Identitätskrise der AHS

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Während sich Berufsbildende höhere Schulen regen Zulaufs erfreuen, hat die AHS-Oberstufe mit Schülerschwund zu kämpfen. Reicht "Allgemeinbildung" für die Anforderungen von morgen nicht mehr aus?

Für Christine Werdenich ist die Sache sonnenklar: "Die Handelsakademie ist heute die eigentliche allgemeinbildende Schule - nicht die AHS." Allgemeinbildung im Sinne Wilhelm von Humboldts (1767-1835), wonach die Persönlichkeitskräfte des Menschen in der Begegnung mit der Antike geweckt werden sollten, sei eben nicht mehr ausreichend für die Herausforderungen von morgen. "Im Unterschied zum 19. Jahrhundert gehört heute auch juristisches, volkswirtschaftliches und betriebswirtschaftliches Grundwissen zur Allgemeinbildung", erklärt Werdenich, Direktorin der Handelsakademie und Handelsschule Maygasse im 13. Wiener Gemeindebezirk.

Schwund nach Unterstufe

Eine derart geballte Ladung Selbstbewusstsein ist nur noch an wenigen AHS-Standorten zu finden. Viele klagen ab der 4. Klasse unter massivem Schülerschwund. Immer mehr Gymnasiasten wechseln mit dem Ende der Unterstufe in eine Berufsbildende höhere Schule (BHS), die ihnen zwar fünf Schuljahre abverlangt, dafür aber neben der Matura auch eine solide Berufsbildung bietet. Die Zahlen untermauern den Trend: Während im Schuljahr 2001/ 2002 die AHS-Oberstufe ein minus von 2,1 Prozent gegenüber dem Vorjahr konstatieren musste, verzeichneten die verschiedenen BHS-Standorte ein Schülerplus von 2,3 Prozent.

Was ist passiert? Leiden die ehedem als Eliteschulen gepriesenen Gymnasien an einem Identitätsproblem? Nicht nur das, ist Peter Paul Steinringer, Direktor des wirtschaftskundlichen Realgymnasiums Ursulinen in Innsbruck überzeugt - "sie leiden auch an einem Definitionsproblem und deshalb auch an einem Marketingproblem. Ein Berufsabschluss lässt sich eben leichter verkaufen als eine solide Allgemeinbildung." Dabei hätte die AHS-Oberstufe wahrlich Großes zu vermitteln, weiß Steinringer: "Abstraktionsvermögen, den Umgang mit Begriffen und die Weite des Denkens. Doch das sind sehr abstrakte Begriffe - und darin liegt die Schwierigkeit." Dennoch sei die AHS kein Auslaufmodell, sondern stünde gerade bei Wirtschaftstreibenden hoch im Kurs: "Vor allem Wirtschaftsleute schicken ihre Kinder in die AHS-Oberstufe. Das ist ein gesamtösterreichisches Phänomen. Sie gehen davon aus, dass Allgemeinbildung eine tragfähige Basis für geistige Flexibilität ist."

Tatsächlich muss Allgemeinbildung mehr als die "Beschäftigung mit schöngeistigen Dingen umfassen", stellt der Wiener Erziehungswissenschafter Richard Olechowski klar. "Das wäre ein zu enger Bildungsbegriff." So seien schon bisher in den Schulen Naturwissenschaften und Technik vernachlässigt worden. Auch wirtschaftliche Probleme würden nicht intensiv genug behandelt.

Eine Einschätzung, die Michael Landertshammer, Leiter der Bildungspolitischen Abteilung der Wirtschaftskammer, im Furche-Gespräch unterstreicht. Wesentlich sei jedoch, "dass junge Menschen in der Schule in Richtung Kreativität und Selbstentfaltung erzogen werden und das Ergebnis der schulischen Bildung eine selbstbewusste und selbstorganisierte Persönlichkeit ist." Die AHS sollten im Übrigen nicht den Fehler machen, "auch BHS werden zu wollen", sondern im Rahmen der Schulautonomie ihre Position, die sie "noch nicht klar genug definiert" hätten, beibehalten und weiter schärfen .

Kritik an Stundenkürzung

Unbestritten sei freilich, dass wirtschaftliches Grundverständnis immer wichtiger werde, so Landertshammer. "Wenn ein Gymnasiast die Matura macht und nicht in der Lage ist, einen Erlagschein auszufüllen, haben wir ein Problem." Umso enttäuschter ist er, dass im Rahmen des Verordnungsentwurfs des Bildungsministeriums zur Kürzung von Schulstunden - den er grundsätzlich befürwortet - auch der Geografie-Unterricht beschnitten werden soll. "Geografie ist mit Wirtschaftskunde gekoppelt - und die sollte an der AHS auf keinen Fall gekürzt sondern im Gegenteil ausgebaut werden."

Gegen Kürzungen spricht sich auch Friedrich Wally, Direktor des Wiener Schottengymnasiums, aus - allerdings gegen solche im Fach Latein: "Latein ist ein wertvolles Kulturgut und ermöglicht ein ungeheures analytisches Training." Von der Attraktivität seines Gymnasiums, das im Übrigen keinen Schülerschwund verzeichnet, ist Wally jedenfalls überzeugt: "Allgemeinbildung ist der größte Reichtum, den der Mensch - nach der Befriedigung seiner Grundbedürfnisse - erreichen kann."

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