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Herr oder Knecht ?

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Die „Katholische Studierende Jugend Österreichs“ (KJSÖ) wartete kürzlich mit einer Vielzahl revolutionierender Anregungen zur Schulreform auf. Die Kritik ist klar: Alle Reformen werden so lange nur äußere Kosmetik und daher unwirksam bleiben, solange man versucht, die Schule als eine von der Gesellschaft ausgegrenzte (d. h. unpolitische) Größe zu betrachten, die in keinerlei Relation zur übrigen Gesellschaft steht und sich daher auch in ihrem institutionellen Verhalten und in ihrer Struktur ebensowenig an dieser zu orientieren hat wie in ihren Bildungsinhalten.

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Die „Katholische Studierende Jugend Österreichs“ (KJSÖ) wartete kürzlich mit einer Vielzahl revolutionierender Anregungen zur Schulreform auf. Die Kritik ist klar: Alle Reformen werden so lange nur äußere Kosmetik und daher unwirksam bleiben, solange man versucht, die Schule als eine von der Gesellschaft ausgegrenzte (d. h. unpolitische) Größe zu betrachten, die in keinerlei Relation zur übrigen Gesellschaft steht und sich daher auch in ihrem institutionellen Verhalten und in ihrer Struktur ebensowenig an dieser zu orientieren hat wie in ihren Bildungsinhalten.

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Das Problem Schule nimmt in jeder gesellschaftspolitischen Überlegung einen zentralen Platz ein. In der um das Bildungswesen entbrannten Diskussion herrscht Einigkeit über die Tatsache, daß das herkömmliche, momentan gehanidihabte Unterrichtssystem von Anachronismen überwuchert und nicht elastisch genug ist, junge Menschen für das magische Jahr 2000 auszubilden. Die Berufsund Arbeitswelt der Zukunft erfordert infolge ihrer Mobilität und ihres Wertpluralismus nicht bedingungslose Anpassung, sondern kritische Rationalität. Wichtigste Forderung der KJSÖ ist die Umgestaltung der derzeit typengespaltenen Schule in eine Gesamtschule aller Sechs- bis Siebzehnjährigen, an die sich organisatorisch weiterführende Schulen von ein- bis dreijähriger Dauer anschließen. Diese Gesamtschule soll nicht nur die aus dar sozioökonomischen Struktur der Gesellschaft resultierende Chancenungleichheit beseitigen, sondern auch durch ihre Fixierung auf Kern-und Wahlfächer eine durch Differenzierung erweiterte Fächerkombination ergeben. Damit eng verbunden ist eine Reform der inneren Struktur: Eine neue Schulordnung wird das Herr-Knecht-Verhältnis, das sich im Verhältnis der Lehrer zu den Schülern spiegelt, beseitigen. Außerdem fordert die KJSÖ die Schaffung von Berufungsinstanzen für Disziplinarfälle, für Berufung gegen Noten und Zeugnisse und für die Behandlung auch aller anderen innerschulischen Konflikte, die durch Schüler und Lehrer paritätisch beschickt wird. Ein Gremium, das aus 50 Prozent von gewählten Lehrervertretern und zu 50 Prozent aus gewählten Schülervertretern besteht, soll alle Angelegenheiten von gemeinsamem Interesse behandeln. Den Kern der Alternativvorschläge bilden umstrukturierte Lehrmethoden und Inhalte. Die Einführung der Teamarbeit der Lehrer, alternative Pflichtgegenstände, Diskussionen, Gruppenunterricht, programmierter Unterricht und die Heranziehung außerschulischer Fachleute sowie Reflexionsstunden als Erfolgskontrolle geben auch einseitig begabten Schülern die Möglichkeit, Lernerfolge zu erzielen. Die stufenweise Mitbestimmung der Schüler bei Unterrichtsinhalten soll die Wissensbasis verbreitern, und die selbständige Bearbeitung und Darlegung eines speziellen Problems wind die Note als Belohnung überflüssig machen. Auf Grund der in dem Reformpapier dargelegten Analysen soll ab Frühjahr 1971 eine durchgängige Modellschule verwirklicht werden, um die Vorschläge, Anregungen und Forderungen am Prüfstand der Realität zu untensuchen. Die Lehrergruppe, die dieses Modell, das auf fünf bis sechs Jahre befristet ist, durchführen will, hofft, ihren Schulversuch mit Zustimmung des Unterrichtsministers Leopold Gratz realisieren zu können, da ein Schulmodell ohne öffentlichkeitsrecht untauglich erscheint.

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