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Im Konzept: familienfeindlich!

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Allen Meinungen zum Trotz, der bisher inoffizielle Entwurf des Steuervereinfachungsund Steuerermäßigungsgesetzes sei zurückgestellt und daher überholt, liegt dieser Entwurf unter der Bezeichnung „Bundesgesetz, betreffend die Vorschriften über die Besteuerung des Einkommens natürlicher Personen (Einkommensteuergesetz 1953 — EStG 1953)“ nunmehr gedruckt vor; die den Kammern zugebilligte Begutachtungsfrist läuft in diesen Tagen ab.

Der unvoreingenommene Kritiker muß diesem Entwurf in vieler Hinsicht Anerkennung zollen. Die Beseitigung von 57 unklaren Gesetzen zugunsten eines einzigen klaren ist ein Beitrag, zu einer echten Verwaltungsreform, für den die Oeffentlichkeit dankbar sein wird. Wenn in Hinkunft mit den unzähligen Ausnahmebestimmungen aufgeräumt werden soll, die bisher je nach der Stimm-stärke der Interessenvertretung gewährt wurden, so ist dies ein Schritt zur Herstellung der Steuergerechtigkeit und dient der Wiederherstellung der — wie der Motivenbericht richtig betont — für einen modernen Rechtsstaat notwendigen Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz.

Die größte Bedeutung des neuen Einkommensteuergesetzes aber liegt in der Umkehr der österreichischen Finanzpolitik, die damit vollzogen wird. Die Zukunft wird zeigen, ob sich die Steuersenkung durch den damit verbundenen Anreiz zur Leistungssteigerung budgetär nicht geradezu günstig auswirken wird. Der in dieser Beziehung im Motivenbericht durchblickende Optimismus wird mit Recht von vielen geteilt.

Um so bedauerlicher und — offen gestanden — unbegreiflicher ist es, daß sich dieser Entwurf eine Blöße gibt, die dieses Gesetzeswerk seit dem Bekanntwerden einer heftigen, berechtigten Kritik aussetzt. Diese Kritiker wenden sich dagegen, daß dieser Entwurf geradezu konzeptiv familienfeindlich eingestellt ist. Abgesehen davon, daß die Höchstgrenze der Kinderermäßigung von bisher 836 S jährlich auf 658 S gesenkt werden soll, soll nach dem Entwurf die Steuerlast um so weniger gesenkt werden, für je mehr Personen der Steuerzahler zu sorgen hat.

Die Steuer z. B. eines Ledigen mit einem Jahreseinkommen von 15.000 S soll dem Entwurf entsprechend jährlich um 525 S gesenkt werden. Für einen Verheirateten derselben Einkommenstufe, von dessen Einkommen ajso zwei Personen leben müssen, soll die Senkung unbegreiflicherweise nur 350 S be-toaigen. Dem Steuerzahler, der sogar noch für ein Kind zu sorgen hat, soll die Steuer nur um 335 S gesenkt werden, bei zwei Kindern um 325 S und bei drei Kindern nur um 313 S. Bei einem Jahreseinkommen von 30.000 S soll der Ledige in Hinkunft jährlich um 1590 S weniger Steuer zahlen, der Verheiratete aber nur um 1080 S weniger, der Familienerhalter mit einem Kind nur um 986 S, mit zwei Kindern um 892 S, mit drei Kindern um 797 S, mit vier Kindern um 703 S und mit fünf Kindern sogar nur um 609 S weniger! Die Steuer soll also für den Vater oder die Mutter, die von ihrem Gehalt fünf Kinder (auch im Interesse der Kinderlosen!) ernähren, bekleiden und erziehen, in dieser Einkommenstufe um 981 S jährlich weniger gesenkt werden als die eines Ledigen!

Welch ungeheuerliche Zumutung die bisher angewandte Methode der Steuersenkung für die Familien bedeutet, kann man erst dann voll ermessen, wenn man sich die Entwicklung der österreichischen Einkommen- und Lohnsteuerpolitik seit dem Jahre 1945 vor Augen führt. So stieg die Besteuerung eines Ledigen bei einem Monatseinkommen, das heute 2100 S ausmachen würde bzw. ausmacht, von 20,5 Prozent im Jahre 1945 trotz Hinzutretens der Besatzungskostensteuer nur auf 21,5 Prozent, die eines Verheirateten derselben Einkommenstufe von 12 auf 14 Prozent, die eines solchen mit einem Kind von 8,2 auf 12,3 Prozent, mit vier Kindern von 2,2 auf 6,2 Prozent, wenn er sechs Kinder hat von 0 auf 2,1 Prozent. Bei einem Monatseinkommen von 4500 S stieg die steuerliche Belastung gegenüber der des Jahres 1945 für einen Ledigen um nur 9,1 Prozent, die eines Verheirateten um 13,4 Prozent, die eines Verheirateten mit einem Kind um 14 Prozent, mit vier Kindern um 19,5 Prozent und die Belastung eines Vaters von sechs Kindern gar um 19,7 Prozent! Dies zeigt, daß die österreichische Steuerpolitik seit dem Kriegsende grundsätzlich familienfeindlich eingestellt ist, und daß diese Entwicklung trotz aller Beteuerungen mit voller Schärfe weitergehen wird, wenn der vorliegende Entwurf unverändert verwirklicht werden sollte.

Wenn eine Tageszeitung zur Verteidigung der neuen Steuertabellen meint, daß eine Verlagerung der Steuerlast von den Familienerhaltern zu den Unverheirateten nicht herbeigeführt werden sollte und ohne besonderes Mandat auch nicht herbeigeführt werden konnte, so fragt sich der Familienerhalter, der damit abgetan werden soll, wieso es denn „ohne besonderes Mandat“ möglich war, in der Zeit seit 1945 die Steuerlast von den Unverheirateten auf die Familienerhalter zu verlagern! Wenn ein anderes Presseorgan und andere Verteidiger des Entwurfes den Familien vorrechnen, daß sie „ohnehin“ eine Menge aus der Steuersenkung gewinnen, so ist das dafür noch keine Rechtfertigung, daß der Ledige bis doppelt soviel und mehr gewinnt! Was die Familien verlangen, ist nichts anderes als die konsequente Befolgung der im Motivenbericht selbst verankerten Grundsätze, von denen die Reform ausgeht: Die Befolgung des Grundsatzes der Gleichmäßigkeit der Besteuerung als einer Belastung nach Maßgabe der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Steuerzahlers und die radikale Wendung der österreichischen Steuerpolitik den Familien gegenüber.

Der nunmehr vorliegende Entwurf deckt sich nicht mehr vollständig mit dem, mit dem sich die „Furche“ kürzlich an leitender Stelle auseinandersetzte. So wurde inzwischen das Ausmaß der Steuersenkung der niederen Einkommen auf Kosten des Ausmaßes der Steuersenkung der höheren Einkommen erhöht. Dies war eine durchaus begrüßenswerte Korrektur. Warum soll nun nicht auch eine Verschiebung des Ausmaßes der Steuersenkung innerhalb jeder Einkommenstufe möglich sein! Wenn die Steuer für die Ledigen (Steuergruppe I) um einen nur geringen Betrag zugunsten der Familien (Steuergruppe III) weniger gesenkt wird als im Entwurf vorgesehen, so kann damit zumindest die bisherige Entwicklung der Einkommensteuerpolitik gestoppt werden. Wenn dabei gar die zweiten, dritten usw. Kinder mehr berücksichtigt werden als das erste Kind, so kann mit auch nur ganz geringen Kürzungen der für die vielen Ledigen vorgesehenen Senkung für die (leider!) relativ wenigen kinderreichen Familien ganz unverhältnismäßig viel erreicht werden. Das Institut für Sozialpolitik und Sozialreform hat in diesen Tagen einen geeigneten Vorschlag ausgearbeitet.

Ein solcher Vorschlag trägt auch den berechtigten Beschwerden der kinderlosen Verheirateten (Steuergruppe II) Rechnung, die sich darüber beklagen, daß ihre Steuer — wie schon oben aufgezeigt — um einen wesentlich geringeren Betrag gesenkt werden soll als die der Ledigen. Was die kinderlosen Doppelverdiener betrifft, ist diese Klage aber unberechtigt. Zweifellos sind sie durch die Vorteile des gemeinsamen Haushalts wirtschaftlich ganz bedeutend leistungsfähiger als die Ledigen. Aus den bereits erörterten Gründen der Steuergerechtigkeit muß daher verlangt werden, daß kinderlose Doppelverdiener wie Ledige nach Steuergruppe I besteuert werden, soweit sie nicht schon als Doppelverdiener gemeinsam veranlagt werden.

In der Besteuerung der Ledigen hat der jüngste Entwurf erfreulicherweise einer Kritik Rechnung getragen, die von der Familie erhoben werden mußte. Die vorher geplante Herabsetzung der Altersgrenze für die Ledi-genbesteuerung auf dreißig Jahre ist nunmehr fallen gelassen worden. Daß jegliche und damit auch die derzeit geltende Altersgrenze(für Frauen 45 und für Männer 65 Jahre) für die Anwendung der Besteuerung nach Steuergruppe I mit dem Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung unvereinbar ist und daher fallen muß, wurde an dieser Stelle bereits dargelegt. Auf dem sozialistischen Parteitag wurde diese Herabsetzung der Altersgrenze heftig urgiert; diese Forderung ist aber ausgesprochen unsozial, solange die zur Steuersenkung zur Verfügung stehenden Mittel nicht ausreichen, die Lasten der am stärksten Getroffenen zu erleichtern. Wenn einmal der Zeitpunkt erreicht sein wird, in dem auch die Lasten für die Ledigen mit Recht weiter erleichtert werden können, müssen im Gegenteil die Lasten der jüngeren Ledigen vor denen der älteren zuerst erleichtert werden, da sie wirtschaftlich bedeutend weniger leistungsfähig sind als diese, die schon einen längeren Zeitraum zur Verfügung hatten, z. B. ihre Wohnungen einzurichten und ihre Kleiderschränke zu füllen.

Alle diese Forderungen an die bevorstehende Steuerreform fügen sich deswegen zu einem so einheitlichen Konzept zusammen, da sie dem Grundsatz der Steuergerechtigkeit entsprechen. Sie lassen sich ohne Gefährdung des sonstigen finanzpolitischen Konzepts und vor allem ohne budgetäre Risken in den Entwurf einbauen.

Den überängstlichen Wahl-arithmetikern sei vor Augen gehalten, daß die Zahl derer, deren familienpolitischen Einwendungen gegen den Entwurf dieser Vorschlag Rechnung trägt, das sind die Väter und Mütter, die Verheirateten, die nicht Doppelverdiener sind, und die doppelverdienenden Selbständigen, weitaus größer ist als die Zahl der Ledigen, denen nichts anderes zugemutet wird, als daß ihre Steuer etwas weniger gesenkt wird, und die Zahl der unselbständigen kinderlosen Doppelverdiener.

Alle jene, die sich über unsere familienpolitische und auch kulturpolitische Situation im klaren sind und die diese einmalige, sicherlich nicht sobald wiederkehrende Gelegenheit zu einer familienpolitischen Bereinigung der österreichischen Finanzpolitik erkennen, werden es nie verstehen, wenn sich gerade diejenige Partei d i e Gelegenheit zum konsequenten Anfang der kürzlich wieder u n d g e r a d e d u r c h den Mund des F i n a n z m i n i s t e r s angekündigten Linie derFamilienpolitik entgehen lassen sollte. Kein Realpolitiker kann ernstlich glauben, daß es durchsetzbar sein wird, den vollen Ausgleich der Familienlasten im Wege positiver Leistungen herbeizuführen!

Es wäre auch nicht zu begreifen, wenn dieser in anderer Hinsicht so begrüßenswerte Entwurf dauernd mit diesem Makel behaftet bleiben sollte. Die Tatsache, daß der Finanzminister bei dem Hinweis auf die Notwendigkeit einer stärkeren Berücksichtigung familienpolitischer Erwägungen den stärksten Beifall der OeVP-Fraktion und des WdU ernten konnte, beweist, daß im österreichischen Parlament für dieses Anliegen mit Verständnis gerechnet werden kann. Der geradezu giftige Leitartikel der „Arbeiter-Zeitung“ vom 1. November zeigt allerdings, wie empfindlich noch ein Teil der Marxisten in der Frage der Familienpolitik ist. Man sieht sich hier — mit Recht — einem Programm gegenüber, das mit klassenkämpferischem Denken unvereinbar ist.Familien gibt es in allen Klassen. Die modernen europäischen christlichen Volksparteien haben dies klar erkannt. Die MRP hat in einer der letzten französischen Regierungskrisen eher das Odium der Regierungs-stürzerin auf sich genommen, als die Gefährdung der von ihr für die französische Familie eroberten Stellung zuzulassen. Die deutsche CDU hat nach ihrem überwältigenden Wahlsieg die Famiie als das innenpolitische Hauptanliegen für die bevorstehende Regierungsperiode erklärt und ihren ernsten Willen durch die Errichtung eines eigenen Ministeriums für Familien- und Jugendfragen dokumentiert. Für die Sozialisten aber ist die Empfängnisverhütung und der Mord am ungeborenen Leben das Zeichen des Fortschrittes? Ist Familienpolitik wirklich „eine Prämie für die gehorsamen Lieferanten der billigsten, gefügigsten Arbeitskräfte und die armseligsten, die schlechtesten Väter im Rausch gezeugter Kinder“, wie es der bereits erwähnte Leitartikel der „Arbeiter-Zeitung“ wörtlich glauben machen will?

Erfreulicherweise werden langsam und gelegentlich auch aus dem sozialistischen Lager verantwortungsvollere Stimmen laut. Werden es die Sozialisten allmählich erkennen, daß ungefähr zwei Drittel aller Kinder Arbeitnehmerkinder sind? Es ist zu hoffen, daß die Meinung des „Zentralorgans der Sozialistischen Partei Oesterreichs“ wieder einmal nicht mit der „amtlichen“ Auffassung dieser Partei übereinstimmt, daß man vielmehr auch von dort her mit wachsendem Verständnis rechnen darf.

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