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Jugend und Politik

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1965. Mit viel Wasser wurde die Universität Wien repräsentiviert. Andere, öffentliche Gebäude, wurden ebenfalls gewaschen. Für seine Paraden wurde das Bundesheer neu fassoniert. Viele Denkmäler wurden errichtet. Viele Orden wurden verliehen. Und alles für ein zwanzigjähriges Jubiläum, das zufällig mit dem Geburtstag einer seiner wichtigsten Bildungsstätten zusammenfiel. Es wurde sorgfältig geputzt und abgeputzt, um die Feierlichkeiten würdig begehen zu können.

Die Politiker unserer Republik schlössen sich an. Nach dem peinlichen Gedenken des Jahres 1964 sollten die Geister der Vergangenheit gebannt werden. Man gelobte, aus den Fehlern der dreißiger Jahre zu lernen. Unsere Politiker priesen die Einigkeit. Sie sprachen von Gemeinsamkeit. Von Eintracht statt Zwietracht. Von Sachlichkeit. Man wollte ein neues Zueinander finden, nachdem sich die Gründe für die Zusammenarbeit nach dem großen Krieg als nicht mehr stichhältig erwiesen. Ein Beispiel für die Jugend, der noch immer der wahre Sachverhalt der Ersten Republik vorenthalten wird. Da die Archive sogar für wissenschaftliche Arbeiten geschlossen bleiben.

Wo das Mißtrauen beginnt

Hier ist der erste Punkt, wo wir mißtrauisch werden. Die studierende Jugend ist ein gewisser politischer Gradmesser. In Deutschland haben die Professoren Habermas und Friedeburf/ eine Untersuchung über Student und Politik gewagt, wobei bei drei Viertel aller Studenten ein immerhin vorhandenes —> wenn auch nicht oft tiefergehendes •—• Interesse für die politischen Vorgänge in der Bundesrepublik festgestellt wurde. In Österreich ist — auch auf Grund der relativ hohen Prozentsätze der Wahlbeteiligung an den Hochschul-wahlen — dieser Satz eher noch höher anzusetzen. Das Interesse aber geht nur dann tiefer, wenn die Studenten die Möglichkeit haben, den politischen Prozeß unmittelbar einzusehen. Denn das Problem ist nicht die josephinische Untertanenmentalität auf der einen Seite oder Radikalität auf der anderen, sondern ein starker Mangel an reflektiertem politischem Engagement und an produktiver, demokratischer Unruhe und Kritik, das Fehlen der Bereitschaft, sich aktiv an den öffentlichen Angelegenheiten zu beteiligen, Im Dienste der Gemeinschaft zu wirken.

Die Universität selbst spielt hier in ihrer Bildungsfunktion eine grundsätzliche Rolle. Früher einmal haben die traditionellen studentischen Vereinigungen eine politische Bildungsfunktion ausgeübt, heute, da der Großteil der Studierenden keiner Studentenvereinigung angehört, müßte diese Funktion von der Universität selbst übernommen werden, da nicht nur die Geschichte Gegenstand ihrer wissenschaftlichen Untersuchungen sein kann, sondern notwendigerweise auch die gesellschaftlichen Erscheinungen der Gegenwart, ja sogar, wenn es gelingt, Methoden dafür zu entwickeln, der Zukunft. Allein, die Geschichte ist weniger gefährlich, die Gegenwart aktuell. Aber der Mangel ist augenscheinlich und wird durch die hierarchische Organisation noch unterstrichen. Sie erlaubt den Studenten keinerlei Einfluß auf wesentliche Entscheidungen. Der umgekehrte Fall jedoch würde ihnen mehr Verantwortung auferlegen und damit die Pflicht einer ernsten Beschäftigung mit der Problematik. Wir sehen auch in der Interessenvertretung dort, wo diese Vertretung durch mehr oder weniger anonyme Blöcke geschieht, eine breite und ausgedehnte Apathie, dagegen dort, wo die Studentenvertreter in die Kollegenschaft hineingehen und nicht nur über Leistungen, sondern über die tatsächlichen Vorgänge informieren, eine weitaus höhere Dis-kusslonsbereitschaft, Kritik der Arbeit und Wille zum Handeln.

In der arbeitenden Jugerid'ist die Situation ähnlich, wenn auch schwerer überschaubar. Ihre Probleme sind mit denen der studierenden Jugend oft identisch. Die Sicherung der Arbeitsplätze, die Wohnraumbeschaffung, die Fragen der Freizeitgestaltung, die breite Öffnung aller Bildungswege, die kulturelle und sportliche Betätigung. Die Affinitäten sind offenbar. Auch deshalb, weil sich zwar noch immer nicht genügend, aber doch schon einige Kontaktmöglichkeiten ergeben. Den Politikern der großen Parteien ist es nicht gelungen, trotz des Wustes oder vielleicht wegen des Wustes an großen Worten, diese Jugend enger an die öffentlichen Angelegenheiten und die Beschäftigung mit ihnen, die Politik, zu binden. Wenn den großen Worten keine Taten folgen, und so ist es, denn

Detailmaßnahmen sind wohl verdammte Pflicht und gehören zur Routine in einer Demokratie, von der wir etwas erwarten, dann vertieft sich die Kluft. In diese Kluft schleichen sich ganz massiv Ressentiments gegen die sogenannte Parteipolitik, Zweifel an den Fähigkeiten der Volksvertreter — und die politischen Witze ohne kabarettistische Pointen werden zum Indiz.

Ohne große Träume und viel Ehrgeiz

Die Jugend geht einen anderen Weg — die schwachen und nur von der Unterhaltung lebenden Jugendorganisationen der Parteien beweisen es —, obwohl wir die Parteipolitik brauchen, weil keine Demokratie ohne Parteien funktionieren kann. Die Jugend lebt ein Leben ohne große Träume und ohne viel Ehrgeiz. Ihre Idole nimmt sie aus der Vergnügungsindustrie, weil das Geistesleben zuwenig anbietet, Präsident Kennedy war ein sehr einsames Gegenargument. Wir bemerken überall eine stark pragmatische Tendenz; man will nicht mehr die Welt verändern oder gar zum Himmel stürmen, sondern man widmet «ich bereitwillig dem Konsum und richtet es sich angemessen ein. Man etabliert sich. In der Schule, im Betrieb, auf der Universität.

Es bedarf auch außerordentlicher Entschlußkraft und eines vehementen Willens, einmal gegen die heiligen Schreine zu opponieren. Nicht nur, daß man sofort der Undankbarkeit geziehen würde, nein, es wurde in den letzten Jahren ein reiches Sortiment an Stempeln entwickelt, womit es gelingt, jeder Bewegung augenblicklich den Aufdruck der Anrüchigkeit zu geben. Kommunist, Rechtsextremist, Linkskatholik, alles andere mit links, ostanfällig usw. Und die von Gemeinsamkeit geredet haben, verbringen den Tag mit Zank und Sticheleien. Den Zug zum Wähler jedoch verpaßt seltsamerweise niemand, weil er dort gar nie ankommt und der Wähler zum politischen Hinterwäldler wird. Und bei den Wahlen gibt's dann ohnedies nur die Bundesbahn.

Es wäre schön, könnten wir von uns sagen: Während sich die Alten streiten, freuen sich die Jungen. Tatsächlich jedoch sieht es bei uns besser aus? Die Jugend müßte die Chance ergreifen, weil es darum geht, wie wir eine richtige Balance herstellen zwischen dem für ein Leben in sozialer Sicherheit notwendigen Standard und der für eine hohe geistige Qualität unseres Volkes erforderlichen Bildung. Während sich die Politiker selbst persiflieren — einige Schwalben machen noch lange keinen Sommer, heißt es — und damit ihre eigene Hinfälligkeit eingestehen, müssen wir für die Jugend ein System finden, wie wir den Druck auf die Sterilität erhöhen können. Im Sinne produktiver Unruhe, im Sinne scharfer Kritik. Die Jugend möge sich zu einer Gemeinschaft zusammenschließen. Damit die Demokratie nicht Schaden nimmt.

Anscheinend ist in Österreich das Feiern zu leicht von der Hand gegangen oder man hat überhaupt nur ans Feiern gedacht. Nicht an die Verpflichtung. Das Bessermachen ist in Frage gestellt.

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