen. Es geht heute um die Unterscheidung von Notwendigem und Überflüssigem und um möglichst breiten Konsens bezüglich jener Wertvorstellungen, die das Notwendige, also das, was Not zum Besseren wendet, sichern. Das wäre ein gutes Ziel, wohl wert, daß sich nicht nur ein Fürst, sondern jeder Bürger sein unterwinde.

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