6633733-1957_02_04.jpg
Digital In Arbeit

Hoffnung auf die „unbekannten Seelsorger“

Werbung
Werbung
Werbung

Alljährlich um die Weihnachtszeit begibt sich in Wien ohne viel äußeren Lärm ein Ereignis, dessen Einfluß auf die Linie der geistigen Entwicklung m Oesterreich wohl nicht gemessen und gewogen werden kann, aber gewiß nicht unterschätzt werden darf — die Weihnachts- Seelsorgertagung des Oesterreichischen Seelsorgeinstitutes. Einige hundert Priester kommen da zusammen, aus Welt- und Ordensklerus, der dörfliche Pfarrherr, der sportliche Jugendkaplan, der Professor, der Prälat, die Leiter der großen Stadtpfarren und der seelsorglichen Zentralstellen, immer mehr auch wieder Freunde aus dem benachbarten Ausland. Gemeinsam ist allen Teilnehmern, daß sie auf den Wegen der Seelsorge „Suchende“ sind, den Ruf der Zeit erkannt haben und von dem auf der Tagung Gebotenen Hilfe zur Meisterung ihrer Aufgabe erwarten. Daher die eigentümlich bewegte, bisweilen auch kritische und debattierfreudige, aber doch letztlich immer optimistisch auf die Zukunft gerichtete Grundstimmung dieser Zusammenkünfte.

Unter den aktuellen Themen dieser Tagungen war wohl das diesjährige eines der aktuellsten. Schon die Formulierung „Die Kirche und die Welt des Arbeiters“ enthält eine Feststellung: bei der immer wieder geforderten „Wiedergewinnung der Arbeiter für die Kirche“ geht es nicht um eine Rückgliederung von Individuen, sondern letztlich darum, daß die Kirche wieder Raum finde in der in sich geschlossenen Lebenswelt des Arbeiters in der industriellen Gesellschaft. Gründliche Kenntnis dieser Lebenswelt ist demnach Voraussetzung für jede Aktion in dieser Richtung, und es ist von entscheidender Wichtigkeit, daß die Seelsorger nicht mit Klischees von vorgestern an die industrielle Gesellschaft, die sich nun schon in ihrer zweiten Revolution befindet, herangehen. So kam bei dieser Tagung — die heuer durch eine symbolische Fügung zum erstenmal im akademischen Raum, im Auditorium Maximum der Wiener Universität, stalt- fand, die profane Wissenschaft der Soziologie zu Wort vor einer Zuhörerschaft, in der auch die lehrende Kirche durch fast alle jüngeren Glieder des österreichischen Episkopates vertreten war.

Nach einer grundlegenden Darstellung der Wertung der Arbeit in christlich-theologischer Schau, die Erzbischof Dr. König gab, führte ein Ueberblick über die geschichtliche Entwicklung des Verhältnisses der Arbeiterschaft zur Kirche (Dr. B o d z e n t a, Wien) zu der Erkenntnis, daß in der Zeit des Hochkapitalismus, da unmenschliche Lebensbedingungen und Sonntagsarbeit dem werdenden Arbeiterstand den Zugang zu einem kirchlich-christlichen Leben faktisch versperrten, die Kirche der Not wohl durch Caritas abzuhelfen' suchte, aber in ihrer Verkündigung das institutionelle Unrecht allzulange übersehen hat. Eine Feststellung, die in der Zuhörerschaft verschiedene Reaktionen hervorrief: so den Hinweis auf die ja tatsächlich vorhandenen sozialen Einzelinitiativen im kirchlichen Bereich (nebenbei — auch auf diesem Gebiet hat Oesterreich auf Entdecker hinzuweisen — der Arbeiterjugend von Cardijn ging eine von Anton Orei gegründete katholische Arbeiterjugend in Oesterreich voraus, und den heutigen Arbeiterpriestern die Gründung des P. Schwartz, die Kalasantiner-Arbeiterpriester!) — aber auch die Feststellung, es habe der Vorsehung in ihrer Unerforschlichkeit offenbar gefallen, durch das Wirken außerkirchlicher (wenn ja auch letztlich von anonym-christlicher Ethik bestimmter) Kräfte die Arbeiter erst wieder in eine soziale Lage zu versetzen, die sie für die kirchliche Seelsorge neu zugänglich macht.

Denn — das zeigten die Untersuchungen von Professor Dr. Burghardt und von Dozent Dr. Rosenmayr — der Arbeiter in Oesterreich ist heute im großen gesehen nicht mehr proletarisch in der Lebenshaltung (man kann in höheren Schichten von einem „Arbeitsbürger“ sprechen, der sich in der Daseinssicherung kaum noch vom Besitzbürger unterscheidet) und — zumindest in den jüngeren Schichten — auch nicht mehr ideologisch gebunden und daher vielseitig ansprechbar.

Woher kommt es dann, daß die Kirche, die im Gesamt der menschlichen Gesellschaft, gegenüber der liberalen Zeit, wieder Fuß gefaßt hat und als Wahrerin der menschlichen Grundrechte auch von ihr fernstehenden Kreisen weithin anerkannt wird, doch noch vielfach gänzlich außerhalb des Lebensraumes des Arbeiters — im kleinen Bereich gesehen — steht? Von den Hindernissen, die die sehr tiefgreifenden Erwägungen des Innsbrucker Soziologen Pater S c hasch i n g SJ. aufgezeigt haben, seien nur einige erwähnt: Der Mensch des industriellen Zeitalters und damit der Arbeiter wird durch die technischen Errungenschaften so sehr gegen die Erschütterungen durch Wechselfälle des Lebens abgeschirmt, daft er nur noch in Grenzsituationen für das Transzendente ansprechbar ist. Weiter ist für den Arbeiter in der heutigen Gesellschaft Ort und Zeit vielfach aufgebrochen, aufgelöst, so daß sich die seelsorglichen Formen der Kirche mit ihren zeitgebundenen Verpflichtungen und ihrer ortsgebundenen Organisation nur schwer in sein Leben einbauen lassen. Wie fügt sich der Rhythmus von Morgengebet und Abendgebet in den Schichtwechsel, die sonntägliche Meßfeier in die gleitende Arbeitswoche? Wie kann eine Bindung an die Pfarre bestehen, wenn ein Arbeiter in seiner Arbeitszeit, seinem häuslichen Leben und seiner Freizeitgestaltung vielleicht in drei verschiedenen Milieus beheimatet ist?

Soziale Konformität deT Seelsorge ist Voraussetzung für die Eingestaltung der Kirche in die industrielle Gesellschaft, aber gewiß auch das Mühen um die Gestaltung des wirtschaftlich-sozialen Bereiches nach christlichen Grundsätzen. Hier ist vor allem die unermüdliche Verkündigung der ethischen Grundsätze zu praktischen Fragen Aufgabe der Seelsorge. — Daher die Notwendigkeit für den Seelsorger, die kirchliche Soziallehre zu kennen (die von P. R i e n e r sehr klar zusammengefaßt dargelegt wurde), aber auch zu wissen um die Gefahr der einseitigen „Dogmatisierung“ bestimmter Lösungen und um die Abgrenzung der Aktion des Priesters und des Laien.

Welche Impulse zum „Handeln“ wurden nun — nach Cardijn — aus dieser reichen Fülle des „Sehens“ und „Urteilens" geschöpft? Letztlich mündete alles, was (in den Referaten der Arbeiterseelsorger Z o r z i, Innsbruck, P. Z eini n g e r und P. R e i s i n g e r, Wien) über die seelsorglichen Einsatzmöglichkeiten gesagt werden konnte, in dem Ruf nach katholischen Arbeiter-Aktivisten und -Aktivistinnen, die — vom Seelsorger in das innere Leben und eine lebendige Beziehung zu Christus und zum Evangelium eingeführt — im bewußten Betriebsapostolat durch aktives Einschreiten gegen alles Unrecht die Luft im Betrieb zu reinigen versuchen, und durch ihr Beispiel — auch in berufsethischer Hinsicht — und ihre Hilfsbereitschaft den Arbeitskollegen einen Zugang zur Kirche eröffnen. Daß es solche Aktivistentypen schon gibt, zeigte ein abendliches Gespräch zwischen Seelsorgern und Laienführern, jungen Menschen, die ungeschminkt und mit echt bodenständigem Humor von ihrem Wirken im Betrieb berichten und große Worte, wie „Christus den Arbeitern nahebringen“ oder „für Christus Zeugnis geben“, in aller Schlichtheit aussprechen können, ohne daß dabei ein falscher Ton mitschwingt.

Die Hilfsbereitschaft für den Arbeitskameraden wird heute oft durch Tätigkeit auf institutioneller Ebene oder durch Beratung auf den Gebieten des Arbeitsrechtes und der Sozialversicherung verwirklicht werden müssen. Daher die — von Nationalrat Dr. Kummer besonders betonte — Wichtigkeit der sozialen Schulung der katholischen Arbeiterführer und Aktivisten, zu deren Organisation sich alle auf diesem Gebiet tätigen Stellen zusammenfinden müßten; der Gedanke einer katholischen sozialen Akademie fand lebhafte Zustimmung.

Freilich wird es vor allem darauf anko;nmen, daß Priester da sind, die solche Aktivisten finden, wecken und bilden können. Sie müssen — eine immer wieder erhobene Forderung — eine Sprache sprechen, die der Arbeiterversteht. Sie müssen das Arbeitermilieu wirklich kennen, wenn möglich aus eigener Anschauung (Bischof Dr. Rusch berichtete über Erfahrungen mit Ferienpraktika der Theologen). Vor allem brauchen sie echtes Mitempfinden mit den Nöten dieser doch — trotz aller materiellen Besserstellung — noch in vieler Hinsicht — vor allem in der menschlichen Wertung am Arbeitsort — benachteiligten Brüder und Schwestern. So ruht letztlich die Hoffnung der Kirche angesichts der Welt des Arbeiters auf den „unbekannten Seelsorgern“, wie sie Rektor Dr. S c h i m a in seiner Begrüßungsansprache nannte, die sich in mühevoller Kleinarbeit und mit viel Geduld, auf den Heiligen Geist vertrauend, auf steinigem Boden mühen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung