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Digital In Arbeit

„Humankapital innovativ nutzen”

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Die Orientierung am Bedarf der Wirtschaft ist überholt. Das Akademikerangebot sollte vielmehr kreativ genutzt werden.

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Die Orientierung am Bedarf der Wirtschaft ist überholt. Das Akademikerangebot sollte vielmehr kreativ genutzt werden.

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Die Tatsache, daß sich das österreichische Wissenschaftssystem und insbesondere die Institution Universität in einer tiefen Krise befinden, ist in den letzten Monaten offensichtlich geworden. Das Ausmaß der Krise ist insbesondere auf das Zusammentreffen der hochschul-politischen Misere mit einer nicht mehr aufschiebbaren Sanierung des Staatshaushaltes zurückzuführen. Wie sieht vor diesem Hintergrund die Entwicklung für das nächste Studienjahr aus? Und mit welchen grundlegenden Fragen werden wir uns im Sinne einer zukünftigen Universität auseinandersetzen müssen?

Um das nächste Jahr einschätzen zu können, müssen zwei unterschiedliche Aspekte berücksichtigt werden:

■ Durch das Einfrieren der Personalkosten für 1996 und 1997 auf dem Stand des Vorjahres entsteht ein für die Universitäten schier unlösbares Problem. Durch die sukzessiven Aufnahmestopps blieben 1995 zahlreiche Planposten unbesetzt, was zu einem sehr niedrigen Personalbudget führte. Dieser Zustand wird also um zwei Jahre verlängert und darüber hinaus sind noch weitere Personaleinsparungen notwendig, etwa um die Ausgaben für die Biennalsprünge (automatische Gehaltserhöhungen alle zwei Jahre, Anm. d. Red.) zu kompensieren. Bereits jetzt sind in Osterreich 1000 Planstellen unbesetzt - Tendenz steigend. Damit wird einerseits vom verbleibenden Stammpersonal wesentlich mehr Leistung gefordert, und andererseits wird in bestimmten Bereichen aufgrund unbesetzter Posten ab Herbst keine Lehre mehr stattfinden (etwa im Bereich der Sprachausbil-dung).

■ Das nächste Studienjahr ist auch durch eine Kürzung der Zahl der

Lehraufträge um cirka 10 Prozent betroffen. In bereits jetzt hochfrequentierten Fächern stellt dies eine unzumutbare Mehrbelastung für Studierende und Lehrende dar und in manchen Bereichen wird es zu Wartezeiten für die Studierenden kommen. In jedem Fall bedeutet es eine Qualitätseinbuße. Die sehr hohe Senkung der Lehrauftragsremuneration um 17,3 Prozent wiederum bedeutet, daß einige hochqualifizierte Lektoren der Universität endgültig den Rücken kehren werden und so Erfahrungen verloren gehen. Die generelle Frage nach der Zukunft der Universitäten und ihrer Stellung in der Gesellschaft bleibt offen. Was sind die zentralen Weichenstellungen, über die es in einer ernstzunehmenden bildungspolitischen Diskussion nachzudenken gilt? Drei Fragen stehen für mich im Vordergrund:

Die erste und wesentlichste Frage betrifft die Einheit

- von Forschung und

Lehre. Immer öfter -insbesondere aus Kreisen der Wirtschaft - wird die Frage laut, ob es nicht besser wäre, die Forschung an eigene Institutionen auszulagern und die Lehre getrennt davon zu organisieren. Und in der Tat scheinen in Studienrichtungen, in denen auf jeden Lehrenden 300-400 Studierende -kommen, die Humboldtschen Idealvorstellungen kaum umsetzbar. Dennoch hat sich die Verbindung der beiden Bereiche als fruchtbar erwiesen und stellt das Rückgrat universitärer Leistungen dar.

Wie müßte man den Bereich der Lehre radikal neugestalten, damit die Integration von Forschung und Lehre wieder zu einer Erfahrung für die Studierenden wird? Und inwieweit sollte der tertiäre Bildungsbereich ausdifferenziert werden, um den verschiedenen Aus- und Vorbildungsanforderungen gerecht zu werden? Während ersteres völlig unbeantwortet ist, wurde für den zweiten Bereich ein erster Schritt etwa durch die Etablierung von Fachhochschulen getan, die eine ganz andere Aufgabe erfüllen sollen als die Universitäten.

Die zweite Frage steht in Zusammenhang mit der Positionierung der

Universitäten an der Schnittstelle zwischen Bildungs- und Beschäftigungssystem. Wir erleben seit den 80er Jahren Veränderungen im ökonomischen Bereich, wobei Information und Kommunikation eine ganz zentrale Rolle einnehmen. Es scheint daher überholt, nach den Bildungsökonomiekonzepten der 60erJahre zu argumentieren, in denen sich Bildung und Ausbildung am Bedarf der Wirtschaft orientieren sollten. Es müßte jetzt umgekehrt darum gehen, daß die Wirtschaft auf das Angebot hochqualifizierter Akademiker kreativ reagiert und das vorhandene Humankapital in innovativen Formen und Kombinationen eingesetzt wird.

Das fordert aber ein Abweichen von den traditionellen Karrieremustern, eine notwendige Flexibilisierung in bezug auf neue Aufgaben und Anwendungszusammenhänge für wissenschaftliches Wissen, aber auch einen besseren Dialog zwischen den Universitäten und dem Unternehmenssektor, um die Übergänge zwischen Bildungswesen und Beschäftigungssystem vielfältiger und effektiver zu gestalten.

Die dritte zentrale Frage ist die nach dem freien Universitätszugang. Halten wir weiter an dieser wohl zentralsten Errungenschaft der Zweiten Republik fest und wenn ja, ist der Staat auch bereit, die dafür nötigen Ressourcen zur Verfügung zu stellen?

Für mich ist diese Frage eindeutig mit „ja” zu beantworten. Zum einen stellt der freie Zugang zu Bildung einen wesentlichen Schritt in Richtung einer Chancengleichheit dar. Zum anderen scheint mir in einem Land mit einer im internationalen Vergleich extrem niedrigen Akademikerrate und einer Industrie, die in weiten Bereichen noch in völlig veralteten Strukturen steckt, eine Erschwerung des Zugangs zu den Universitäten völlig widersinnig. Es würde in jedem Fall einen nicht wiedergutmachbaren Verlust an hochqualifizierten Humanressourcen bedeuten.

Abschließend bleibt nur festzuhalten, daß eine „große hochschulpolitische Debatte” zu einer künftigen Reform mehr als angesagt wäre. Es kann wohl nicht weiter akzeptiert werden, daß die führenden Politiker hinter der Fassade des Sparpaketes ihre Einfallslosigkeit verbergen und auf den Ruf nach Gesprächen mit Verweigerung reagieren. Wir sollten auch klar' aufzeigen, daß Wissenschaftspolitik in Osterreich anscheinend bislang ohne tatsächliche Kenntnis der Zustände an den Universitäten und ohne wirklich aussagekräftige quantitative und qualitative Informationen betrieben wurde. Und wir müssen verhindern, daß die Universitäten kaputtgespart und kaputtregiert werden, denn sie stellen eine ganz zentrale Institution in der Entwicklung der Gesellschaft dar. Sie erzeugen nicht nur das Wissen, auf dem unsere Gesellschaften aufbauen, sondern bilden auch die Leute aus, die zur Gestaltung unserer Gesellschaft ganz massiv beitragen. Wir haben ein Anrecht auf eine ernstzunehmende Hochschul- und Bildungspolitik, denn die Auswirkungen der momentan regierenden Planlosigkeit betreffen uns alle.

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