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Innerkirchlicher Pluralismus

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Nach dem zweiten Weltkrieg sind neben der offiziellen Jugendorganisation der Kirche, der Katholischen Jugend, die Mittelschulpennalien und die Marianischen Kongregationen wieder errichtet worden. Die Verbindungen, die der Tradition des Farbstudententums verhaftet sind, haben sich im „Mittelschülerkartellverband“, der gegenwärtig 115 Korporationen umfaßt, zusammengeschlossen. In der Verbandsführung sind die „Alten Herren“ stark verankert; ihnen ist es zu danken, daß wieder VertoindungsheimeiHit)eKäit-Mcher.Zahl entstände, und manche finanzielle Klippe gemeistert wurde.

Vornehmlich in den Häusern der Gesellschaft Jesu sind die Marianischen Kongregationen wieder errichtet worden. Sie wurden 1952 zum „Verband Marianischer Studentenkongregationen“ zusammengeschlossen. In Innsbruck ist es übrigens der dort bestehenden, bald 400 Jahre alten Marianischen Kongregation gelungen, ein modernes Studentenzentrum auf neuer pädagogischer Grundlage zu errichten.

Die dritte an den höheren Schulen tätige katholische Organisation ist die Katholische Studierende Jugend (KSJÖ), die aus der KJ 1948 hervorgegangen ist. Nach den Grundsätzen der Katholischen Aktion aufgebaut, versucht die KSJ — womöglich in Gemeinschaft mit anderen Organisationen — lebende Kirche an der Schule, ein Instrument der Seelsorge im kirchlichen Vorfeld, zu sein.

Zusammen werden die genannten drei Organisationen über eine Mitgliederzahl von ungefähr 10.000 verfügen, wobei KSJ und MK auch Mädchen in ihren Reihen haben: die KSJ ist mit über 6000 Mitgliedern die stärkste Organisation an den höheren Schulen Österreichs.

Schule — „Sumpf“ der Weltanschauungen?

Die öffentliche Schule unserer Zeit Ist ein getreues Spiegelbild einer auch im sozialen Bereich pluralistischen Gesellschaft. Nicht einmal die Sozialisten sprechen noch von einem echten „Bildungsprivileg“, da heute allen Kreisen der Bevölkerung die finanzielle Möglichkeit geboten ist, Kinder an die höheren Schulen zu schicken. Lediglich in ländlichen Gebieten besteht wegen der Entfernung zu einer höheren Schule noch eine echte Schwierigkeit und dadurch eine faktische Diskriminierung.

Die Koexistenz der Ideen ist weit gediehen; die Entwicklung eines echten Problembewußtseins, eines Anders-Seins, stößt daher nicht selten auf Schwierigkeiten. Auch in der Schule. Diese Erscheinung bringt es mit sich, daß politisch und weltanschaulich bewußt eindeutig unterrichtende Lehrer — auch in Extremen — bei den Schülern sehr beliebt sind. Die Suche nach der Wahr-

heit ist für den Jugendlichen ungefähr in der 7. Klasse ein Problem, dem er sich stellen will. Nicht immer erhält er aber vom Lehrer jene Hilfe, die ihn die Wahrheit erkennen hilft.

Die weltanschauliche „Asepsis“ des Unterrichts und so mancher Lehrbücher, die, eine Folge der jüngsten Geschichte Österreichs, zu den Merkmalen der gegenwärtigen höheren Schule zählt, ist durch die Schulgesetze gemildert worden. Die bedenklichen ?jr|issen$lMck^i ^w..ötw^ denten in Zeitgeschichte, wie wir sie bis vor kurzem feststellen mußten, sind nur eine Folge der politischen Keimfreiheit des Unterrichts, der jetzt freilich gegenwartskonform — auch in Geschichte — werden soll.

Die Seelsorge an der Schule

Die Kirche hat bei den Studierenden der höheren Schulen die große Chance, bis zur Matura über zwei Wochenstunden im „Fach“ Religion Seelsorge treiben zu können. Trotz dieser günstigen Gelegenheit ist bis heute noch nicht geklärt, ob die Seelsorge für die Schüler an den höheren Schulen primär in den Pfarren oder in den Schulen selbst realisiert werden soll. Untersucht man in Wien eine durchschnittliche Pfarre, wird man dort Schüler aus so ziem-

lich allen Schultypen finden. Ihre Interessen sind derart verschieden, daß kaum eine Möglichkeit besteht, sie gemeinsam anzusprechen. Untersucht man dagegen die Verhältnisse in einer Kleinstadt, wird man wieder sehen, daß 70 Prozent der Schüler täglich einige Kilometer hinter sich bringen, um die Schule zu besuchen. In Autobussen und Eisenbahnen geht aber sehr viel Zeit verloren, so daß daheim kaum Gelegenheit ist, die Schüler für die Kirche anzusprechen. Auf den ersten Blick ist es scheinbar in Heimen am leich-

testen, Seelsorge zu treiben, da dort die Studierenden neun Monate im Jahr in einer Gemeinschaft leben. Wer aber Internate kennt, weiß, daß die Leitungen mit KJ-Gruppen in der großen Gemeinschaft der Internatsschüler nicht immer rechte Freude haben, was auch der Grund für die relative Schwäche katholischer Organisationen in katholischen Internaten sein dürfte. Wirklich günstig ist es dagegen in Städten wie Graz und Linz, die ein genügendes Einzugsgebiet für die höheren Schulen haben und dennoch nicht so groß sind, daß Entfernungen zwischen Haus und Schulort, wie etwa

in Wien, für eine wirksame Seelsorge zu fast unüberwindlichen Hindernissen werden. Daher wird sich in mittelgroßen Städten leichter ein Studentenzentrum einrichten lassen, das erst eine moderne Seelsorge an der studierenden Jugend zuläßt; Salzburg, Innsbruck, Klagenfurt, Graz und zum Teil auch Linz sind diesen Weg mit Erfolg gegangen. Daß effektive Seelsorge entsprechende Mittel und Einsatzinstrumente benötigt, versteht sich von selbst; Studentenseelsorge läßt sich heute nicht mehr im Hinterhof oder in einem Keller — außer in einem Jazzkeller — betreiben.

Wo sind die Seelsorger?

Das Unterrichtsfach „Religion“ wird hauptsächlich von Priestern unterrichtet, die zu einem erheblichen Teil pragmatisierte Bundeslehrer sind. Diese erfreuliche Entlastung des Budgets der Religionsgemeinschaften hat jedoch vielfach zu einer Zweigeleisigkeit des seel-sorglichen Konzepts geführt. Manche Professoren sind zugleich auch als Kapläne an einer Pfarre tätig, die oft weit vom Schulbereich entfernt liegt. Andere Religionslehrer haben spezifische Aufgaben in ihrer Freizeit übernommen; so sind etwa heute die bekanntesten Vortragenden in Bildungswerken Religionsprofessoren. Die weitgehende Selbständigkeit in der pastoralen Tätigkeit führt zu Lücken in der Koordination. Auf diese Weise kommt es dazu, daß an vielen Anstalten außer den zum eigentlichen Schulbetrieb zählenden Anfangs- und Schlußgottesdiensten nur noch zu Weihnachten und Ostern Beichtgelegenheit geboten und ein Gottesdienst abgehalten wird.

Wo ist die Chance?

Gegnerische Kräfte sind heute an den höheren Schulen kaum spürbar; das Feld ist offen und kann von jedermann für sich behauptet werden. Es ist verständlich, daß man gewisse Mittel — personell und materiell — einsetzen muß, um der Kirche eine angemessene Präsenz an der Schule zu erhalten. Vielleicht' kann dem Priestermangel auch dadurch Rechnung getragen werden, daß es für Lehramtskandidaten möglich wird, Religion als zweites Fach zu übernehmen. Viele katholische Laien sind sicher beredt, diesen Weg zu gehen. Die Chance des Unterrichtsfaches Religion, verbunden mit Geschichte, Deutsch oder Physik, wäre vom pastoralen Standpunkt aus eine sehr große. Werden diese oder auch andere Chancen genutzt? Die Bildungsgesellschaft wird durch den Zuwachs an höheren Schulen zur Realität; wird die Kirche hier ihren Platz behaupten, gerade an der Basis dieser Bildungsgesellschaft? Die Gefahr einer Verkümmerung der Kirche vom Sockel unserer Gesellschaft her besteht jedenfalls und sollte nicht übersehen werden.

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