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Jugend: Die große Unbekannte?

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Die große Unbekannte ist angeblich die Jugend. Das muß bezweifelt werden. Jungwähler hat es stets gegeben. In der nächsten Periode sind sie bereits wieder Altwähler. Dazu kommt, daß merkwürdigerweise gerade Jungwähler erheblich konservativer wählen als die Angehörigen der mittleren Generation. Das Tingeltangel der SPÖ, ihr Versuch, unter Aufgabe ihrer Programmatik, unpolitische Jugendliche für sich zu gewinnen, hat einen fragwürdigen Wert. Ebenso kann man von den Bemühungen der ÖVP, im Rahmen eigener Aktionen zusätzlich Jungwähler geneigt zu machen, kaum viel erwarten, um so mehr, als> die Jungen innerlich in einem weif größeren Umfang als man oben vermutet, bereits gewählt haben. Dazu kommt, daß die ÖVP in ihren Reihen den Konkurrenzkampf ihrer drei Jugendorganisationen auszuhalten hat und sich daher der Jugend durch zusätzliche Sonderaktionen kaum ausreichend attraktiv anzubieten vermag. Die Jugend prüft nicht so sehr die auf sie angelegten Aktionen, sondern das allgemeine Verhalten der ÖVP. Dagegen waren die Jugendparlamente unverkennbar ein Schritt nach vorwärts, eine Form der Lockerung und Aktivierung eines bei den Jungen vorhandenen politischen Interesses, gleichzeitig ein heilsamer Zwang für manche Mandatare, jungen Menschen Rede und Antwort zu stehen und ihre eigene Position, vor allem den Inhalt ihrer oft substanzlosen Argumente, zu überprüfen.

Die Arbeitnehmer sind, soweit gewerkschaftlich neutral, potentielle Wähler der ÖVP. Aber auch viele aus der Region des ÖGB. Die stetige Verbürgerlichung des Denkens der Arbeiter und die Verbeam-t u n g entziehen der SPÖ beachtliche Wählergruppen, deren sie sich bisher sicher fühlen konnte. Sogar das massierte Streiken hat der SPÖ viele Arbeitnehmer abspenstig gemacht, interessanterweise auch solche, die aus einem Streik persönlichen Gewinn zogen. Jeder Streik verstärkt den Unmut über das Streiken als solches, auch wenn man einmal selbst gewillt war, zu streiken. Der Polizistenstreik, dem Grunde nach durchaus berechtigt, hat durch die Art seiner Durchführung die SPÖ viele Stimmen gekostet, wozu noch kommt, daß ohnedies große Teile der Arbeiterschaft geradezu traditionell polizistenfeindlich sind. Der durch den Polizistenstreik offenkundig gewordene Autoritätsabbau („Wer schützt uns vor der Polizei?“) kann der ÖVP nicht wenige Angstwähler zuführen.

Das Bürgertum ist, wie eh und je, politisch unverläßlich. Wiewohl es ohne ÖVP nicht einmal im Ansatz eine freie Wirtschaft gäbe und die Besitzbürger die relative Höhe ihres Einkommens vor allem der Aktivität der ÖVP verdanken, werden sie dies,wie schon 1959, der ÖVP kaum danken. Es gibt keine soziale Großgruppe, die so wenig politisches Talent und ein so kümmerliches politisches Gedächtnis hat, wie das Bürgertum. Vor allem geht einem bestimmten Bürgertum jedes Gefühl für Dankbarkeit ab. Das war 1938 ebenso wie 1945. Sollte etwa am 18. November besonders schönes Wetter herrschen, werden tausende Bürger mit Genuß, wenn auch mit wohlvorbereiteten, auf Selbstbe-ruhigung zielenden Argumenten, vor nehm Wahlabsenz üben. Am Montag nach der Wahl wird man dann freilich die Höhe der sozialistischen Stimmen beklagen und von der ÖVP gerade jene „Stärke“ gegenüber links verlangen, die sie mangels einer ausreichenden Zahl von Mandaten nicht demonstrieren kann.

Was die B a u e r n als wirtschaftliche Gruppe in Österreich sind, verdanken sie ihren großen und weisen Führern zwischen 1919 und 1938, aber in der gegebenen Lage vor allem der ÖVP, ganz besonders dem zeitweiligen Stillehalten der anderen Bünde in der ÖVP. Eine Bauernpartei, an die manche Utopisten unter den Bauernführern denken, kann kaum mehr sein als eine Zwergpartei, die bettelnd von rechts nach links wandern und sich rundherum anbieten müßte. Heute aber haben die Bauern zwei Minister und nicht weniger als vier Landeshauptleute. Sollten die Bauern tatsächlich, sei es durc^h Absenz, sei es durch Votieren für eine andere politische Gruppe, die ÖVP nachhaltig schwächen, werden sie selbst es sein, welche die Rechnung für ihr Verhalten, und dabei ohne jeden Rabbat, begleichen müssen. Die ÖVP aber wäre dann freilich auch zu einer völligen Revision ihrer Politik und ebenso der Auswahl ihrer Führer gezwungen.

Die ÖVP wird nicht so sehr von den anderen Parteien als von einer modisch-eitlen Skepsis unter den Nichtsqzialisten bedroht, eine Folge der ökonomischen Übersättigung und eines trügerischen Sicherheitsgefühls, welches so manchem gerade der unbekümmert bekämpfte Proporz gibt. Die große Gefahr für die ÖVP ist daher die \j Wahlenthaltung gerade jener Schichten, die allen Grund hätten, die ÖVP schon aus purem Egoismus zu wählen.

Dazu kommt noch, daß die ÖVP so gut wie nichts tut, um sich den Gelegenheitswählern, die, wie stets, erst während des Wahlkampfes gewonnen werden müssen, in einer geeignX; ten Weise anzubieten. Angefangen haben die langfristigen Wahlvorbereitungen der ÖVP bescheiden. Zwischen den Wahlterminen wurde so gut wie nichts getan, um die Wähler darauf aufmersam zu machen, daß ein politisches Gebilde, das sich „ÖVP“ nennt, überhaupt da ist. Die ständigen und wortreichen Presseproklamationen kommen kaum in die Nähe der Bewußtseinsschwelle der Massen.

Man denke beispielsweise an die nichtssagenden, propagandistisch geradezu primitiven und fast völlig argumentlosen Plakate, die in den letzten Jahren der Öffentlichkeit von der ÖVP geboten wurden. Man hätte, angesichts der Werbewirkung der gewählten Argumente, genausogut das Einmaleins anschlagen können.

Die große Frage ist also: Wie wird sich die ÖVP in den letzten Phasen des Wahlkampfes für die Randwähler attraktiv darbieten; wie wird sie die Skeptiker, jene, die sich wieder vorgenommen haben, nicht zur Wahlurne zu gehen, für sich gewinnen; wie wird sie die ressentimentgeladenen Bauern zur Einsicht bringen, daß eine Agrarpolitik ohne ÖVP eine Katastrophe (aber nicht nur für die Bauern) sein wird; wie wird sie die apathischen Bürgerlichen dazu bringen, erst nach Stimmabgabe zum Hendlessen zu fahren; wie wird sie den bewußten Österreichern ihren in den letzten Jahren oft geübten „Patriotismus auf kleiner Flamme“ erklären; wie wird sie die Masse der Arbeitnehmer vergessen machen, daß sie ihnen gegenüber oft und allzu oft Gegen-Partei war? Trotzdem!

Wir haben uns nie gescheut, wenn es notwendig schien, in der Sache ÖVP unverblümt unsere Meinung zu sagen. Trotz massiver Drohungen einzelner Parteifanatiker, die sich — und mit Recht — betroffen fühlten, trotz „witziger“ Angriffe sogar im Hohen Haus („Was dem einen sein .Heute' ist dem anderen seine .Furche'“). Angesichts dessen, was bei den Novemberwahlen auf dem Spiel steht, wagen wir es aber auch zu sagen:

Was wäre unser Land ohne diese, ÖVP, auch noch in ihrer Schwäche, was wäre aus unserem Land ohne den Einsatz der tapferen Männer von 1945 und später geworden? Die ÖVP ist nicht die Summe ihrer Krankheitserscheinungen, die man allein als für sie charakteristisch herausstellt. Wer, ohne Gedächtnis oder aus Veranlagung, nicht dankbar zu sein vermag, soll zumindest aus Vernunft wählen.

In der nächsten Nummer: Dreimal SPÖ.

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