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Im Leben bewährt

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Durch den unglücklichen Ausgang des ersten Weltkrieges wurde den auf österreichischem Boden bestehenden Militärerziehungs- und Bildungsanstalten ihre Aufgabe der Heranbildung des Offiziersnachwuchses entzogen. Es ist das große, und unbestreitbare Verdienst Otto Glöckels, der am 15. März 1919 als Nachfolger Pachers das Unterrichtsamt übernahm, diese Anstalten vor dem beabsichtigten stufenweisen Abbau bewahrt, die Uebernahme durch die Unterrichtsverwaltung und ihre Umwandlung in moderne Erziehungs- und Unterrichtsanstalten durchgesetzt zu haben. Im Juli 1919 konnte das Gesetz über die Errichtung der Deutsch-österreichischen Staatserziehungsanstalten, seit der Verfassungsänderung des Jahres 1921 „Bundeserziehungsanstalten“, im Parlament eingebracht werden.

Nach dem Willen des Gesetzgebers sollte der Zweck der Anstalten in erster Linie ein sozialpolitischer sein, indem sie begabten, durch eine besonders organisierte Aufnahmeprüfung auszuwählenden Kindern ohne Rücksicht auf die Vermögenslage der Eltern die Möglichkeit bieten sollten, einer höheren Bildung teilhaftig zu werden. Sie sollten weiter als moderne Erziehungsanstalten durch Pflege und Ausbildung der körperlichen, geistigen und sittlichen Kräfte und Anlagen den ganzen jungen Menschen zu erfassen suchen und schließlich als neue Schultype „Deutsche Mittelschule“ geführt werden, in der die neuen Lehrpläne in acht Jahrgängen praktisch erprobt werden sollten.

Im Lehrplan der Deutschen Mittelschule war die Unterstufe, die die Kinder vom zehnten bis vierzehnten Lebensjahr umfaßte, durchaus einheitlich, die beiden ersten Klassen aber ohne Fremdsprache. Statt ihr sollten die Schüler einen verstärkten Deutschunterricht erhalten und erst nach Absolvierung der zweiten Klasse je nach Neigung und Anlage und, beraten von Lehrern und Erziehern, die Wahl zwischen den Fremdsprachen Läteiji"ödei (FrrfiÄ'ösTStfh,‘;!bB2ii‘e’-'J hungsweise Englisch treffen.

Schließlich war noch .eine dritte Form der Unterstufe in Aussicht genommen, die, in allen vier Jahrgängen fremdsprachenfrei, mit sechs beziehungsweise sieben Wochenstunden im Deutsch- und Handfertigkeitsunterricht geführt werden sollte. Sie kam aber, soweit ich mich entsinne, in keiner der Anstalten zur Einführung.

An die gemeinsame Unterstufe sollten sich aufbauen:

1. Die Alt- und Neusprachliche Oberschule in Wien XIII (Breitensee) mit Latein und Griechisch bzw. Französisch oder Englisch als zweiter Fremdsprache.

2. Die Mathematisch-naturwissenschaftliche Oberschule in Wr. Neustadt mit erhöhten Stundenzahlen in Mathematik und den naturwissenschaftlichen Fächern und geringer Dotierung der Sprachfächer (Englisch, Französisch, Latein).

3. Die Deutsche Oberschule, mit Englisch als einziger Fremdsprache, in Traiskirchen.

Die Zahl der eingelaufenen Gesuche betrug 695, aufgenommen wurden für neun erste Klassen der Deutschen Mittelschule insgesamt 272 Kinder, darunter 60 Mädchen, was einer Durchschnittszahl von 30 Schülern pro Klasse entsprach, die an den Staatserziehungsanstalten allgemein üblich war. In den späteren Jahren nahm die Zahl der Anmeldungen weiter zu, während sich die Zahl der Aufnahmen ungefähr auf der gleichen Höhe hielt, so daß im allgemeinen ein Drittel der Bewerber für die Aufnahme in Betracht kam. Die Anstalten waren also wirkliche Ausleseschulen, in die die Schüler einzig und allein nach ihren Leistungen und Prüfungsergebnissen mit Ausschaltung jedweder von außen her kommenden Beeinflussungen — was ich ausdrücklich betonen möchte — aufgenommen werden konnten.

Von den Eltern dieser Kinder waren nur 16 in der Lage, einen vollen Zahlplatz in der Höhe von 3500 Kronen pro Jahr zu bezahlen. Die Gesamtzahl der in allen sechs Anstalten mit 5 3 Klassen verliehenen Freiplätze betrug 1025. Diese scheinbare Großzügigkeit des Staates läßt sich nur aus der beispiellosen Verarmung und Verelendung gerade jener Schichten der Bevölkerung erklären, die an Wissen und höherer Bildung ihrer Kinder interessiert waren. Betrug doch der Anfangsbezug eines Akademikers im Herbst 1919 im Staatsdienst jährlich 2700 Kronen, also weniger als ein Vollzahlplatz an den Bundeserziehungsanstalten, wo bei ich noch erwähnen möchte, daß die tatsächlichen Erfordernisse pro Zögling im Jahr 3620 Kronen, also beträchtlich mehr als ein Vollzahlplatz, betrugen.

Eine schwere Krise brachten die Auswirkungen des Genfer Sanierungswerkes vom Jahre 1922. Bundeskanzler Dr. Seipel und seinem vornehmsten Mitarbeiter, Finanzminister Doktor Kienböck, gelang es zwar, einen Fünf-Mil- lionen-Goldkronen-Kredit glücklich nach Hause zu bringen, aber Oesterreich mußte sich zu starken Einschränkungen im Staatshaushalt und zur Durchführung tief einschneidender Sparmaßnahmen verpflichten. Es war nicht wunderzunehmen, daß in den Jahren 1922 bis 1925, in denen die österreichische Finanzgebarung unter der Kontrolle des Völkerbundkommissärs stand, wiederholt bald eine oder die andere unserer Anstalten, bald alle insgesamt vom Abbau bedroht waren und ihr Weiterbestand buchstäblich auf des Messers Schneide stand. Nur dem Verhandlungsgeschick der Zentraldirektion, insbesondere ihres Vorstandes, Ministerialrats Paul

Scapinelli, und dem zähen Eintreten des Ministers Dr. Emil Schneider und nicht zuletzt der sozialen und staatsmännischen Einsicht Dr. Seipels und Dr. Kienböcks war es zu danken, daß die Anstalten zwar starke budgetäre Abstriche hinnehmen mußten, ohne daß ihnen jedoch die Erfüllung ihrer sozialpolitischen Aufgaben unmöglich gemacht worden wäre. Für die Lehrer und Erzieher der Anstalt selbst war diese wiederholte Bedrohung - nur ein Ansporn zu verstärkter Hingabe und noch größerer Aufopferung.

Gegen Ende des Jahres 1925 schied Ministerialrat Paul Scapinelli von seinem Posten und wurde zum Leiter des Kultusamtes berufen. Sein Abgang wurde von allen Anstalten mit lebhaftem Bedauern zur Kenntnis genommen, die er aus dem Chaos aufgebaut und durch alle Krisen der Sanierung und Aufbauzeit geführt hatte. Zum neuen Generaldirektor wurde Ministerialrat Dr. Viktor B e 1 o h o u- b e k ernannt, ein ausgezeichneter Fachmann und erfahrener Praktiker.

Die folgenden Jahre verliefen in Ruhe. Mit Beginn des Schuljahres 1927 28 wurden, entsprechend den neuen Schulgesetzen, die Bundeserziehungsanstalt von Wien (Breitensee) als Gymnasium, Wr. Neustadt als Realschule und die übrigen Anstalten als Realgymnasien geführt.

Den Erfolg der Arbeit in den Bundeserziehungsanstalten bestätigte die Bewährung ihrer Absolventen im Leben. Es sei hier nur erwähnt, daß drei Mitglieder der gegenwärtigen Regierung, weiter hohe Militärs unseres jungen Bundesheeres, hohe richterliche Funktionäre und Beamte der Zentralstellen, Vertreter unseres Staates im Ausland und eine stattliche Anzahl von Hochschulprofessoren in Oesterreich und im Ausland „Alt-Beaner" waren.

Der Umsturz des Jahres-1938 bedeutete auch das Ende der Bundeserziehungsanstalten. Sie wurden in Nationalpolitische Erziehungsanstalten umgewandelt, denen die Erziehung und Heranbildung des künftigen nationalsozialistischen Parteinachwuchses oblag und die nach ihren Zielen und Aufgaben wenig oder nichts mit unseren alten Anstalten gemein hatten.

Nach dem Umsturz wurden die Bundeserziehungsanstalten in Wien III und in Liebenau bei Graz zu neuem Leben erweckt und in Schloß Traunsee bei Altmünster und Saalfelden (Salzburg) neue Anstalten errichtet. An die Spitze der Zentraldirektion wurde Ministerialrat Dr. Julius Wolf berufen.

Die Anstalten können heute, wohl kaum mehr von ähnlichen Gefahren bedroht wie in den zwanziger Jahren, ihrer Arbeit obliegen. Die Lehrkörper sind stark verjüngt, kaum einer der älteren Lehrer kennt die schweren Anfänge und die sich wiederholenden Bedrohungen der Existenz der Anstalten.

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