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Jugend und Staat

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Der fünfjährige Bestand des wiedererrichteten österreichischen Staates rief in diesen Tagen so viele außen- und wirtschaftspolitische Fragen in Erinnerung, daß daneben die volkserzieherischen fast übersehen wurden. Wohl die bedeutendste darunter ist jene nach dem Verhältnis der Jugend Österreichs zu diesem Staate. Die Tragweite dieses Problems reicht in Wahrheit über alle Tagesfragen von heute und morgen hinaus; es darf als geradezu existenziell wichtig für die zweite Republik bezeichnet werden.

Die Jugend unserer Zeit befindet sich psychologisch in einer überaus schwierigen Lage. Die „Furche hat schon in ihrer allerersten Nummer die seelische Haltung des Kindes und des Jugendlichen der Nachkriegszeit zu kennzeichnen unternommen. Seither ist ein halbes Jahrzehnt ins Land gezogen, manches hat sich geändert, das Schulwesen funktioniert wieder, die Lebensverhältnisse haben sich normalisiert, die wilden Eindrücke des Kriegsgeschehens klingen ab. Doch unverkennbar ist in dieser Jugend auch manche Hoffnung enttäuscht und mancher guter Wille zuschanden geworden; diese bedeutungsschwere Tatsache gehört zu dem Schicksal des Österreichers in den letzten fünf Jahren. Unsere Jugend hat die vielen Rückschläge der staatlichen Existenz schon bewußt miterlebt, konnte sie aber nur mit den für sie gegebenen seelischen Voraussetzungen erfassen und bewältigen. So sieht sie die unmittelbare Vergangenheit in keinem rosigen Lichte, ohne für alles die Erklärung zu besitzen; die Zukunft erscheint ihr im Schatten eines nun immer schärfer werdenden Lebenskampfes zu liegen.

Und dennoch ist diese Jugend das Staatsvolk von morgen, und in ihren Händen liegt die Entscheidung darüber, ob das in jahrelangem schwerstem Mühen begonnene Aufbauwerk zum Enderfolg gebracht werden wird. Mit Grund ist deshalb in jüngster Zeit im Nationalrat die Frage aufgeworfen worden: Wie steht unsere Jugend zum Staate?

Die Fragestellung trifft sich mit der Aufmerksamkeit der obersten österreichischen Schulbehörde, die schon vor Jahresfrist aus der Sorge um dieses Problem mit einem tief auf das Thema eingehenden Erlaß hervortrat, der die Aufgabe der staatsbürgerlichen Jugenderziehung in ihrem ganzen Umfang und mit allen gangbaren Lösungswegen darstellte.

Das waren die Voraussetzungen, unter denen Bundesminister Dr. Hurdes für die letzte Aprilwoche eine Tagung sämtlicher Landesschulinspektoren angeordnet hatte; die Beratung war ausschließlich der staatsbürgerlichen Erziehung gewidmet. Das Besondere und Bezeichnende dieser amtlichen Konferenz bestand darin, daß sie nicht von Fachvorträgen ausging, vielmehr nur von sorgfältigen Berichten zum Thema, die unter genau bezeichneten Gesichtspunkten zu erstatten waren. Dabei galt es, die wirklicheHaltungderJugend und der Lehrerschaft zum Staate zu zeigen, dieErfahrungenbei der Durchfühsung des Staats-bürgererziehungs-Erlasses auszuweisen und Vorschläge über weitere Maßnahmen zu erbringen. — Es war ein sehr realistisches Programm, und die Teilnehmer der Beratung haben es auch so verstanden.

Aus den Sammelberichten der leitenden Schulaufsichtsbeamten aller neun Bundesländer erstand auf der von Sektionschef Dr. Vogelsang geleiteten Tagung ein Bild des Verhältnisses der österreichischen Jugend zum Staate. Man wird es im ganzen als ernst, wenn auch nicht beunruhigend, als mahnend, aber doch letzten Endes auch hoffnungsvoll bezeichnen dürfen.

Charakteristisch für diese Gesamtschau ist, daß die heute schulbesuchende Jugend in mehrere deutlich gegliederte Schichten zerfällt; ihre Einstellung zum Gemeinschaftsleben ist durch den Umfang der Berührung ihrer Familie mit der politischen Vergangenheit bestimmt. Ein weiteres Kennzeichen dieser geistigen Lage ist es, daß in jenen Altersgruppen, die das ungünstigste Verhältnis zu ihrem Vaterlande zu haben scheinen, nicht etwa eine fanatisierte ablehnende Haltung oder eine durch ausländische Blickpunkte beirrte Ideenrichtung zu beobachten ist, wohl aber ein ziemlich voreingenommenes Zuwarten und eine mehr als mißtrauische Skepsis hinsichtlich der Rolle und der Aussichten Österreichs in der Welt. Für die jüngeren Jahrgänge ist es der Schule bereits gelungen, das fast erlöschende Heimatgefühl wieder anzufachen, das aber nicht Selbstzweck bleiben darf, weil es für das Weltbild des Erwachsenen nicht ausreichen würde, sondern die Brücke zu Staatsbewußtsein und Vaterlandsliebe zu bilden hat.

Daß sich aus solchen Erkenntnissen der Zusammenfassung und aus ergänzenden Einzelheiten für die auf der Tagung vereinigten Landesschulinspektoren und Mi-nisterialreferenten eine Fülle pädagogischer und organisatorischer Folgerungen ergab, ist naheliegend. Diese Gedankenreihen wurden noch überbaut durch die Darlegungen des an der Konferenz teilnehmenden Obmannes des Schulausschusses im Nationalrat. Er stellte — in der Sprache der Schulleute und als einer von ihnen redend — die große staatspolitische Linie her. Es war schon bei der Prüfung der Lage offenkundig geworden, wie sehr es selbst manchem Lehrer heute aus einem gewissen Distanzmangel heraus an der Einsicht in die bedeutenden positiven Leistungen Österreichs seit 19.45 fehle; dieser Redner, der burgenländische Landesschul-inspektor Frisch, zeigte nun in einer überzeugenden Uberschau, wie gerade ejne Einsicht in die positiven Tatsachen in das Geschaffene, Errungene, gerade auch das mühevoll Errungene die gesündeste Grundlage für die Stärkung eines zeitnahen und weltoffenen österreichischen vaterländischen Geistes bilde.

Als die Tagungsteilnehmer die Ergebnisse ihrer Beratung in einer Reihe von Leitsätzen und Empfehlungen, zusammenfaßten, diente dies unmittelbar der Berichterstattung an den zum zweiten Teil der Veranstaltung erschienenen Unterrichtsminister, der staatspolitisch dazu richtungweisend Stellung nahm.

Zum Großteil geht es dabei um Maßnahmen schulischer oder administrativer Natur; manches jedoch ist auch für die weitere Öffentlichkeit beachtenswert und einiges richtet sich sogar ausdrücklich an sie. An die Spitze gestellt, erscheint mit guten Gründen die bedeutsame Forderung nach einer sorgfältigen Revision des Bildungsgutes unserer Schulen zum Zwecke der radikalen Kürzung des Lehrstoffes und der Eröffnung von Möglichkeiten für die Ausgestaltung der .am Rande“ unseres Unterrichtswesens exstierenden Bürgerkunde zu einer erzieherisch wertvollen und lebensnahen Gesellschaftskunde ein Ausbau, der den klar erkennbaren pädagogischen Entwicklungstendenzen entspricht. Daran reihen sich dann fachliche Wünsche und Empfehlungen zur Reform des G e-schichtsunterrichts und zur Verbesserung der staatsbürgerlichen Erziehung auf allen Gebieten, die man unter der großen Forderung zusammenfassen kann, der Schule und dem g e-samten Erziehung'swerk mehr Raum zur Entfaltung, mehr Mittel zum Gedeihen zu schaffen, wenn nicht die Verkümmerung fortschreiten soll, die der gegenwärtige beengte Rahmen herbeigeführt hat.

In ihrem letzten Teil jedoch bringen diese Empfehlungen jene Hinweise, die unsere gesamte Öffentlichkeit nicht übersehen darf, will sie nicht das ganze Problem Jugend und Staat in seiner entscheidenden Bedeutung verkennen.

Mit größter Nachdrücklichkeit bekundeten die versammelten Erziehungsfachleute ihre feste Überzeugung, daß letzten

Endes auch die stärksten Bemühungen der Schule um die staatsbürgerliche Erziehung der Jugend keinen dauernden Erfolg haben werden, wenn eine pädagogisch verantwortungslose Öffentlichkeit der Jugend immer wieder das schlechteste Beispiel für das Verhalten zum Staate gibt, wenn in oberflächlichem Geschwätz staatliche Einrichtungen und Bemühungen herabgesetzt werden, die Verunglimpfung der Volksvertretung, der Parteien und der obersten Staatsorgane als Mode betrieben wird, leichtfertige Alarmnachrichten um die Sicherheit des Staates ausgestreut werden. Hier ist auch von einer Sensationspresse zu reden, die mit wildem Geschrei die Straße mit Unruhe erfüllt; fünfzig Prozent ihrer Sensationen zerplatzen als Schaumblasen, sie haben zwar dem Geschäft gedient, aber öffentlichen Schaden angerichtet. Mehr staatsbürgerliche Disziplin, mehr gesun'des kritisches Urteil gegenüber den Angsthasen, Flaumachern und bewußten Verderbern der öffentlichen Meinung! Unendlich viel könnte aus dem Volke zum Erfolg unserer Jugenderzieher beigetragen werden. Ausdrücklich sind auch die politischen Parteien und die Wirtschaft daran erinnert, daß ein großes Stück der Verantwortung für die Staatsbürger von morgen in ihre Hand gelegt ist. Eine geradezu anklagende Kritik aber wird von den Erziehern am Fjlm-und Rundfunkwesen geübt, das in seinen staatspolitischen Aufgaben der Jugend gegenüber bisher so ziemlich alles zu wünschen übrig läßt. Eine letzte Entschließung, die jeden Österreicher aufhorchen lassen muß, sagt, es sei eine unabdingbare Forderung aller ernstgemeinten staatsbürgerlichen Erziehung, d i e Reinheit und Sauberkeit der öffentlichen Verwaltung herzustellen. Wenn es in diesem Zusammenhang heißt, die so frühreife Jugend unserer Zeit müsse ihr Vaterland als Rechtsstaat erleben oder sie werde niemals den. wahren Glauben an diesen Staat finden, so wenden sich diese Warnungen gegen die schier krankhaft gewordene V e r p o 1 i t i s i e r u n g unseres ganzen Lebens mit ihren korrumpierenden Auswirkungen, gegen einen Machtkampf, der seinen eigenen Standplatz zerstört.

Die Konferenz der Landesschulinspektoren und der Ministerialreferenten griff mit ihren Ergebnissen über den innerpädagogischen Raum hinaus und sprach mit ihren entscheidenden Anliegen zur österreichischen Öffentlichkeit, zu jenem Staatsvolk selbst, dem keine Sorge und Verantwortung größer sein sollte als jene um das geistige Schicksal seiner Jugend.

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