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„Hochschulüberfüllung"- kein Problem 1

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In den letzten Jahren wurden immer wieder : aus verschiedenen Anlässen Probleme des Hoch- : Schulwesens in das Blickfeld des öffentlichen Interesses gerückt. Ob es sich nun um das Streben nach besserer Dotierung der Hochschulen handelte, um Demonstrationen vonStudenten oder Gastärzten oder um Forderungen der Mittelschullehrer, immer waren dies Kriterien eines Zustandes, der durch diese und ähnliche Auswirkungen alarmierend schien, von i dessen Voraussetzungen und Zustandekommen jedoch wenig bekannt ist.

Dank einer im Wintersemester 195354 erstmalig mit Hilfe direkter Befragung der Studenten selbst durchgeführten statistischen. Erhebung ist es möglich, der Diskussion dieser Probleme die notwendige zahlenmäßige Fundierung in bezug auf Umfang und Beschaffenheit des akademischen Nachwuchses zu geben, da Ergebnisse gewonnen werden konnten, die über den Umfang des bisher verfügbaren Zahlenmaterials weit hinausgehen und damit wertvolle Einblicke in bis jetzt noch ungeklärte Fragen gewähren. Diese neuen Ergebnisse gestatten, bisher nur auf spärliche Grundlagen aufgebaute Behauptungen zu belegen bzw. zu widerlegen.

Daß alle mit den Hochschulen im Zusammenhang stehenden Fragen nicht nur für einen eng begrenzten Personenkreis von Interesse sind, steht nicht nur deshalb außer Debatte, weil die Finanzierung eine öffentliche Angelegenheit ist, sondern vor allem, weil die Heranbildung der Akademiker jeden angeht, da jene in ihrem späteren Beruf wichtige Funktionen auszuüben haben, die in ihren Auswirkungen jeden einzelnen betreffen. Es gibt heute wohl kaum einen Menschen, der nicht irgendwann in seinem Leben mit einem Arzt, einem Apotheker, einem Priester, einem Rechtsanwalt, einem Mittelschullehrer oder mit einem Richter zu tun hafte. Es kann uns allen nicht gleichgültig sein, ob z. B. ein Mittelschullehrer, dem die Bildung und Erziehung der Jugend anvertraut ist, eine gründliche Ausbildung erfahren hat oder nicht, oder ob der Arzt, dem Menschenleben anvertraut sind, die entsprechenden Kenntnisse und insbesondere das erforderliche Berufsethps besitzt oder nicht. Diese Kenntnisse. Fähigkeiten und vor allem auch die geistige Grundhaltung sind Dinge, die die Hochschulen zu vermitteln, aber auch selbst zu pflegen und weitetzuentwickeln haben, und sie werden dies in um so vollendeterer Form imstande sein, je besser die Bedingungen für ihr Wirken sind.

Neben all den Voraussetzungen finanzieller Art, die - die Finanzgebarung des Staates betreffen und sich im Umfang des Personal- und Sachaufwandes auswirken, sind es vor allem die Studierenden selbst, von deren Zahl und Zusammensetzung der Bildungserfolg und damit der Nutzen für die Gesamtheit abhängt.

Die zahlenmäßige Entwicklung der Studentenschaft und ihre Struktur spiegeln die politischen, sozialen und wirtschaftlichen Wandlungen, aber auch umgekehrt werden durch ungesunde Zustände in der Hochschülerschaft — einerseits durch ihr bloßes Vorhandensein, anderseits durch ihre Auswirkungen für die Zukunft — wirtschaftliche und soziale Probleme geschaffen. Aus diesem Grunde genügt es nicht, nur die Entwicklung der Gesamtfrequenz der Hochschulen zu verfolgen. Um die Frage der Eingliederung der Akademiker in das berufliche Leben zu klären, müssen Zahlen zur Verfügung stehen, die über Fachrichtung, Semesterverteilung, Altersaufbau. Anteil d’er Frauen und der Ausländer und vieles andere mehr Aufschluß geben.

Aus der Fülle der bereitstehenden Zahlen„Oesterreichische Hochschulstatistik“, herausgegeben vom Bundesministerium für Unterricht und vom Oesterreichischen Statistischen Zentralamt, Verlag Oesterreichische Staatsdruckerei, 1954.

sei ein Teil für die Betrachtung einiger Gesichtspunkte aus dem Fragenkomplex betreffend die Studierenden der österreichischen Hochschulen verwendet.

Die Entwicklung der Gesamtfrequenz der österreichischen Hochschulen verlief in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und im 20. Jahrhundert bis zum ersten Weltkrieg gleichmäßig ansteigend. Im Wintersemester 190910 betrug die Zahl der Hochschüler nahezu 20.000. Mit Beginn des ersten Weltkrieges setzte eine bewegtere Entwicklung ein, die gekennzeichnet ist durch Tiefpunkte während der beiden Kriege und Maxima jeweils in den ersten Nachkriegsjahren. So erreichte die Gesamtzahl der Studierenden im Wintersemester 192122 rund 30.000, wovon etwas mehr als 3000 weibliche Studierende waren, nach dem zweiten Weltkrieg im Jahre 194647 rund 35.000, von welchen über 8000 Frauen waren. Die Zahl der männlichen Studierenden betrug somit zur Zeit des Höchststandes nach dem zweiten Weltkrieg nur um 2000 mehr als nach dem ersten Weltkrieg, was umso bedeutsamer ist, als in der fraglichen Zeit die Gesamtbevölkerung angewachsen ist. Im Jahre 1920 entfielen auf 10.000 Personen 44 Studierende, im Jahre 1951

nur 33. Das zeigt, daß das Problem der Ueber- füllung der Hochschulen auch schon nach dem ersten Weltkrieg aktuell war und daß nach dem zweiten Weltkrieg infolge der inzwischen enorm gesteigerten technischen Entwicklung und schließlich auch wegen des Ausbaues der kulturellen Einrichtungen eine größere Zahl von Studierenden gerechtfertigt erscheint.

Seit dem Jahre 194647 ist die Zahl der Hochschüler wieder im Sinken begriffen und im Wintersemester 195354 mit 20.011,Studierenden auf dem Stand angelangt, der schon 190910 fast erreicht war.

Den Studierenden stehen in Oesterreich gegenwärtig zehn wissenschaftliche Hochschulen und vier Kunsthochschulen zur Verfügung, die zum Teil auf eine Jahrhunderte währende Traditiot zurückblicken können. Die ältesten Hochschulen sind die Universitäten Wien, Graz und Innsbruck, zu denen auch die Theologische Fakultät Salzburg zählt, obwohl ihr der Universitätscharakter im ursprünglichen Sinne des Wortes nicht zukommt. Die anderen Hochschulen — mit Ausnahme der Tierärztlichen Hochschule in Wien und der Akademie der bildenden Künste in Wien —- sind Schöpfungen des 19. Jahrhunderts.

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