Humboldt allein zu Haus

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Statt am Menschen ist Erwachsenen-Bildung heute am Markt orientiert - und kämpft mit schrumpfenden staatlichen Förderungen. Schlaglichter auf einen Bildungsbereich im Umbruch.

Früher war die Welt der Bildung noch in Ordnung. Früher galt Bildung als "Programm der Menschwerdung", als Entfaltung von Körper, Geist und Seele, von Talenten und Begabungen. Bildung war die einzige Möglichkeit, die Menschheit aus der Barbarei in die Zivilisation zu führen - zumindest dann, wenn es nach den Idealen der griechischen Philosophen, des Humanisten Wilhelm von Humboldt oder der Reformpädagogen des 20. Jahrhunderts ging.

Geht es nach Konrad Paul Liessmann, dann hat dieser einstige Begriff von Bildung mit dem gegenwärtigen nichts mehr gemein. "Bildung orientiert sich heute nicht mehr an den Möglichkeiten und Grenzen des Individuums, sondern an externen Faktoren wie Markt oder Arbeitsplatz", kritisiert der Wiener Philosoph. Die "Ideologie des lebensbegleitenden Lernens" diene vor allem dazu, das Risiko des Scheiterns dem Einzelnen zuzuschreiben: "Bei Arbeitslosigkeit ist man dann selber schuld: Es hat halt nicht gereicht."

Umstrittener Mammon

Liessmanns Brandrede gegen die ökonomisierte Bildung war der Auftakt zur Tagung "Erwachsenenbildung - wohin?" im St. Pöltener Bildungshaus St. Hippolyt, zu der vergangenen Mittwoch das Österreichische Institut für Erwachsenenbildung (ÖIEB), die Niederösterreichische Landesakademie, das Forum Erwachsenenbildung Niederösterreich und die Donau-Universität Krems geladen hatten.

Auch wenn dem Philosophen Liessmann die Ausrichtung am Mammon ein Dorn im Auge war: Für die heimischen Erwachsenenbildungseinrichtungen konnte gar nicht oft genug vom Geld die Rede sein - von jenem, das ihnen nach eigenem Bekunden fehlt. Schon im September vergangenen Jahres hatte die Konferenz der Erwachsenenbildung Österreichs (KEBÖ), in der die zehn größten gemeinnützigen Bildungsanbieter (darunter das WIFI, das Berufsförderungsinstitut BFI, das Forum Katholischer Erwachsenenbildung, der Verband österreichischer Volkshochschulen und der Ring österreichischer Bildungswerke) zusammengefasst sind, Alarm geschlagen. Auf Grund der seit Jahren rückläufigen Förderleistung des Bildungsministeriums - zuletzt wurden die Gelder für Erwachsenenbildung von 2002 auf 2003 um weitere 25 Prozent gekürzt und betrugen damit 0,11 Prozent des gesamten Bildungsbudgets - müssten zahlreiche der rund 400 pädagogischen Mitarbeiter gekündigt werden, hieß es. Bislang wurde diese Drohung nicht wahrgemacht - schließlich erhielten die KEBÖ-Mitglieder mit Jahresbeginn 2004 statt Personalsubventionen einen Globalbetrag und damit mehr Spielraum. "Zu wenig Geld ist es aber trotzdem", klagt Franz Bittner, Geschäftsführer des Forums Katholischer Erwachsenenbildung in Österreich.

Unausgeschöpfte Fonds

Martin Netzer, Fachexperte für lebensbegleitendes Lernen im Bildungsministerium, spielt freilich den Ball zurück: "Was in dieser Rechnung unter den Tisch fällt ist, dass in Österreich Schulen oder Fachhochschulen für Berufstätige aus einem anderen Topf bezahlt werden." Auch die Mittel des Europäischen Sozialfonds - bis 2006 immerhin 17 Millionen Euro - würden dabei nicht berücksichtigt, so Netzer. Leider hätten die Erwachsenenbildungs-Einrichtungen nur allzu zögerlich EU-Projekte eingereicht. Eine Kritik, die wiederum Franz Bittner nicht auf sich sitzen lassen will: "Dieser Fonds ist ausschließlich für berufliche Bildung vorgesehen. Das ist für uns kein Renner."

Nicht nur bezüglich der Gelder, auch hinsichtlich der Sinnhaftigkeit der seit 1973 bestehenden KEBÖ herrscht zwischen dem Bildungsministerium und den Erwachsenenbildungseinrichtungen dicke Luft. "Die einzelnen Verbände schaffen es nicht wirklich, eine gemeinsame Strategie zu formulieren", so Martin Netzer. In seiner Kritik beruft er sich auch auf den aktuellen OECD-Prüfbericht über die Situation der Erwachsenenbildung in Österreich, der in wenigen Tagen erscheinen wird. Die KEBÖ wird hier als typisch österreichische Organisation der Konsenserhaltung wahrgenommen. "Auf die Frage, warum es die KEBÖ gibt, könnte man antworten: Um private Anbieter von Fördermitteln fernzuhalten", ätzt Netzer.

Zahnlose Plattform

"Dieser Vorwurf ist nicht haltbar", kontert der derzeitige KEBÖ-Vorsitzende und Leiter von "WIFI Netzwerk", Hannes Knett. "Was die KEBÖ-Verbände auszeichnet ist ihre Gemeinnützigkeit. Private Trainingsanbieter sind das nicht." Richtig sei jedoch laut Knett, dass die KEBÖ ein großes Spektrum zwischen allgemeinbildenden und berufsbildenden Plattformen abdecke und es deshalb oft schwierig sei, die Interessen zu bündeln.

Vor allem die wissensdurstigen Erwachsenen würden von einer schlagkräftigen Interessenvertretung profitieren. Schon jetzt schätzen die Teilnehmer von Bildungsveranstaltungen neben dem Kompetenzerwerb auch die "lebensbegleitende und -stützende Funktion", "das Gemeinschaftsstiftende, die Kommunikation und das Initiativ-Werden in den Gemeinden". Zu diesem Schluss kommt eine aktuelle Studie des Österreichischen Instituts für Erwachsenenbildung, das erstmals die "Gesellschaftlichen Lernherausforderungen und ihre Bedeutung für die Erwachsenenbildung" unter die Lupe nahm.

Die vier Studienautoren - Eveline Christof, Alexandra Gruber, Barbara Pichler und Klaus Thien, Geschäftsführer des Instituts - haben als wesentliche Lernherausforderungen fünf - brüchig gewordene - Lebensbereiche ausgemacht: Beziehungen, Beruf/ Arbeit, Politische und soziale Bereiche, Persönlichkeit/Sinnsuche und Gesundheit.

Hilflose Bastelbiografen

Kommt es hier zu Problemen (Scheidung, Erziehungsschwierigkeiten oder Berufswechsel), würden sich viele Menschen durch spezifische Bildungsangebote Unterstützung suchen. Kein Wunder also, dass sich etwa die 3.027 Einrichtungen des Forums Katholischer Erwachsenenbildung oder die 1.890 Institutionen des Rings österreichischer Bildungswerke in ihren Programmen weitgehend an den Bedürfnissen der "Bastelbiografie"-Gesellschaft (Ulrich Beck) orientieren.

Ganz anders die EU: Sie legt ihren Schwerpunkt eindeutig auf die berufliche Weiterbildung. Tatsächlich offenbart schon ein Blick in das "Memorandum über Lebenslanges Lernen" der Europäischen Kommission von 2001, dass Erwachsenenbildung weniger als Möglichkeit zur Selbstentfaltung - sondern als Anpassung an die herrschenden Verhältnisse verstanden wird: "Was in erster Linie zählt", heißt es hier, "ist die Fähigkeit der Menschen, Wissen zu produzieren und dieses Wissen effektiv und intelligent zu nutzen - und dies unter sich ständig verändernden Rahmenbedingungen."

Was hätte sich wohl Humboldt dabei gedacht...

Nähere Informationen unter

www.lebenslangeslernen.at

www.weiterwissen.at, www.oieb.at

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