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Gespräch mit dem neuen Bundesminister für Finanzen, Dr. Wolfgang Schmitz

FRAGE: Es hat sich in Wien herumgesprochen, daß Sie, Herr Bundesminister, von allen Mitgliedern der neuen Regierung bisher die größte Zahl von wissenschaftlichen Beiträgen, Broschüren, Zeitungsartikeln und ähnliches mehr veröffentlicht haben. Die älteren Leser der „Furche“ werden sich überdies an Ihren Namen unter den früheren Mitarbeitern des Blattes erinnern. Können Sie uns einleitend einiges über diesen Sektor Ihrer bisherigen Tätigkeit erzählen?

ANTWORT: Bevor ich Ihrem Wunsch nachkomme, möchte ich den Lesern der „Furche“ kurz sagen, warum ich mich darüber freue, daß ich auf dem Gebiet der Publizistik vielleicht kein Neuling mehr bin und daß ich unter anderem auch im Autorenverzeichnis Ihres Blattes aufscheine. Daß der Finanzminister in seinem Kampf für die Durchsetzung einer auf das Gemeinwohl gerichteten Finanz- und Budgetpolitik auf seinen vielleicht wichtigsten Verbündeten, die öffentliche Meinung, unter keinen Umständen verzichten darf, haben vor mir schon auch smdere gesagt Es ist nämlich die öffentliche Meinung, die sich immer wieder gegen die egoistischen Wünsche einzelner Gruppen wenden und der ausgeprägteste Anwalt des Gemeinwohles sein muß. Ich habe bisher Hunderte von Artikeln geschrieben, unzählige Vorträge gehalten und war auf diese Weise stets bestrebt, ein Mitgehen der öffentlichen Meinung mit den Problemen der Wirtschafts- und Sozialpolitik zu ermöglichen. In einer freien Gesellschaft muß der Wähler ohnehin unbedingt „mitreden“ können. Zur Verwirklichung einer am Gemeinwohl orientierten Wirtschafts- und Sozialordnung ist daher die Mitarbeit aller Faktoren der öffentlichen Meinungsbildung, nicht nur der Presse oder des Rundfunks, absolut unerläßlich. Aus diesem Grund muß man alles tun, um eine Hebung des allgemeinen Wissens über Wirtschafts- und Sozialfragen zu erreichen. In diesem Zusammenhang noch etwas: Es muß immer wieder betont werden, daß die Gesellschaftspolitik keineswegs nur von den politischen Parteien oder durch diese gemacht wird. In der demokratisch geordneten, pluralistischen Gesellschaft wirken die verschiedensten Organisationen und auch Persönlichkeiten an der Meinungsund Willensbüdung mit. Damit ist aber auch die Mitverantwortung aller an der Wirtschafts- und Sozialpolitik gegeben.

FRAGE: Können Sie sich noch erinnern, daß, laut Redaktionskartei, Ihr erster „Furche“-Artikel den Titel „Jugend in der Zeit“ trug?

ANTWORT: Ja, und zwar erschien dieser Artikel im Dezember 1948 und war ein Bericht über die Eindrücke meiner Reise von meinem Schweizer Studienort zu verschiedenen Zentren der Katholischen Jugend in Frankreich, Belgien und Holland. Der folgende Artikel, im April 1947, behandelte unter dem Thema „Jungarbeiterinternationale“ die internationale Katholische Jungarbeiterbewegung der JOC. Es folgten Beiträge über den englischen Sozialismus, über die Interessengruppen im Staat, über Streikprobleme, Konsumethik, ordnungspolitische Fragen und dann sehr viele über das Thema Familienlastenausgleich, Als Vorsitzender der Arbeitsgruppe Familienlastenausgleich im Institut für Sozialpolitik und Sozialreform („Kummer-Institut“, so genannt nach seinem Gründer und Leiter, dem Abgeordneten Dr. Karl Kummer) habe ich dann an der Vorbereitung des einschlägigen Gesetzes mitgearbeitet, das am 1. Jänner des kommenden Jahres zehn Jahre alt wird. Ich habe damals den allgemeinen Teil der Erläuterungen geschrieben, der das auch heute noch gültige Konzept für einen marktwirtschaftlich richtigen Ausgleich der Familienlasten enthält.

FRAGE: Darf ich ergänzen? Sie haben, Herr Minister, durch ihre zahlreichen aufklärenden Artikel zu diesem Thema dazu beigetragen, daß sich das öffentliche Interesse in Österreich innerhalb kurzer Zeit der Familie zugewendet hat.

ANTWORT: Mein Hauptanliegen war es seit damals, wichtige wirt-schafts- und sozialpolitische Fragen in ständigem Kontakt mit den verschiedensten Bevölkerungskreisen zu klären. Als Publizist, als Redner in zahllosen katholischen Bildungsveranstaltungen und als Vortragender in den Volkswirtschaftlichen“Ge-sellschaften in den Bundesländern, schließlich als langjähriger wissenschaftlicher Mitarbeiter und Lehrer in den wirtschaftspolitischen Fächern der durch die österreichische Bischofskonferenz ins Leben gerufenen Katholischen Sozialakademie: Uberall versuchte ich, dafür einzutreten, daß der freie Raum im Rahmen der noch nicht endgültig ausgeformten sozialen Marktwirtschaft mit der Realisierung der grundlegenden Prinzipien der katholischen Soziallehre — vor allem des Freiheits-, Gemeinwohl- und Subsi-diaritätsprinzips — ausgefüllt wird.

FRAGE: Zwei Stiehworte sind gefallen: Soziale Marktwirtschaft und katholisch Soziallehre. Wie hängen diese beiden zusammen?

ANTWORT: So, wie ich soeben sagte. Ein geistreicher Autor hat vorgeschlagen, das „Gewußt was“ der katholischen Soziallehre mit dem „Gewußt wie“ der sozialen Marktwirtschaft zu verbinden. Daß beide nicht unvereinbar sind, wurde am Beispiel des Familienlastenausgleichs schon gezeigt. Die katholische Soziallehre kann, auch im Sinne von „Mater et magistra“, am besten dargestellt werden, wenn man zeigt, wie gut sie sich für die Lösung trennender Gegenwartsfragen eignet. Dazu bedarf es allerdings der praktischen Mitarbeit der Vertreter der katholischen Soziallehre sowohl an der theoretischen Weiterentwicklung wie auch an der praktischen Verwirklichung jenes Wirtschaftssystems, das heute immer noch am treffendsten als „soziale Marktwirtschaft“ bezeichnet wird. Diese ist meiner Ansicht nach eine vom sittlich verantwortlichen Menschen bewußt gestaltete, gegenüber der freien Marktwirtschaft, in welcher ausschließlich der schrankenlose freie Wettbewerb als oberstes Gesetz der wirtschaftlichen Beziehungen gilt, und der zentralen Plan-und Verwaltungswirtschaft völlig eigenständige Wirtschaftsordnung. Wegen meiner Uberzeugung von der „Sozialfunktion“ des Wettbewerbes bin ich nicht selten auch als ein „wirtschaftspolitisch Liberaler“ betrachtet worden.

FRAGE: Nun aber wären in Österreich, in unserer Koalitions-tuirklichkeit, ohnehin weder die Anhänger der einen noch di der anderen Wirtschaftsform in der Lage, ihr Konzept ungehindert zu verwirklichen. Wie werden Sie als Finanzminister unter diesen Umständen Ihre Prinzipien vertreten können?

ANTWORT: Durch Sachlichkeit. Sachliche Arbeit: das ist übrigens das Zeichen, in dem bekanntlich das Regierungsteam Klaus angetreten ist. Erstens verlangt das Gemeinwohl ein Höchstmaß an Sachlichkeit in der Wirtschafts- und Sozialpolitik, weil die weitestmögliche Verwendung der Ergebnisse der modernen Wirtschafte- und Sozialwissenschaften auch in der politischen Praxis überhaupt der einzige Weg ist, zu erkennen, was dem Gemeinwohl gegenüber den Einzel-, Gruppen- und Parteünteressen wirklich entspricht. Zweitens ist die Sachlichkeit der einzige Weg zur Verwirklichung des Gemeinwohles in einer pluralistischen Gesellschaft Somit ist eine moderne, wissenschaftlich fundierte Wirtschafts- und Sozialpolitik nicht nur innerhalb einer viele Gruppen umfassenden großen Volkspartei, sondern auch innerhalb der Regierungskoalition die einzig tragfähige Basis, zumal ein anderer, vielleicht mehr gefühlsbetonter Geist der Kameradschaft, der in den ersten Jahren der Zweiten Republik auch Männer verschiedener Parteien miteinander verband, durch den Wechsel der Generationen allmählich dahinschwindet. Um es gleich zu betonen: In der österreichischen Gesinnung bei den Vertretern der einen und der anderen Generation soll sich dabei nichts ändern und ändert sich meines Erachtens auch nichts. Die hier angedeutete Akzentverschiebung ist nichts anderes, als die Anpassung des Arbeitsstils in der Koalition an den unvermeidlichen Generationswechsel sowie die Folge der Erkenntnis, daß die Zeit auch im Bereich der Wirtschafts- und Sozialpolitik nicht stehengeblieben ist.

FRAGE: Sie waren, Herr Minister, einer der Initiatoren und der erste Vorsitzende des neugeschaffenen Beirates für Wirtschafts- und Sozialfragen innerhalb der Paritätischen Lohn- und Preiskommission. Haben Ihre dort gesammelten Erfahrungen Ihre These von der Möglichkeit einer „sachlichen Wirtschafts- und Sozialpolitik in der Koalition“ bestätigt?

ANTWORT: Durchaus! Und ich weiß, daß die guten Erfahrungen, die wir während der Arbeit dieses Beirates sammeln konnten, alle Teilnehmer ohne Rücksicht auf ihre sozialen und politischen Bindungen in der Absicht bestärken wird, auch auf anderen Ebenen in diesem Stil fortzufahren. Erste Anzeichen liegen dafür bereits vor. Ich verweise nur auf Äußerungen des Präsidenten des österreichischen Gewerkschaftsbundes, der die bisherige Tätigkeit dieses Beirates in dem auch von mir vertretenen Sinn würdigte. Nun aber noch einmal zurück zum Thema Gemeinwohl, da ich das bisher Gesagte noch etwas präzisieren möchte. Das Gemeinwohl ist eines der grundlegenden Prinzipien der katholischen Soziallehre. Es soll vor allem durch Geldwerterhaltung, durch einen hohen Grad der Beschäftigung, durch stetes Wirtschaftswachstum und eine möglichst gerechte Einkommensverteilung verwirklicht werden. Es ist zweifellos eines der bemerkenswertesten Symptome unserer Zeit, daß bei beiden der traditionellen Gesprächspartner der christlichen Sozialreform, dem Sozialismus und dem Liberalismus, nicht übersehbare Tendenzen vorhanden sind, die eine Abkehr von extremen Theorien bedeuten, und die durch die christliche Naturrechtslehre schon mehr oder weniger konkret vorgezeichnet wurden. Aber auch die christliche Sozialethik zwingt nicht der Wirklichkeit ihre Prinzipien auf, sondern leitet ihre Forderungen aus den Erfahrungen des menschlichen Zusammenlebens ab. Ihrem Anliegen sind nichts abträglicher als rückwärtsgewandte, sozialromantische Vorstellungen. Ich bekenne mich daher zum christlichen Sozialrealismus, wie ihn vor allem auch mein weit über die Grenzen Österreichs hinaus angesehene Lehrer und katholische Sozialwissenschaftler Johannes Messner vertritt. Gerade der Christ von heute muß die Vorgänge in der Welt mit nüchternem Realismus sehen. Die Wirtschaft ist einer jener Bereiche, der sich ohne fachliche Bewältigung, in diesem Fall ohne nationalökonomische Betrachtungsweise, jedem Ordnungswillen entzieht Der moderne Produktionsprozeß, neue Finanzierungsmethoden, eine verfeinerte Einkommensverteilung, immer höhere Ansprüche des Konsumenten und schließlich wachsende internationale Verflechtungen auf dem Gebiet des Handels- und Kapitalverkehrs wie auch der währungspolitischen Zusammenhänge machen auch die politischen Maßnahmen immer schwieriger und verantwortungsvoller, die sich die Ordnung in diesen Bereichen zum Ziel gesetzt haben. Dies gilt insbesondere von der Finanz- und Budgetpolitik. Jene Punkte der Regierungserklärung, welche sich mit den Kapitalmarktproblemen, der Investitionspolitik oder mit den Aufgaben der Integrationsvorbereitung, mit • Wirtschaftswachstum und Währung beschäftigen, müssen als Ausdrück eines solchen SozialreaMsmus gesehen werden.

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