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„Je vielfältiger die Schule, umso besser!"

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Kurt Scholz, amtsführender Präsident des Wiener Stadtschulrates, ist hocherfreut darüber, daß Eltern immer wählerischer werden, was die richtige Schule für ihr Kind betrifft: „Gott sei Dank. Wir haben keine Einheitsmenschen, die sich Einheitsschulen zur Produktion von Einheitskindern wünschen. Gott sei Dank werden die Eltern wählerischer, Gott sei Dank können wir ihnen auch eine Bandbreite anbieten, die es in anderen Regionen Österreichs nicht gibt." Wien habe naturgemäß das vielfältigste Schulwesen.

Eine Absage an das Modell der Gesamtschule? Scholz: „Tatsache ist, daß die Forderung nach der Gesamtschu le sicher nicht breite Mehrheiten hinter sich hat. Tatsache ist: Die Eltern wünschen sich ein möglichst vielfältiges Schulwesen. Je vielfältiger ein Schulwesen ist, desto besser ist es. Je vielfältiger eine Gesellschaft ist, desto zukunftstauglicher ist sie. Wir haben die Aufgabe, die Palette deutlich zu verbreitern. Das Schulwesen ist keine Anstalt zur Zwangsbeglückung von Menschen, sondern eine Serviceeinrichtung. Wenn die Eltern eine breitere Produktpalette wünschen, dann werden wir das liefern."

Das Schulsystem sei heute sicher durchlässig genug: „Die Übertrittsschwierigkeiten sind in Wien bis 14, 15 Jahre nicht nennenswert. Sie beginnen dann, wenn ein löjähriger von der AHS in die Handelsakademie oder gar in die HTL wechseln will. Aber bis dahin ist das wirklich sehr flexibel." Auch Übertritte aus privaten in öffentliche Schulen seien kein Problem: „Ich habe keine Schwierigkeiten, 13jährige aus dem Lycee, einer von der Volksschule an hochspezialisierten Schule, in einer öffentlichen Schule unterzubringen. Akkli-matisationszeitjdrei Wochen."

Differenzierte Begabungsförderung gibt es heute in Wien ab der eisten Volksschulklasse. Scholz nennt aus dem Handgelenk Beispiele: „Wir haben einen Schwerpunkt für Musik mit über 200 Klassen, Englisch ab der 3. Klasse oder ab der 1. Klasse, Französisch ab der 3. Klasse, bilinguare Schulen von der 1. Volksschulklasse an, wo nicht eine Fremdsprache unterrichtet wird, sondern wo von vornherein in zwei Sprachen der Unterricht abgehalten wird."

Die echte Differenzierung beginnt ab dem zehnten Lebensjahr. Statt für die „normale" Hauptschule oder AHS-Langform kann man sich zum Beispiel fürs Musikgymnasium oder für die Öko-, Informatik-, Sport-, Mu-sik-oder Fremdsprachenhauptschule entscheiden. Informationen liefert der beim Stadtschulrat erhältliche „Schulführer" für Wien. Scholz: „Das ist die erschöpfendste und detaillierteste Zusammenstellung, die je eine österreichische Schulbehörde über ihr Schulwesen gemacht hat." Stolz ist der Präsident auch auf die Einführung von Spezialberatungen für besonders begabte Kinder.

Scholz: „Nur relativ wenige Kinder, vielleicht zwei oder drei Prozent, sind allgemein hochbegabt. Fünf bis acht Prozent der Kinder haben Spezi-albegabungen, wobei aber die Eltern oft nur die auffallende Spezialbega-bung sehen und nicht akzeptieren wollen, daß das Kind noch nicht einmal die Schuhbänder zubinden kann. Ein solches Kind vorzureihen, ist eine sehr problematische Maßnahme, weil das Kind letztlich übrigbleibt."

Als Riesenerfolg wertet Scholz, daß heuer in Wien erstmals in der Geschichte des österreichischen Schulwesens für die erste Klasse Volks-schule sämtliche Wünsche nach Nachmittagsbetreuung erfüllt werden konnten, das will man nun bis zur 6. Schulstufe ausbauen. Daß die Kosten für die Schule Eltern und Steuerzahler enorm belasten, ist dem Wiener Stadtschulrats-präsidenten klar: „Die Schule ist exorbitant teuer. Ein Budgetposten von 65 Milliarden Schilling österreichweit muß mit Augenmaß verwaltet werden. Wenn davon 92 Prozent in die Lehrergehälter fließen, dann ist das nur zu verantworten, wenn ich qua-litätsorientiert vorgehe." Qualitätssicherung sei „ein erstrangiges Gebot". Damit man sich in der Schule seiner Wahl auch auf Qualität verlassen kann, bedarf es, so Scholz, einer „Fülle von Maßnahmen", die der Qualität der Lehrer, aber auch ihrer Arbeitsbedingungen gelten müssen. (Mehr darüber lesen Sie demnächst in einem ausführlichen Interview mit Kurt Scholz in der FtRCHE)

Im allgemeinen ist Kurt Scholz voll des Lobes für seine Lehrer, von denen viele „großartige Idealisten" seien, und hebt als Beispiel die Ausländerpädagogik im Pflichtschulbereich hervor: „Keine gesellschaftliche Organisation hat für die ausländischen Kinder mehr getan als die Wiener Volksschule. Der ,Mann des Jahres' ist für mich die Wiener Volksschullehrerin."

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