"In zwei Stunden ist man verführt"

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Während viele mit Mathematik nur abstrakte Formeln verbinden, erweckt Rudolf Taschner sie mit launigen Geschichten und kulturellen Bezügen zum Leben - unter anderem in seinem "math.space" im Wiener Museumsquartier. Der Klub der Bildungs- und Wissenschaftsjournalisten hat Taschner nun zum "Wissenschafter des Jahres 2004" gewählt.

Die Furche: Sie gelten hierzulande als "Mathematik-Missionar". Ist Österreich ein mathematisches Entwicklungsland?

Taschner: Jedes Land ist in Sachen Mathematik ein Entwicklungsland - Frankreich ein bisschen weniger, Österreich ein bisschen mehr. Ich fühle mich aber weniger als Missionar, der die Leute an ihrem Platz lässt, sondern eher als Fremdenführer, der in das mathematische Land hineinführt. Das ist ja ein magisches, skurriles Land, das man nicht kennt und wo man häufig sagt: Da möchte ich gar nicht hineinschauen. Natürlich ist die Mathematik ein trockenes Gebiet, aber wenn man es mit Menschenblut durchströmen lässt, dann beginnt es zu leben: Da gibt es etwa einen Euler, der sich damit beschäftigt hat, wie man in Königsberg über alle Brücken gehen kann: Bei der Lösung dieses Problems lerne ich eine ganze kulturelle Landschaft kennen. Diese Verbindung zwischen Kultur und Mathematik muss man herstellen. Das ist der Trick.

Die Furche: In der Schule würde man "fächerübergreifend" zu so einer Methode sagen ...

Taschner: Ja. Aber wenn man den Unterricht in 50 Minuten einteilt und sagt: Jetzt habe ich Mathematik, jetzt habe ich Geschichte, jetzt habe ich Deutsch oder Philosophie: Wie soll ich dann fächerübergreifend unterrichten?

Die Furche: Laut PISA 2 gelingt die Mathematik-Vermittlung ohnedies nur dürftig: Österreichs Schüler sind nicht nur von Rang elf auf Platz 15 zurückgefallen. Sie liegen auch bezüglich des Interesses am Fach Mathematik an letzter Stelle.

Taschner: Diese pisa-Ergebnisse sind insofern ein Glück gewesen, als das Thema jetzt diskutiert wird. Es soll aber nicht über PISA geredet werden, sondern über Mathematik. pisa lasse ich als schiefen Turm links liegen ... Es kommt vor allem darauf an, dass die Menschen merken, dass Mathematik etwas Wichtiges ist. In der Schule wird aber im Allgemeinen nicht erklärt, warum das so ist. Da lernt man Mathematik und sagt sich: Gott im Himmel, wann ist es vorbei?

Die Furche: Besonders mühsam scheint es zu sein, Mädchen für Mathematik zu begeistern. Laut pisa haben Österreichs Mädchen den absoluten Negativwert im Ländervergleich ...

Taschner: Es stimmt: Mädchen werden bei uns komischerweise noch viel weniger von Mathematik angesprochen als Buben. Das liegt, glaube ich, an Klischees - wenn man etwa von vornherein sagt: Mathematik ist nicht eure Sache. Das muss man überwinden. Bei meinen Lehramtsstudenten habe ich jedenfalls mehr Frauen als Männer.

Die Furche: Welche Tricks wenden Sie an, um ihre eigenen Schülerinnen und Schüler am Wiener Theresianum für Mathematik zu begeistern?

Taschner: Ich begeistere meine Schülerinnen und Schüler nicht für Mathematik - die werden ganz normale Juristen, Ärzte oder ähnliches. Es ist auch nicht so, dass ich sie zur Mathematik verführen möchte. Das mache ich eher hier im "math.space". Das Verführen geht ja leicht. Innerhalb von zwei Stunden ist man verführt. Aber dann hat man eine Ehe vor sich. Der ehemalige Wiener vp-Chef Bernhard Görg hat einmal gesagt, er würde gern einmal zwei, drei Stunden in der Schule unterrichten. Da kann man leicht seine Karten ausspielen. Aber in der Schule hat man nur wenige Atouts in der Hand und eine ganze Spielsaison durchzuhalten. Es kommt aber auch nicht darauf an, dass ich die Kinder zu Mathematikern erziehe, sondern dass ich ihnen ein Menschenbild anbiete, in dem sie sich verwirklichen können. Mathematik bietet eine abstrakte Schönheit an, wo man sagen kann: Das bringt mir etwas für das Leben. Wenn man das als Lehrer zusammengebracht hat, hat man schon viel zusammengebracht.

Die Furche: Mathematik birgt aber nicht nur Schönheit, sondern auch Rätsel - zum Beispiel jenes der Unendlichkeit, mit dem Sie sich intensiv beschäftigen ...

Taschner: Das Unendliche ist im Hebräischen eines der göttlichen Attribute. Das ist also schon vom Theologischen her ein faszinierender Begriff. Die Griechen, die als erste begonnen haben, darüber nachzudenken, und die auch die Zahlen entwickelt haben, sind daraufgekommen, dass das Zählen zwar etwas ganz Einfaches ist. Aber wenn ich weiterzähle, gibt es die Möglichkeit, dass ich niemals zu Ende komme, und das ist wie ein Alptraum. Zum Beispiel bei einem Pentagramm, einem Fünfeck. Wenn man hier die Diagonalen einzeichnet, ergibt sich wieder ein Fünfeck, und wenn man hier wieder Diagonalen einzeichnet wieder ein Fünfeck und so fort. Dann haben die Griechen in jedem dieser Fünfecke das Verhältnis der Diagonale zu einer Seite - den "goldenen Schnitt" - berechnet. Hier ist zum ersten Mal das Unendliche aufgetaucht: Es ist also da, aber nicht fassbar. Und es ist die ganze Aufgabe der Mathematik, über diese Dialektik zu verhandeln. Hermann Weyl (ein Göttinger Mathematiker; Anm. d. Red.) hat gesagt: Mathematik ist die Wissenschaft vom Unendlichen.

Die Furche: Die Physik quält sich einstweilen mit der Relativität. Glauben Sie, dass sich Kinder und Jugendliche im heurigen Einstein-Jahr - das Sie im "math.space" auch aus mathematischer Sicht begleiten - leichter für Naturwissenschaften begeistern lassen?

Taschner: Ich glaube schon. Einstein ist ja eine Art Erlöserfigur für die Menschheit. Es gibt etwa eine Karikatur in der Washington Post, die 1955 kurz nach Einsteins Tod erschienen ist: Darauf sieht man viele Himmelskörper und die Erde, die mit einem Etikett versehen ist, auf dem steht: Albert Einstein lived here! Er ist jemand, der einem das Universum erklärt, alles, Raum und Zeit. Außerdem ist er - mit den langen Haaren und den nicht angezogenen Socken - ein ziemlich skurriler Knabe, und noch dazu ein Pazifist, der philosophische Erwägungen von sich gegeben hat. Was will man mehr?

Das Gespräch führte Doris Helmberger.

Der Zahlen gigantische Schatten

Mathematik im Zeichen der Zeit.

Von Rudolf Taschner. Verlag Vieweg, Wiesbaden 2004. 198 Seiten m. zahlr., meist farb. Abb., geb., e 41,10.

Fremdenführer ins Land der Zahlen

Er findet sie in der Musik, in der Literatur, in der Politik und auch in der Philosophie: die Magie der Zahlen. Nun hat Rudolf Taschner, Professor am Institut für Analysis und Scientific Computing der Technischen Universität Wien und Mathematiklehrer am Wiener Theresianum, seine faszinierenden Funde im Buch "Der Zahlen gigantische Schatten" unters Volk gebracht: Magischen Quadraten ist er darin ebenso auf der Spur wie der Zahlensymbolik Johann Sebastian Bachs. Nicht nur in seinen zahlreichen Büchern (u. a. "Das Unendliche", Springer Verlag 1995) versucht Taschner deutlich zu machen, dass Mathematik mehr ist als trockene Formelakrobatik. Auch im von ihm 2003 begründeten "math.space", einem etwas versteckt gelegenen Raum im Wiener Museumsquartier, will er der breiten Bevölkerung Mathematik als kulturelle Errungenschaft näher bringen. In rund 300, oft ausgebuchten Veranstaltungen bietet er "Schnupperkurse für Kindergärten", erklärt Jugendlichen den "Goldenen Schnitt" oder veranstaltet Workshops zum Thema "Einstein rechnet" (Infos unter http://math.space.or.at). Taschners Zugang ist betont interdisziplinär: Schließlich hat der "Marcel Prawy der Mathematik" auch Physik, Chemie und Philosophie studiert. Für seine Leistungen im Bereich der öffentlichkeitswirksamen Wissenschaftsvermittlung wurde der 1953 in Ternitz geborene Vater zweier Kinder nun vom Österreichischen Klub der Bildungs- und Wissenschaftsjournalisten zum "Wissenschafter des Jahres 2004" gekürt.

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