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Heraus aus der apathischen Preispolitik!

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Eine Preispolitik hat nur Sinn und ist auch sozialkonfonn, wenn sie darauf gerichtet ist, durch eine Summe wohlabgewogener Maßnahmen das Sozialprodukt steigern zu helfen und dessen möglichst leistungs- wie sozialgerechte Verteilung von der Preisseite her zu unterstützen.

Wenn wir vom Zustand der überwiegenden Verkehrswirtschaft ausgehen, sind die Mittel der Preispolitik festgelegt in einer großen Zahl geradezu klassischer Maßnahmen im Verlauf der direkten und,der indirekten Einflußnahme auf die Preise vor allem der lebenswichtigen Güter. Diese Mittel sind u. a.:

Die Regulierung der auf den Markt kommenden Anbotsmerige, sei es durch Finanzierung oder durch Förderung der Anlage von Vorräten in den Zeiten eines relativ hohen Güteranbots (Verhüten eines Freisverfalles), mit dem Zweck, die gespeicherten Waren dann freizugeben, wenn eine Gegenwirkung bei Preisanstiegen notwendig ist. Ebenso ist es möglich, derart auf die Preisbildung Einfluß zu nehmen, daß auf das Volumen der Exporte und der Importe Einfluß genommen wird. Das kann erforderlich sein, um die vor allem käuferpsychologisch unangenehmen Wirkungen von episodischen Preissteigerungen abzubinden. In den ersten drei Quartalen 195 5 sind freilich (“gegenüber der gleichen Zeit des Vorjahres) die Importe nach Oesterreich um 42 Prozent gestiegen (die Exporte dagegen nur um 12 Prozent). Darüber hinaus müssen wir für 195 5 mit einem Handelsbilanzdefizit von 110 Millionen Dollar rechnen. Die Importe sind bereits zu S.3,-5 Prozent liberalisiert. Die Liberalisierungsquote soll bis 90 Prozent erhöht werden. Es be-' steht daher gegenwärtig kaum Aussicht, durch eine Mengenregulierung von der Importseite her die Preise nachhaltig beeinflussen zu können, es sei denn bei Preisverfall.

Ebenso wie eine Mengenregulierung preiswirksam ist, kann auch eine Regulierung der Größe der effektiven Nachfrage, ihre Erweiterung oder ihre Begrenzung, die Stellung der Nachfragepartei auf dem Markt ändern und Preise bestimmen helfen Man denke an die Abschöpfungsmethoden von Schacht. Weniger wirksam ist die obrigkeitliche Lenkung des Konsums, während drastische Konsumgebote und Konsumverbote nur in Grenzsituationen Gültigkeit haben, aber sonst den Leitbildern freiheitlicher Wirtschaftsführung widersprechen. Auch die Anwendung der jeweils geltenden Wuchergesetzgebung und der wirk Ire hkeitsnäheren Preistrei-bereigesetze (bedeutsam bei Ausbeutung der Notlage des Käufers oder bei Ausnutzung von örtlichen Situationen zum Zwecke der Preis-maximierung) kann Preisanstiege vorweg unterbinden. Freilich hat man in Oesterreich den Eindruck einer sehr weitherzigen Auslegung dessen, was man als ,,Preistreiberei“ ansehen muß. Wenn auf lebenswichtige Güter bezogen, ist auch die Behinderung des freien Wettbewerbes Bewucherung oder Preistreiberei Da aber derzeit die politischen Gruppen mehrheitlich Produzenteninteressen vertreten sind die Konsumenten weitgehend schutzlos den Preisbestimmungen gewisser Ünternehmerkonzentra-

tionen ausgeliefert (die öffentlichen Unternehmungen können leider von dieser Behauptung nicht ausgenommen werden).

Die bisher angewendeten klassischen Maßnahmen der Preispolitik (deren Zahl wegen der Verschiedenheit der ökonomischen Situationen eine ungemein große ist), bedürfen einer Reihe von ergänzenden Preis bildungsmaß-nahmen, die man vor allem zu den dämpfenden P r e i s b i 1 d u n g s e 1 e m e n t e a rechnen muß. Es seien nachstehend einige dieser (an sich sekundären) Maßnahmen aufgezählt, die meines Erachtens geeignet erscheinen, Liik-ken in der Preispolitik da und dort aufzufüllen und auch in bisher der klassischen Preispolitik off verschlossen gewesene Räume hineinzuwirken, WB1?

1. Die Preise entwickeln sich meist in einem wenn auch keineswegs proportionalem Verhältnis zu den Selbstkosten. Diese sind bekanntlich jene Untergrenze, die auf lange Sicht bei der Preisbildung nicht unterschritten werden kann (ausgenommen bei subventionierten Unternehmungen). Nun ist aber das, was man heute oft als Selbstkosten bezeichnet, keineswegs identisch mit dem objektiven Güterverzehr im Rahmen der Leistungserstellung, sondern nicht selten ein willkürlich angesetzter Betrag, der bereits erhebliche Gewinnansätze enthält. Das gilt vor allem für jenen Kostenbestandteil, den man in Oesterreich als „R e g i e“ bezeichnet. Zuteilen wird mit Regiesätzen operiert, die von Kosten einer Zeit ausgehen, in der man noch ohne Maschinen produziert hat. Gleiches gilt für die Abschreibungen. Wenn ein Installateur für das Bohren eines Wandloches (Arbeitsdauer zirka zwei Minuten) je gebohrtes Loch eine Amortisation von 5 S (wegen der „Abnutzung“ des Bohreis) verlangt, kann man sich dieser grotesken Rechnung kaum anschließen. Daher scheint es geboten, bei den Gütern des engeren Existenzbedarfes da und dort, wo es sich um besonders gewichtige Preise handelt, diese auch bis in die Selbstkostenrechnung hinein zu überprüfen. Die Bewucherung erfolgt heute weniger durch die Gewinnsätze, sondern eher durch den Einbau von falschen Kostenquoten.

Ebenso ist es notwendig, neuerlich das Problem des sogenannten 'funktionslosen Zwischenhandels aufzugreifen. In diesem Zusammenhang ist es interessant, zu beobachten, mit welcher Großzügigkeit in der Sparte ..Handel“ Gewerbeberechtigungen erteilt werden, vor allem an Ausländer (die es freilich im Moment der Gewerbeanmeldung nicht mehr sind), womit einer neuerlichen Lleberfremdung des österreichischen Handels Vorschub geleistet wird. Der Großhändler hat u. a. die Aufgabe, die Produkte auf dem kürzesten und billigsten Wege zum Konsumenten zu bringen Statt dessen ist es so, daß nicht wenige Großhändler die Waren bloß hin und her schieben, wobei durch diese Pendelbewegung der Waren jeweils Handelsspannen zuwachsen Das soll gesagt werden, auf die Gefahr hin, als „handelsfeindlich“ hingestellt zu werden, während tatsächlich durch die abstrakten und kostensteigernden Manipulationen mancher Händler die große Zahl der Händler, die echte Handelsfunktionen erfüllen,

geschädigt wird. Ein Beispiel aus Westdeutschland (siehe „Rheinischer Merkur“ vom 26. August 1955): Im Zeitraum, eines halben Jahres wurden in der Bundesrepublik 79.000 Tonnen Fleisch mehr auf den Markt gebracht. Die Konsumenten zahlten um 76 Millionen D-Mark mehr, die Bauern erhielten trotz größerer Anlieferung um 27 Millionen D-Mark weniger. Die Differenz von über 100 Millionen D-Mark aber blieb auf der Strecke zwischen Erzeuger und Konsumenten.

2. Die Preispolitik kann nicht auf alle Güter Bezug nehmen. Es genügt, wenn sie sich im Prinzip die Einflußnahme auf die Güter des Existenzbedarfes vorbehält. Nun scheint es aber, als ob wir heute mit einem Begriff des Existenzminimums arbeiten, der den Konsumgewohnheiten dieser Zeit nicht mehr recht entspricht. Ist doch-das, was das Leben erst lebensweit macht (also die Summe der Güter des Massenluxus), heute bereits ein Teil des schwer abweisbaren Bedarfes. Im Motivenbericht zum Preistreibereigesetz werden dagegen u. a. goldene Uhren zu lebenswichtigen Gütern erklärt. Wenn die Preispolitik auch auf die Preisempfin-d u n g der „Massen“ Rücksicht nehmen will, muß eine Reihe von Gütern, die man bisher zu den „Luxusgütern“ gerechnet hat, in die engere Preispolitik und Preisaufsicht einbezogen werden (etwa die große und heikle Gruppe de/ „Haushaltartikel“, die man freilich zumindest gewerberechtlich nicht abgrenzen kann). Die Grundlage- einer Neubestimmung dessen, was beim Durchschnittshaushalt bzw. bei den Durchschnittshaushalten je soziale Schichte, zum Existenzminimum gehört, setzt freilich eine R e-gulierung des Systems der Haus-haltsstatistiken voraus.

Weiter gibt es heute mehr denn je Konsumanreize (durch Werbung und Film), welche die Massen bestimmen, ihre Kaufkraft zu verschwenden. Die Folge ist eine Verknappung bei bestimmten Gütern des gehobenen Existenzbedarfes, etwa bei Haushaltgeräten. Mari* hat dann seinen Mixer, aber nichts zum Mixen, seinen Eiskasten, aber nichts zu „vereisen“. Dazu kommt noch der Anreiz des Ratenzahlungsgeschäftes, der ebenfalls (durch zusätzliche Kreditkosten und Verknappung) die Preise der typischen Güter des Ratenzahlungsgeschäftes steigern hilft.

3. Bei der Einflußnahme auf die effektive Nachfrage geht es nicht nur darum, ihre Größe zu regulieren (mit .welcher Methode wir uns nicht recht einverstanden erklären können), sondern u. a. auch darum, den Zeitpunkt d es Zuflließen* des Einkommens zu regeln. Die Schaffung von verfügbarer Massenkaufkraft knapp vor Weihnächten (Remunerationen und Abhebungen bei den Sparvereinen) vermindert den Konsumeffekt der Zuwendungen bzw. der Abhebungen. Die Geschenkartikel werden in Anpassung an die massierte und zeitlich durch den 24. Dezember gebundene Nachfrage im dritten Quartal fast jeweils teurer. Es wäre, daher zu erwägen, die für die Finanzierung der Weihnachtseinkäufe gedachten zusätzlichen Bezüge nicht in einem Betrag (das heißt auf einmal) auszuschütten, sondern in Etappen (wie es etwa bei den öffentlich Bediensteten ohnedies geschieht).

4. Aehnliches gilt für dieDosierungder öffentlichen Aufträge, deren volkswirtschaftliches Gewicht von Jahr zu-Jahr steigt. Die Erteilung von Aufträgen kurz nach der Beschlußfassung über das Budget verknappt das Anbot bei vielen Gütern, gar nicht zu sprechen von der durch zeitlich falsche Dosierung der Staatsaufträge entstandenen (und sachlich nicht gerechtfertigten) Ueberstunden.

5.' Schließlich ist im Interesse der Ordnung unseres verzerrten Preisgefüges endlich einmal an eine kompensatorische Preispol i t i k zu denken. Seinerzeit wäre es möglich'gewesen, Steuerreduktionen (die früher für die unteren Einkommensschichten von Bedeutung gewesen sind) mit unvermeidbaren Preissteigerungen zu verbinden, besser zu synchronisieren. Also Steuerermäßigung gegen Erhöhung des Milchpreises. Ich kenne den Einwand: Die Belastung auf der einen Seite und die Einkommenssteigerung auf der anderen Seite werden sich je Haushalt nie ausgleichen. Sicher ist es so. Aber die bisher gewählte Form war vom Sozialen her gesehen kaum besser, gar nicht zu reden davon, daß das zeitliche Auseinanderfalten von Preissteigerungen und allgemeinen Einkommenserhöhungen psychologisch nicht die erhoffte Wirkung gebracht hat. Wir kommen min zum Beispiel nicht über die Bereinigung des Milchpreises hinweg und über die Liquidation des Systems der gestützten Preise, wobei von wenigen bedacht wird, daß die Kosten der Preisstützung ohnedies nicht allein die „Reichen“ tragen, sondern direkt oder indirekt die Masse der Abgabepflichtigen. Dazu kommt, daß auch

unter Beibehaltung der Preisstützung bei einigen sehr gewichtigen Produkten wie beim Brot eine Preiserhöhung (wenn auch keine beträchtliche) unvermeidbar ist, soll die Stützung nicht erhöht werden. Für die Zukunft müßte man nach meinem Dafürhalten, soweit technisch möglich, zu einer gesamtwirtschaftlichen Preispolitik kommen und zum Beispiel unvermeidbare Preiserhöhungen zu einem Bündel zusammenfassen und sie mit Abgabereduktionen und einer Erhöhung der sozialen Ergänzungsprämien (Kinderbeihilfe u. ä.), die zum gleichen Zeitpunkt

(und nicht um vierundzwanzig Stunden früher) wirksam sein müssen, ausgleichen. Freilich dürfte eine Preispolitik der oben geschilderten Art nur besonders gewichtige Güter zum Gegenstand haben. Die Verbilligung der Einfuhr der von „Herrschaften abgelegten“ exhumierten Altwagen aus dem Ausland könnte kaum mit einer Erhöhung des Milchpreises kompensiert werden.

Neben vielen Fragen der aktuellen Preispolitik ist noch die Frage offen, wer bzw. welche Institution oder welches die Entscheidung der Wirtschafts-

ministerien koordinierende Organ diePrinzipien der volkswirtschaftlichen Preispolitik durchsetzen kann. Wer hier einen Vorschlag macht, hat jeweils die Mehrheit aller jener Menschen gegen *ich, die in der Frage Preispolitik eine Meinung haben. Um einer, wie ich glaube, unnützen Diskussion auszuweichen (weil ja auch die Fragen der Preispolitik wie es so schön heißt, auf „höchster Ebene“ entschieden werden), halte ich in der Sache fest:

1. Preispolitik ist ohne Apparat und ohne eine je nach Bedarf mehr oder weniger stark wirksame Anordnungsgewalt kaum möglich. Dabei ist es heute ja so, daß in allen Fragen der Wirtschaftspolitik die Auseinandersetzungen nicht um die Frage, ob Planung oder nicht gehen, sondern lediglich um das Ausmaß der Planungsmaßnahmen und um die institutionelle Art (ob Planung über die Behörden oder über die Verbände und die Führung der unternehmerischen Konzentrationsgebilde); 2. heißt Preispolitik meist rasch handeln. Und nicht Versenken in preistheoretische und sozialphilosophische Meditationen, die für ein Handeln auf lange Sicht, aber nicht für Sofortmaßnahmen nützlich sein können.

3. Keine Preispolitik ist auch eine Preispolitik. Wer nun Preispolitik will ohne Institutionen und ohne feste Koordination der wesentlichen Kräfte der Wirtschaft, ist für jenes System asiatischer Apathie, das bisher unsere Preispolitik nicht selten ausgezeichnet hat.

Die Frage des Preises steht heute nicht mehr im Mittelpunkt des wirtschaftlichen Denkens. Wir sollten aber trotzdem nicht vergessen, daß zur Pflege des Menschen lind zur Förderung der Sozialreform auch die Pflege des Preises Sehört

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