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Heimerprobte Schulversudie

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Das war wohl die wichtigste Bemerkung des Ministers: Bevor man darangehen werde, die Schule der Zehn- bis Vierzehnjährigen oder die Oberstufe der höheren Schule grundlegend umzugestalten, würden zunächst alle in Frage kommenden Modelle im Schulversuch so durchexerziert, daß klare Entscheidungen möglich seien. So wird schon das Schuljahr 1971/72 ein breites Feld von Experimenten bringen, aus dem schließlich die Schule der späteren siebziger Jahre herauswachsen muß.

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Das war wohl die wichtigste Bemerkung des Ministers: Bevor man darangehen werde, die Schule der Zehn- bis Vierzehnjährigen oder die Oberstufe der höheren Schule grundlegend umzugestalten, würden zunächst alle in Frage kommenden Modelle im Schulversuch so durchexerziert, daß klare Entscheidungen möglich seien. So wird schon das Schuljahr 1971/72 ein breites Feld von Experimenten bringen, aus dem schließlich die Schule der späteren siebziger Jahre herauswachsen muß.

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Unterrichtsminister Leopold Gratz legte die Ergebnisse des zweiten Halbjahres der Beratungen in der Schulreformkommission vor. Hatte die Hochschulkommission zunächst ein halbes Jahr gebraucht, um ihren Stil zu finden und aus der Ideologie zur konkreten Problematik zu gelangen, so hatte hier die Ubermacht der Praktiker von Anfang an zu einer scharfen Gangart, zum Anpeilen klarer Ziele gezwungen. Die von Minister Gratz mehrfach wiederholte Versicherung vermochte auch die Besorgnis zu zerstreuen, daß man im überbordenden Reformeifer ausländische Modelle als Ideale übernehmen könnte, bevor sie in ihren Heimatländern noch ausreichend erprobt worden wären. Die Beratungen der Kommission hatten sich in diesem Jahr über den ganzen Bereich des Schulwesens erstreckt, von der Vorschulerziehung bis zur Fortbildung der Lehrer, vom programmierten Unterricht bis zur Einrichtung einer Datenbank. Die wichtigsten Themen, die nun fürs erste abgeschlossen werden konnten, waren die Suche nach neuen Formen der Mittel- wie der Oberstufe der Sekundärschule und die Neugestaltung der Hauptschullehrerausbildung. Über die Abschaffung der Aufnahmeprüfung in die höhere Schule war man sich eigentlich schon vorher einig gewesen — hier gingen die Meinungen nur auseinander, ob die Eltern an den (ablehnenden) Bescheid des Lehrerkollegiums der Volksschule gebunden sein sollten oder nicht.

Auch daß zwischen Hauptschule und Unterstufe der allgemeinbildenden höheren Schule mehr als bisher Gemeinsamkeiten geschaffen werden sollten, um auch später erkannte Begabungen ohne Aufenthalt in die für sie richtige Schulbahn zu schleusen,wurde weitgehend von allen anerkannt. Aber wie dies erreichen, ohne gleichzeitig jene Kinder zurückzusetzen, deren Begabung eben doch schon früh genug erkannt werden kann, um sie in eine durchgehende Schule mit hohen Anforderungen zu schicken? Muß nicht das, was ihren schwächeren Kameraden zum Segen wird, ihnen zum Schaden gereichen, wenn sie gezwungen werden, ihr Talent zu vergraben? Wo hier — unter vielen vorstellbaren Möglichkeiten — der beste Weg liegt, sollen nun die Schulversuche zeigen. Sie werden bei Leistungsdifferenzierungen in ahS-Klassen wie in Hauptschulklassen beginnen, und über die „additive Gesamtschule“ mit Kooperation zwischen ahS und gegenseitigem Lehrertausch bis zur gemeinsamen Orientierungsstufe für alle Schüler in der 5. und 6. Klasse und schließlich bis zur „integrierten Gesamtschule“ führen, die alle Kinder von der 5. bis zur 8. Klasse zusammenfaßt.

Ähnliches gilt für die Oberstufe, deren Reform besonders dringend wird — denn die Aussetzung des 1962 eingeführten neunten Jahres der höheren Schule gilt nur für fünf Jahre. Wird es möglich sein, darauf für immer zu verzichten — und für alle? Minister Gratz zeigte sich skeptischer als sein Vorgänger. Es wird wohl darauf hinausgehen, daß der größere Teil der Schüler doch 13 Jahre bis zur Matura brauchen wird — daß aber dem höher begabten und fleißigen Schüler die Möglichkeit offenstehen wird, schon nach der 12. Klasse die Matura zu erreichen.

Dies soll durch die Auflösung der starren Jahrgangsklassen in den letzten Jahren möglich gemacht werden. In einem Kern-Kurs-System soll zwischen allgemein verbindlichen Fächern, Intensivfächern mit Wahlmöglichkeit an Stelle der bisherigen Typendifferenzierung und Ergänzungsfächern unterschieden werden. Diese letzteren sollen im Blocksystem zusammenfassende Überblicke vermitteln.

Für beide Bereiche — Mittelstufe wie Oberstufe — gilt die Voraussetzung genügend großer Schuleinheiten, die die nötige Differenzierung erlauben. Man spricht von Idealgrößen mit etwa 1000 bis 1200 Schülern für eine Gesamtschule einschließlich der Oberstufe — das sind aber Größenordnungen, die in Kleinstädten nicht mehr überall erreicht werden dürften, selbst bei einer Zusammenfassung der heutigen Haupt-und höheren Schulen, bei einer noch stärkeren Ausschöpfung des Begabungspotentials. Man wird also auch Formen finden müssen, die für kleinere Einheiten tragbar sind — auch das sollen die Schulversuche ergeben.

Man wird sich auch bewußt sein müssen — vor allem bei der Kalkulation der Kosten —, daß die angezeigten Neuerungen einen erheblichen Mehraufwand an Raum und Personal erfordern, vor allem dann, wenn sie, in welcher Form immer, allgemein übernommen werden sollen. Die darüber hinaus angekündigte Einführung von Stipendien für Schüler der Oberstufen läßt den Finanzbedarf um weitere 120 Millionen jährlich steigen.

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