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Hohe Tarife, laxe Kontrolle

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Das neue Klagerecht für die höheren Stufen des Pflegegeldes (Furche 27/1995) ändert nichts am unübersichtlichen Pflegealltag: Die Heime erhöhen die Tarife, private Dienstleister arbeiten großteils ohne Qualitätskontrolle, dazu kommen Personal- und Gebäudemängel.

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Das neue Klagerecht für die höheren Stufen des Pflegegeldes (Furche 27/1995) ändert nichts am unübersichtlichen Pflegealltag: Die Heime erhöhen die Tarife, private Dienstleister arbeiten großteils ohne Qualitätskontrolle, dazu kommen Personal- und Gebäudemängel.

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Die Verteilung der 22 Milliarden Schilling Pflegegeld klappte bisher wider Erwarten so gut, daß nun auch für die höheren Stufen drei bis sieben ein Rechtsanspruch geschaffen wurde. Das könnte durchaus für Spannung sorgen, denn hier gibt es einiges zu holen.

Verstärkte Geldmittel, so monieren allerdings selbst jene Kritiker des Gesetzes, die den neuen Rechtsanspruch gutheißen, sagen noch lange nichts über die Qualität der Pflege im Alltag der Redürftigen aus. Hier gibt es die meisten Probleme. Doch gerade dabei hat das Pflegegeldgesetz wenig Ein-flußmöglichkeiten.

Die Großzügigkeit in der Auszahlung, Wertsteigerung und Anspruchsberechtigung für das Pflegegeld basieren auf zwei Grundgedanken: die völlige Unabhängigkeit von der persönlichen Einkommenssituation bei der Einstufung und die völlige Unabhängigkeit der persönlichen Verwendung der Mittel. Reides ist durchaus unüblich im Sozialstaat Osterreich.

So orientieren sich etwa die Pflegeheime in der Mittelaufbringung bei ihrer Finanzierung durchaus an der wirtschaftlichen Situation ihrer Pfleglinge: Wer mehr hat, muß auch mehr zahlen, denn prinzipiell werden 80 Prozent des Einkommens (Pension und Pflegegeld) im Wege des Regresses gleich vom Heim einbehalten, 20 Prozent bleiben dem Pflegling als Taschengeld. Dieser Regreßanspruch gilt auch für etwaige Wohnungen oder Häuser im Eigentum der Heimbewohner: auch hier hat der Heimbesitzer im Todesfall noch vor den Erben den Anspruch darauf, sollten im Laufe der Pflegezeit nicht alle Kosten durch Geldzahlungen des Pfleglings gedeckt worden sein. In manchen Rundesländern werden sogar die Nachkommen noch zur Abdeckung eines Defizits zur Kasse gebeten.

Daß die Auszahlung des Pflegegeldes im Gegensatz dazu nicht von der wirtschaftlichen Situation des Rezie-hers abhängt, war schon zu Reginn umstritten. Nach Inkrafttreten des Klagerechts für die höheren Stufen wird wohl an diesen Eckpfeilern nun wieder verstärkt gerüttelt werden. Und nicht nur mit altlinken Umverteilungstheorien im Hinterkopf, sondern um drohenden Kostenexplosionen entgegen zu wirken. So ist es etwa die Abgeordnete und Familiensprecherin der Steirischen VP, Ridi Steibl, die bereits eine Abstufung des Pfleggeldes nach Einkommen verlangt: „Es geht nicht an, daß einer mit 50.000 Schilling Pension das gleiche Pflegegeld bekommt, wie ein Mindestrentner”.

Die Mittelverwendung ist tatsächlich eine der großen Unbekannten in der jetzigen Pflegegeldregelung. Denn der zweiten großen Errungenschaft des Gesetzes, für die Auszahlung der Mittel in ganz Österreich ein einheitliche Rasis geschaffen zu haben, steht das Ungleichgewicht in den infrastrukturellen Pflege-Voraussetzungen in den einzelnen Rundesländern gegenüber. Denn wo überbelegte Landesheime oder Privatdienste zu Wucherpreisen den Pflegemarkt dominieren, nutzt auch das viele Geld nichts.

Die tatsächliche Qualitätsverbesserung durch das Pflegegeld für Pflegebedürftige einzuschätzen, fällt demnach auch den direkt damit befaßten Stellen schwer. Josef Juch, verantwortlicher Direktor des Hauptverbandes der Sozialversicherungen: „Wieweit real eine Verbesserung eingetreten ist, ist kaum zu sagen”. Der Wiener Gesundheitsstadtrat Sepp Rieder wittert jedenfalls Mißbrauch und fordert Überprüfung des Mitteleinsatzes: „Der große Schönheitsfehler des Gesetzes müßte beseitigt werden, denn es ist völlig ungeklärt, wieviele der Mittel tatsächlich in die Pflege und wieviele davon in den Sparstrumpf wandern”. In Wien würden nämlich für 70 Prozent der Leistungsbezieher nach Abzug der Kostenbeiträge an die Pflegeeinrichtungen noch die Hälfte des Pflegegeldes überbleiben, schätzt Rieders Beamter in der MA47 in einer Studie. Rieder hofft, daß der Rest, wie geplant, zur Entlastung der privaten Pflege herangezogen wird: „Wenn nicht, wäre das ein falscher Schritt der Pflege-Privatisierung.”

Die Expertin der Arbeiterkammer, Monika Weißensteiner, kontert: „Unbestritten ist jedoch auf der anderen Seite auch, daß die Tarife in diversen Pflegeeinrichtungen ab dem Moment erhöht wurden, als die Heimbewohner mit dem Pflegegeldgesetz mehr Geld zu Verfügung hatten, als zuvor”. Das heißt, die Erhöhung der Mittel wurde sofort von einer Erhöhung der Tarife wettgemacht. Seither hat sich auch noch der Markt an privaten Pflegeeinrichtungen vervielfacht, dessen Qualitätskontrolle sich mehr als kompliziert und lax erweist. Mindeststandards sind erst im Enstehen.

Der Vorwurf, daß sich die Eigentümer der Heime, seien es nun hauptsächlich private, wie etwa in der Steiermark, oder öffentliche, wie in Niederösterreich, „über das Pflegegeld budgetär wesentlich sanieren können”, wie es etwa die Freiheitliche Abgeordnete und Sozialsprecherin Helene Partik-Pable vermutet, ist dennoch zu dick aufgetragen. Denn die Lända|ipnd laut einem Stäatsver-trag mit dem Rund verpflichtet, ihre Heimstandards zu verbessern. Niederösterreich etwa investiert über zwei Milliaren Schilling in den Ausbau semer PfTegeeinrichtungen in den nächsten drei Jahren, in Wien sind es im gleichen Zeitraum auch eineinhalb. Rereits in den letzten beiden Jahren subventionierte die Stadt diverse Alten- und Pfegeeinrichtun-gen mit 418 Millionen Schilling.

In Summe, so stellte das Osterreichische Rundesinstitut für Gesundheitswesen bereits 1993 in einer Studie fest, wird die Sanierung der Österreichischen Pflegeheime mindestens 35,2 Milliarden Schilling kosten. Sollte Österreich tatsächlich internationalen Standard erreichen wollen (Ret-tenmehrbedarf von rund 12.000, Neubau statt Sanieren, Personalaufstockung) schlägt sich das sogar mit 62 Milliarden Schilling zu Ruche.

Auch für die Privaten wird es langsam eng. Die kurze Goldgräberstimmung, die angesichts der 22 Milliarden Schilling bereitwillig ausgeschütteten Pflegegelder in der Rranche aufgekommen ist - die Alten- und Seniorenresidenzen boomen - dürfte rasch vorbei gehen: In der Steiermark regelt seit Jahresbeginn ein neues Heimgesetzt auch den Standard der dortigen 280 privaten Heime. Die teilweise lediglich mit einer Gastronomiekonzes-sion betriebenen Einrichtungen müs-seri nun Mindestkriterien erfüllen, tffl'ri den Genuß der Landessubvention zu kommen. Das läßt ebenfalls ei -nen Investitionsschub in Milliardenhöhe erwarten. Und der wird die Mehreinnahmen durch das Pflegegeld für die Heimbetreiber sofort verpuffen lassen, wie die Zahlenverhältnisse in Niederösterreich zeigen: So lukrierte das Land tatsächlich etwa 80 Millionen Schilling an Mehreinnahmen seit der Einführung des Pflegegeldes, was sich aber bei einem Gesamtaufwand für die Altenpflege von 1,1 Milliarden Schilling kaum bemerkbar macht.

Für die Pfleglinge ändert sich an der Situation sehr wenig. Die Auswirkungen der Strukturverbesserung werden sich erst langfristig bemerkbar machen. Als bitteres Fazit bleibt: trotz der eingesetzten Geldmengen muß es schon als Erfolg gewertet werden, wenn sich die tatsächliche Situation real nicht verschlechtert hat.

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