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Hollands Anti-Rom Propaganda

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Demoskopie ist eine moderne Sache. Nicht alle modernen Sachen sind gut. Aber Demoskopie, Meinungsbefragung, Querschnittsforschung, Repräsentativuntersuchungen sind eine moderne Sache und eine gute Sache zugleich. Darum bedient sich auch die Kirche dieser soziologiewissenschaftlichen Hilfsmittel. Aber jedes Vorhaben ist nur dann in seinem Effekt gut, wenn es das Kriterium der Redlichkeit an sich trägt. Und beileibe nicht jede Meinungsforschung zeichnet sich durch wissenschaftliche Sauberkeit, Exaktheit und jene verschiedenartigen Rücksichtnahmen aus, die ein bestimmtes zu erforschendes Objekt dank seiner Natur verlangt

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Demoskopie ist eine moderne Sache. Nicht alle modernen Sachen sind gut. Aber Demoskopie, Meinungsbefragung, Querschnittsforschung, Repräsentativuntersuchungen sind eine moderne Sache und eine gute Sache zugleich. Darum bedient sich auch die Kirche dieser soziologiewissenschaftlichen Hilfsmittel. Aber jedes Vorhaben ist nur dann in seinem Effekt gut, wenn es das Kriterium der Redlichkeit an sich trägt. Und beileibe nicht jede Meinungsforschung zeichnet sich durch wissenschaftliche Sauberkeit, Exaktheit und jene verschiedenartigen Rücksichtnahmen aus, die ein bestimmtes zu erforschendes Objekt dank seiner Natur verlangt

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Das trifft in negativem Sinne bei der Meinungsbefragung im katholischen Klerus der Niederlande bezüglich des Zölibatsproblems auch zu. P. Giuseppe de Rosa SJ., der diesen Sachverhalt in der jüngsten Nummer von „Civiltä Cattolica“ (1969 IV 153—163) treffend analysiert und kommentiert, knüpft an seine Erkenntnisse die Frage nach dem wissenschaftlichen Wert und der theologischen Bedeutung der holländischen Meinungsforschung. Um sein Endergebnis vorwegzunehmen: er folgert, daß das Ergebnis der einschlägigen Befragung keineswegs die Basis für eine kirchliche Entscheidung über den obligatorischen Zölibat abgeben könne; vor allem wegen des theologischen Irrtums über den Begriffsinhalt des „sensus f idei“. Aber auch wegen der „Qualität“ der „kontestierenden“ Zölibatsgegner, wegen der methodischen Fehler und nicht zuletzt wegen der falschen Schlußfolgerungen aus soziologischen Prämissen auf eine theologische Konklusion. Eine Konsequenz, die man nur schlicht und einfach als manipuliert ansehen kann.

Das Vorhaben des niederländischen Episkopates war gewiß in der Grundtendenz ein gutes: durch eine reale Situationserhellung mittels einer Befragung soziologischer Natur die „Stimmung“ unter den Priestern, Diakonen, Subdiakonen zu erforschen. Dazu waren das Pastoralinstitut der holländischen Kirche und das Soziologische Institut der Universität Nimwegen dienlich. Ein Fragekatalog wurde erstellt, welcher 39 Quaestionen enthielt, und an 8879 Priester, Diakone und Subdiakone verschickt wurde. Von diesen antworteten 7381 Personen, das sind 84 Prozent der Befragten. Diese Antworten wurden von den Befragern „aufgeschlüsselt“:

• 27 Prozent der Befragten erteilten eine „konservative“ Antwort. Sie plädierten für eine Beibehaltung des obligatorischen Zölibats,

• 46 Prozent der Befragten plädierten für einen Wechsel der Verhältnisse auf Grund ihrer sogenannten „progressiven“ Auffassung.

• 27 Prozent der Befragten vertraten den Standpunkt, daß man die Zölibatspflicht keineswegs einer neuen Generalregelung unterwerfen solle. Sie motivierten ihre Vorstellung als pluriform.

Interessant ist die Frage an die holländischen Kleriker über ihre Meinung zum Weltrundschreiben Papst Pauls VI., „Sacerdotalis coelibatus“: 21 Prozent der Befragten akklamier-ten die apostolische Enzyklika, 45 Prozent wandten sich gegen diese Enunziation des rechtsgültigen Oberhauptes der Universalkirche und 35 Prozent enthielten sich eines exakten Votums. Eine Zahlenreihe, aus der keineswegs eine Phalanx des niederländischen Priestertums gegen Rom zu formieren sein dürfte. Noch „spannender“ werden die detaillierten Antworten, die zwischen „Meinung über den Zölibat im allgemeinen“ und „persönliche Meinung über die eigene Zölibatspflicht“ unterscheiden. Zum „Zölibat im allgemeinen“: 47 Prozent der Befragten bezeichnen ihn als konform der Nachfolge Christi, 49 Prozent meinen, daß er nach der heutigen Praxis dem persönlichen Glück des Priesters im Wege stehe. In der Problematik des „persönlichen Zölibats des

Befragten“ sieht die Ziffer allerdings anders aus: Nur 20 Prozent der befragten Kleriker mit den höheren Weihen vertreten die Auffassung, daß die Zölibatsverpflichtung für sie persönlich ein Hindernis oder schweres Hindernis für die eigene Glückserfüllung bedeutet. Man halte sich diese beiden Zahlen deutlich vor Augen: 49 Prozent der Befragten halten den „Zölibat im allgemeinen“, 20 Prozent den „eigenen Zölibat“ für eine persönliche Be-

drohung ihrer Lebenserfüllung. Das würde bedeuten, daß der Zölibat für sehr viele — nämlich 80 Prozent — durchaus von der spirituellen, gnadenhaften Warte her zu verstehen ist: als ein Versuch, mit Jesus gleichförmig zu werden, als eine Ebnung des Weges zur Vervollkommnung, zur sittlichen Reife, zur priesterlichen Heiligkeit.

Zölibat und Priesterbild

Entscheidend ist, daß man das Zölibatsproblem nicht isoliert, sondern nur im Zusammenhang mit dem Priesterbild sehen kann. Wie kommt nun dieses Vorstellungsbild von der Funktion des Priesters in der holländischen Befragung davon?

• 33 Prozent sehen im katholischen Priester den Mann des Kultes, der Sakramente, den Verkünder des Gotteswortes, der die Gläubigen zum übernatürlichen Leben führt.

• 29 Prozent erblicken in ihm einen Zeugen, einen Herold, einen Künder prophetischen Charakters, der in dieser Welt lebt, das Licht der Frohen Botschaft in das individuelle und soziale Leben zu tragen hat; sehen in ihm einen Mann, der nicht nur von Gott und vom Leben der Zukunft reden soll, sondern vielmehr den Gläubigen den Sinn ihres irdischen Lebens zu erschließen hat;

• 17 Prozent verstehen den katholischen Priesterberuf als ein bloßes Dienstamt, den Priester als einen Hirten, dessen Haupttätigkeit nicht im Kultischen, nicht im Sakramenta-

len, nicht in der Ausspendung der Heiligen Geheimnisse zu suchen ist, sondern als einen Mann, der Nöte und Leiden der Menschen in dieser Weltordnung aufzuzeigen hat, der als Helfer und Befreier von diesen in Erscheinung tritt. Dazu eine bezeichnende Aufschlüsselung:

82 Prozent der ersten Gruppe unterstreichen den Wert des Zölibats hinsichtlich der persönlichen Vervollkommnung und Christusnachfolge. Von diesen 82 Prozent stellen 92 Prozent fest, daß sie der Zölibat besser für ihr Priesteramt verfügbar mache. Von diesen 82 Prozent meinen nur 21 Prozent, daß die Zölibatspflicht ihr persönliches Glück schmälere. Von diesen 82 Prozent plädieren 55 Prozent für eine Beibehaltung des gültigen Kirchengesetzes, nur 19 Prozent treten für eine Modifizierung ein. 20 bis 25 Prozent der Befragten, die sich zum „Typ 2“ des Priesterbildes bekennen, halten den Zölibat und seine Beibehaltung für wenig wert-

voll im Sinne der „Imitatio Christi“. 7 Prozent davon sind für eine Beibehaltung nach dem jetzigen Modus, 66 Prozent halten eine Abänderung des Kirchengesetzes für wünschenswert.

70 bis 75 Prozent der „Gruppe 3“ — also „Priester nicht Mann des Kultes, sondern des Menschendienstes“ — meinen, der Zölibat erschwere und bedrücke menschliches Glück. Dennoch: 10 Prozent davon wünschen eine Beibehaltung, 69 Prozent eine Abänderung des Zölibatsgesetzes.

Kommunizierende Gefäße Aus der Schlußfolgerung dieser Befragung ergibt sich die Tatsache, daß man den Zölibat nicht als Randproblem und nicht als isoliertes Thema betrachten kann, will man seiner Bedeutung und Funktion gerecht werden. Doch wäre diese Feststellung noch keineswegs so bestrickend für die Fragwürdigkeit der gesamten Befragung, wollte man nicht auch die Glaubensüberzeugung der befragten Kleriker miteinbeziehen: es offenbart sich nämlich ein bedeutsamer Zusammenhang: im selben Maß, in welchem die Schwierigkeiten mit dem Glauben an das Glaubensgut der römisch-katholischen Kirche bei holländischen Klerikern zunehmen, nimmt die Wertschätzung für den Zölibat ab.

Die Fragen tendieren auf die Existenz Gottes, das persönliche Weiterleben nach dem Tode, die Gottheit Christi, die Auferstehung des Herrn

und Seine reale Gegenwart in der Eucharistie, auf die Jungfrauschaft der Gottesmutter, auf die Unfehlbarkeit des Papstes in Kathedralentscheidungen sowie auf die dogmatische Unterscheidung zwischen Priestern und Laien. Die Antworten auf Fragen nach „Glaubensschwierigkeiten im allgemeinen“ ergeben folgendes Bild vom befragten holländischen Klerus: 35 Prozent haben keine Glaubenszweifel (Schwierigkeiten), 18 Prozent kaum, 7 Prozent nur wenige Schwierigkeiten, 11 Prozent einige, 9 Prozent viele, 22 Prozent „enorme“ Glaubensschwierigkeiten“. Aus dieser letzten Summe von 22 Prozent bekennen sich etwa drei Viertel als Gegner des Pflichtzölibates.

Aus den Zusammenhängen, die wohl dem religiös engagierten, tief im Glauben verwurzelten, praktizierenden Christen einsichtig sind, nicht jedoch — und zwar schon aus methodischen Gründen — dem Demoskopen, ergibt sich die Fragwürdigkeit und Zweifelhaftigkeit der Stringenz dieser Befragung über den priesterlichen Zölibat. Die theologische Bedeutung, wie noch darzustellen ist, kommt der Ziffer Null gleich. Außerdem war die Art und Weise, in welcher der holländische Klerus befragt wurde, sehr lückenhaft und umstritten. Die Ziffern sind zuweilen sehr willkürlich frisiert, so daß mitunter an Stelle hundertprozentiger Ergebnisse 102 öder 103 Prozent in der Gesamtsumme aufscheinen. Mit Auf- und Abrundungen

war man sehr großzügig, was dem exakt arbeitenden Soziologen sicherlich keine Zusatzfreude bescheren dürfte.

Wie man weiß, hat das Zweite Vatikanische Konzil den charismatischen und prophetischen Wert des Zölibates anders verstanden, als es eine geschickt placierte Manipulation der „Progressiven“ wahrhaben will. Das Vaticanum formuliert: „coelibatus multimodam convenientiam cum sacerdotio habet.“ Der Zölibat konveniert in vielfältiger Weise mit dem Priestertum. (Presbyt. Ordinis, n. 16). Gewiß ist der katholische Priester gemäß der Aussage des Konzils Diener am Wort, Hirte, Zeuge, Herold, Erzieher im Glauben und „Animator“ der christlichen Einheit: aber er ist es nur in dem Maße, in dem er auch „Mann Christi“ und „Mann der Eucharistie“ ist. Das Zweite Vaticanum kennt kein Priesterbild, das den „Zeugen“ und „Hirten“ darstellt, nicht aber zugleich den „Mann des Kultes“. Das Konzil kennt auch keine charismatische und prophetische Kirche, die nicht zugleich „Kirche als Institution“ und „Kirche als Autorität“ in ihrem Selbstverständnis ist. Kirche ist Charisma und Institution, ist Autorität und Pro-phetie, ist Ortskirche (wie zum Beispiel die im Vergleich zum Erdkreis doch numerisch recht kleine Kirche der Niederlande) und Universalkirche. Daher ist es auch falsch, die Ablehnung des Zölibats als konform mit einem Teilasoekt der Kirche zu

bezeichnen; und zwar mit einem Teüaspekt, den man in sehr unredlicher und manipulierter Weise als Gesamtbild (eventuell als „neues“ Bild) von der Kirche „der Zukunft“ präsentiert.

Gerechtigkeit den sprechenden Zahlen!

Ist es nicht dennoch so, daß die Majorität des holländischen Klerus den Zölibat refüsiert? Kann man darin nicht sozusagen eine Indikation des Heiligen Geistes, der dritten göttlichen Person, erblicken? Dazu drei Feststellungen:

1. Gemäß „Lumen gentium“ (n. 13) ist der „sensus fldei“ ein Charakteristikum der Gesamtheit der Gläubigen (universitas fldelium). Teilkirchen, wie zum Beispiel die Kirche von Holland, können irren, was die Geschichte an anderen Beispielen augenfällig demonstriert. Der holländische Klerus ist ein kleiner Teil des Klerus der Gesamtkirche, und der Klerus der Gesamtkirche ist seinerseits nur ein kleiner Teil der Gesamtheit der Gläubigen. Will man von einem „sensus fldei“ sprechen, so muß man sich doch wohl oder übel auf das gesamte Volk Gottes, Klerus und Laien, stützen. Eine Befragung dieser Art ist bisher nicht erfolgt. Überdies aber wird der „sensus fldei“ gemäß der Erklärung des Konzils wirksam „sub ductu sacri magisterii“, unter der Führung des kirchlichen Lehramtes und „im Glaubensgehorsam“. Beide Komponenten fehlen bei Hollands Demoskopen.

2. Die Ablehnung des Pflichtzölibats im Rahmen der holländischen Befragung fußt auf jenen Priestern, die von „enormen“ Schwierigkeiten ihres eigenen Glaubenslebens sprechen. Ja, es sind sogar 72 Prozent jener, die von „enormen Zweifeln an den Grundwahrheiten des Glaubens“ bei ihrer eigenen Person sprechen, die zugleich eine Wandlung des Codex erstreben. Die Nachfolge Christi im Geiste der aszetisch-mystischen Theologie, deren Quellen die Eucharistie, das Gotteswort und die Überlieferung der Kirche sind, stellen vorsichtig gesagt nicht die Primärintention ihrer priesterlichen Existenz dar. Der „sensus fidei“, der ohne Konsens mit der Kirche — „sentire cum ecclesia“ — nicht zustande kommt, ist bei ihnen eher verkümmert als exemplarisch entwickelt, so daß er zu einer befruchtenden, gnadenhaften Kraft für die Weltkirche -werden könnte. Sie sind es, die die Nachfolge Christi ihrem persönlichen Glück — laut holländischer Befragung — implicite hintansetzen. Rein weltlich gesprochen ist das zunächst ihr gutes (oder schlechtes) Recht. Rein kirchlich gesprochen, aber kann in ihnen kein „sensus fidei“ wirksam werden.

3. Wie aus den Modalitäten und dem meritorischen Inhalt der Befragung hervorgeht, entspringt die Zurückweisung des obligatorischen Zölibates nicht so sehr der persönlichen, unbeeinflußten Überlegung, als dem horrenden Einfluß der „öffentlichen Meinung“; der öffentlichen Meinung eines Landes, in dem ein Adolfs ungestraft die Kirche als Grab Gottes kennzeichnen durfte, bevor er persönliche Konsequenzen zog. Das Resultat dieser Befragung ist die Frucht einer intensiven Anti-Rom-Propaganda, einer massierten Kampagne gegen den priesterlichen Zölibat

Sicherlich ist der Zölibat ein „onus“, eine Last und kein Kinderspiel für unmännische Auch-Männer, sicher keine Bürde, die durch Jesu Beistand leicht und zuweilen auch sehr schwer, aber immerhin zu tragen ist. Sicherlich gilt hier das Wort von jenen, die begreifen oder nicht begreifen, sicherlich die demoskopisch nicht angepeilte Motivation „propter regnum coelorum“, um des Himmelsreiches willen.

Sicherlich kann nur der „begreifen“ und danach handeln, dem Gott das Herz öffnet. In diesem Punkte aber sind Diskussionen und soziologische Befragungen von geringerem Wert. Demoskopie ist eine moderne Sache und ist eine gute Sache. Aber im Bereich der Gnade ist sie doch nicht ganz am Platze, weil Gott eben auch auf krummen Zeilen zuweilen gerade schreibt und die Mathematik der Rechenstifte durcheinanderbringt. Aber wundert uns dieser Irrtum? Kaum. Denn „nicht viele verstehen dieses Wort, sondern nur jene, denen es gegeben ist.“ (Matth. 19,11.)

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