"Ich zweifle an der Ehrlichkeit der Politik"

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Martin Faißt, Vorsitzender der Österreichischen Hochschülerschaft (ÖH), schaut nach der Einführung von Studiengebühren schon wieder nach vorn und plädiert für eine umfassende Universitätsreform, vor allem punkto Dienstrecht, Organisationsform und Budget.

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Martin Faißt, Vorsitzender der Österreichischen Hochschülerschaft (ÖH), schaut nach der Einführung von Studiengebühren schon wieder nach vorn und plädiert für eine umfassende Universitätsreform, vor allem punkto Dienstrecht, Organisationsform und Budget.

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die furche: Herr Faißt, was stand oben auf Ihrem Programm, als von Studiengebühren noch keine Rede war?

Martin Faisst: Die zwei wichtigsten Themen waren die Verbesserung der sozialen Lage der Studierenden und eine Universität, die sich an den Bedürfnissen der Studierenden orientiert. Derzeit geht etwa ein Drittel der Studierenden einer regelmäßigen Arbeit nach, um sich das Studium leisten zu können. Daher ist auch nicht verwunderlich, dass für viele Studierende das Studium länger dauert.

die furche: Ziehen in der Frage Studiengebühren wirklich alle Studentenfraktionen an einem Strang?

Faisst: Zum allergrößten Teil schon. Lediglich die Freiheitlichen Studierenden haben sich der Parteilinie gefügt und die Fraktion der Liberalen Studierenden ist sich noch nicht ganz einig. Sie will die Gebühren so nicht, aber prinzipiell schon. Ganz generell war ich aber positiv überrascht, dass sich fast alle Fraktionen im Auftreten gegen Studiengebühren sehr pragmatisch verhalten haben.

die furche: Es gibt ja schon in mehreren Ländern Studiengebühren. Sind Sie in Österreich prinzipiell dagegen oder haben Sie nur etwas gegen die rasche Einführung?

Faisst: Es gibt in den USA die Todesstrafe, und trotzdem diskutiert niemand darüber, sie auch in Österreich einzuführen. Und auch die Studiengebühren gibt es nur in etwa der Hälfte der europäischen Länder. Ich schließe mich den Zielen der Bundesregierung an, dass die langen Studienzeiten gesenkt und die hohen Drop-out-Raten reduziert werden müssen. Studiengebühren sind allerdings der falsche Weg. Nur durch eine großangelegte Universitätsreform werden wir diese Ziele erreichen können.

die furche: Ist ein Null-Defizit für Sie kein vorrangiges Ziel? Müssen in einer solidarischen Gesellschaft nicht auch die Studierenden dazu beitragen?

Faisst: Als Vertreter der Jungen halte ich es für grundvernünftig, das Budget wieder auf die Reihe zu bekommen. Ich hätte mir allerdings weniger Rasenmäher und mehr Pinzette gewünscht. Derzeit wird lediglich der große Schuldenrucksack auf viele kleine Schuldenrucksäcke aufgeteilt und den Studierenden umgehängt.

Österreich lebt davon, dass es über eine gute Bildung verfügt. Wir haben weder große Erdölvorkommen noch ist es möglich, arbeitsintensive Produkte zu günstigen Preisen herzustellen. Wenn sich die Politik nicht um ein gutes Bildungsniveau und einen hochwertigen Wissenschaftsstandort Österreich bemühen will, soll sie bitte andere ans Werk lassen.

die furche: Präsident Welzig von der Akademie der Wissenschaften hat vorgeschlagen, statt Studiengebühren das Auflassen mancher Studienrichtungen an einzelnen Orten zu überlegen. Wie stehen Sie dazu?

Faisst: Wenn das nicht nur unter dem Blickwinkel des Sparens gesehen wird, werde ich mich dem nicht verschließen. Größere Einheiten bieten mehr Wettbewerb untereinander, es können Synergieeffekte erzielt werden, und auch für die Studierenden ist ein breiteres Angebot von Vorteil.

die furche: Wo sehen Sie den größten Handlungsbedarf an Österreichs Hochschulen?

Faisst: Wenn ich drei Punkte ändern könnte, würde ich mich besonders auf Dienstrecht, Organisationsform und Budget stürzen. Ich halte die Pragmatisierung von Lehrenden für ein Übel erster Klasse. Ich will damit auf keinen Fall den Anschein erwecken, als ob alle Lehrenden schlecht sind! Es ist aber evident, dass eine Pragmatisierung keine besonderen Leistungsanreize mehr bietet.

Im Bereich der Organisation ist vielen klar, dass das vorherrschende System keineswegs optimal funktioniert. Es ist so, als ob ein Kind viele Väter hat, es ist aber keiner bereit, die Alimente zu zahlen. Jeder entscheidet mit, es ist aber keiner dafür verantwortlich. Ich spreche mich für eine radikale Verkleinerung der Gremien aus und eine klare Aufgabenteilung zwischen Kollegialorganen und Monokraten.

Und als Rahmenbedingung muss der Staat selbstverständlich auch die notwendigen Mittel zur Verfügung stellen. Wenn den Finanzminister jeder Schilling reut, den er für die Universitäten hergeben muss, dann kann auch keine optimale Universität gestaltet werden.

die furche: Wie stehen die Studierenden im Allgemeinen und Sie im Besonderen zu den anhaltenden Donnerstag-Demonstrationen gegen die Regierung?

Faisst: Wir haben uns als ÖH ganz bewusst zu keiner Stellungnahme über die neue Regierung hinreißen lassen. Die Studierenden sind alt genug und können selbst entscheiden, ob sie für oder gegen die Regierung sind. Demonstrationen sind ein demokratisches Recht. Allerdings sollten sich die Organisatoren langsam fragen, ob die Demonstrationen nicht schon sinnlos sind und ob sie sich nicht jeden Donnerstag der Lächerlichkeit preisgeben.

die furche: Ihrer Fraktion, der Aktionsgemeinschaft, sagt man Nähe zur ÖVP nach. Ist nun Ihr Verhältnis zu dieser Partei und vor allem zur Bildungsministerin nachhaltig getrübt?

Faisst: Frau Ministerin Gehrer und ich sind Profis genug, um kantige Sachpolitik zu machen, gleichzeitig aber auch die Gesprächsbasis zwischen uns nicht zuzumauern. Die Diskussionen um die Studiengebühren wurden sehr hart geführt, es war für mich allerdings immer ganz klar, dass ich die Tür ins Wissenschaftsministerium nicht beleidigt zuhaue. Denn dann hätten wir bei den angestrebten Reformen nur mehr Beobachterstatus. Übrigens haben dies einige Fraktionen in letzter Zeit immer wieder gefordert. Ich sehe meine Arbeit als Vorsitzender pragmatisch: Ich hole mir Partner dort, wo ich die gleichen Ansätze sehe. Ob die nun gelb, rot, grün oder violett sind, ist völlig egal.

die furche: Mit welchen konkreten Zielen beginnen Sie dasJahr 2001?

Faisst: Es scheint, als ob in diesem Jahr zumindest an den Universitäten kein Stein auf dem anderen bleiben wird. Schon seit längerem haben viele die Trägheit und Beamtenmentalität an den Universitäten kritisiert, auch die ÖH hat immer in diesem Chor mitgesungen. Wenn die Überlegungen zur Universitätsreform nicht vom eisernen Spargedanken getragen werden und auch die Studierenden in die Gestaltung einbezogen werden, kann ich der Ministeriumsinitiative zur Universitätsreform einiges abgewinnen.Kurzfristig ist darauf zu drängen, dass die Universitäten selbst ihre Verantwortung wahrnehmen. Manche Lehrende jammern über die enorme Belastung in Forschung und Lehre, finden daneben aber noch Zeit für Gutachten und die eigene Steuerberatungskanzlei. Es wäre ein guter Zeitpunkt, etwas mehr Verantwortung für die Studierenden zu zeigen!

die furche: Was denken Sie sich, wenn der Familienminister das Kindergeld ausweiten will, just nachdem man die Studierenden zur Kasse gebeten hat?

Faisst: Ich zweifle an der Ehrlichkeit der Politik. Mir wurde in unzähligen Gesprächen immer wieder mitgeteilt, dass das Geld der Studierenden dringend notwendig ist, um das Universitätsbudget überhaupt auf die Beine stellen zu können und die Budgetsanierung doch auch ein Anliegen für die Jugend sei. Und keine zwei Monate später soll das Kindergeld ausgeweitet werden. Bei einem solchen Zick-zack-Kurs stellt sich mir die Frage, ob die rechte Hand überhaupt weiß, was die linke macht. Überhaupt scheint die Berechenbarkeit der Politik abgenommen zu haben.

Auch die Studiengebühren waren nicht im Koalitionsabkommen zu finden, und doch sind sie politische Realität. Sie wurden trotz aller Bedenken und Gegenargumente von Studierenden, Politikern, Experten, Eltern und Rektoren beschlossen. Zuerst als finanzpolitische Maßnahme, dann um ein bildungspolitisches Ziel zu erreichen, jetzt wieder als Mittel, um zu mehr Geld zu gelangen. Wir haben uns nicht damit abgefunden, sie sind aber Realität. Wir werden uns jetzt noch verbissener auf eine Universitätsreform stürzen, um dort Veränderungen zu erzielen.

Das Gespräch führte Heiner Boberski.

Zur Person: Radelnder ÖH-Chef Martin Faißt ist Vorarlberger. Er wurde am 17. Jänner 1973 in Lingenau geboren und wohnt derzeit in Andelsbuch.

Nach der HAK-Matura 1992 wollte er zunächst nicht studieren, suchte aber nach zwei Jahren Tätigkeit als Bezirksgeschäftsführer der ÖVP Vorarlberg eine Veränderung und begann im Herbst 1994 sein Studium der internationalen Betriebswirtschaft an der Universität Wien. Über die Studienrichtungsvertretung und damit verbundene Beratungstätigkeiten ist er "dann immer tiefer in die ÖH-Arbeit hineingerutscht".

Seit 1. Juli 1999 ist Faißt Vorsitzender der Österreichischen Hochschülerschaft. Als Motivation dafür nennt er "brennendes Interesse, die Universitäten zu verbessern".

Der begeisterte Radfahrer liest gerne, hat keinen echten Traumberuf, aber ein klares Ziel: "Beendigung meines Studiums, dann ab in die Wirtschaft."

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