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In der Zange

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Die Prognosen für den Wirtschaftsboom in der Deutschen Bundesrepublik im Jahre 1969 wurden weitestgehend übertroffen. Das steht schon fest, ehe die endgültige Bilanz des deutschen Wirtschaftsjahres 1969 vorliegt Während aber der Bundesrepublikaner mit Frau und Kind vom Goldschmuck bis zum exquisiten Möbel und vom Bausparvertrag für ein Eigenheim bis zum exklusiven Modeartikel so gut wie alles für ein

Minister Schiller: Druck von der Gewerkschaft

Photo: Votav

typisches Wirtschaftswunderweihnachten eingekauft haben, zerbrechen sich dieselben Sachverständigen, die am Anfang des Jahres gegenüber 1968 keineswegs so optimistisch Steigerungen prognostiziert hatten, wie sie dann tatsächlich eingetroffen Bind, den Kopf, wie nunmehr das Erreichte durch eine Politik der präventiven Einkommenssicherung abgesichert werden kann. Denn die Lohn- und Preisspirale droht sich trotz SPD-Regierung, die ja schließlich ihre Brüder von der Gewerkschaft im Zaum halten können müßte, stark zu drehen und damit trotz derzeitiger Hochkonjunktur die neue Gefahr einer anschließenden Rezession mit sich zu bringen. Zehn Prozent hatten die Sachverständigen maximal zum Beispiel für Anlageinvestitionen im Jahre 1969 vorausgesagt, 18 Prozent waren es dann tatsächlich geworden. 7,5 Pro-

zent hatte man dem Staatsverbrauch zuerkannt, 10 Prozent waren es ebenso in der Steigerung geworden wie auch beim privaten Verbrauch, wo man ebenfalls ursprünglich auf 7,5 Prozent getippt hatte. In der Ausfuhr schließlich hatte der Sachverständigenrat mit 10,5 Prozent (tatsächlich nur mehr 14,5 Prozent) ebenso danebengegriffen wie bei den Einfuhren, wo im Zeichen der Hochkonjunktur gegenüber 12 Prozent in der Prognose nunmehr eine tatsächliche Steigerung um 19 Prozent festzustellen ist. Wie sehr die deutsche Wirtschaft und damit auch die Wirtschaftskraft der Bevölkerung in der Deutschen Bundesrepublik gewachsen ist, zeigt wohl am deutlichsten die Tatsache, daß das Bruttosozialprodukt, dessen Wachstum mit 7,5 Prozent angenommen wurde, tatsächlich um 11,5 Prozent wuchs, und daß die Bruttoeinkommen bei den Unselbständigen um 12,5 Prozent und nicht, wie vorhergesagt, um nur 8,5 Prozent wuchsen. Erraten hat man nur eines, nämlich das Wachstum der Unternehmereinkommen, die 1969 tatsächlich um 8 Prozent, wie dies auch in der Prognose zu lesen stand, gewachsen sind.

Nunmehr hat sich der Sachverständigenrat zusammengefunden, um auch für 1970 wieder sein Gutachten und seine Prognose zu erstellen. Den Gewerkschaften wurde dabei überraschend gleich der Wind aus den Segeln genommen, denn, so meint der Rat, „ein Nachholbedarf bei den Löhnen dürfte nach der Lohnwelle des heurigen Herbstes zum bevorstehenden Jahreswechsel nicht mehr bestehen“.

Obwohl es in dem Konzept des Sachverständigenrates für die Wirtschaft 1970 erstmals seit langem an Alarmrufen und negativen Bewertungen gegenüber der Regierung fehlt und man meint, die letzte Marktaufwertung Ende Oktober habe die ärgsten Sorgen beseitigt, so zeigt doch die Prognose, daß auch 1970 wieder ein Uberschuß im Außenhandel von 15 Milliarden DM sicher neue Probleme für die Mark mit sich bringen wird. Allgemein erwartet man jedoch bei den Wirtschaftsfachleuten in der Bundesrepublik, daß 1970 die Verbraucherpreise höchstens um 3 Prozent steigen werden, obwohl man vereinzelt auch zugeben muß,

daß man auch höhere Wachstumsraten bei den Preisen durchaus für möglich hält und damit die Preisstabilität gefährdet sieht. Obwohl man im Ausland den Aufwertungssatz von 9,3 Prozent für die DM heftigst kritisiert hat, meint der Sachverständigenrat, daß eine Auf-

wertung um 10 bzw. 10,5 Prozent noch empfehlenswerter gewesen wäre. Daß auch künftighin die Aufwertung als letzter Riegel möglich ist, schließt man dabei keineswegs aus.

Wie schwer es für die Regierung SPD-FDP unter Brandt jedoch auch 1970 sein wird, geht wohl aus der Tatsache hervor, daß der Sachverständigenrat in seinem Gutachten meint: „Die Gefahr einer Lohn-Preisspirale ist besonders in der Spätphase eines Booms, der nach Dauer und Intensität alle früheren Hochkonjunkturphasen übertrifft, besonders hoch.“

Kein Wunder also, daß man schon jetzt an die einflußreichen Großunternehmen den Appell richtet, preisdiszipliniert vorzugehen und mit zu

versuchen, etwaige Aufwertungsverluste durch inländische Preiserhöhungen auffangen zu wollen. Denn, so meint man, das werde auch wieder die Löhne bzw. Lohnforderungen wesentlich intensivieren und über die vom Rat vorgesehenen Effektivverdienste von 4 bis 7 Prozent hinaus steigern. Raum für Lohnerhöhungen sei, so meinen die Sachverständigen, erst wieder im großen Umfang 1971 bzw. 1972, wenn die kritische Phase der deutschen Konjunktur überwunden sei. In dieser Frage allerdings gibt sich der Rat pessimistisch und meint, es sei fraglich, ob sowohl die Unternehmerschaft in der Preispolitik wie auch die Gewerkschaften bei den Lohnforderungen Disziplin auf so lange Dauer werden wahren können.

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