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Kann eine kirchliche Trauung die öffentliche Ordnung stören?

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Nun liegt die schriftliche Ausfertigung der Entscheidung des Obersten Gerichtshofes vom 21. September 1950 vor, mit der die Nichtigkeitsbeschwerde zweier katholischer Priester verworfen wurde, die vom Erstgericht verurteilt worden waren, weil sie eine kirchliche Trauung vor der standesamtlichen Trauung der Brautleute vorgenommen hatten. Es war bereits bekannt, daß der Oberste Gerichtshof sich in dieser Entscheidung auch mit der Frage der religiösen Freiheiten beschäftigt und dazu Stellung genommen hatte, inwieferne eine kirchliche Trauung mit der öffentlichen Ordnung, die unter gewissen Umständen eine Schranke der Kultusfreiheit darstellt, unvereinbar sein kann. Man war daher darauf gespannt, welche Gedanken sich der Oberste Gerichtshof über den Begriff „öffentliche Ordnung“ gemacht hat, welcher Begriff in der Rechtswissenschaft ein wiederholt behandeltes, aber auch heikles Thema darstellt. Wie hat nun der Oberste Gerichtshof diese Frage gelöst? Es kann lediglich als Verdienst des Gerichtshofes gebucht werden, daß er an diese Frage überhaupt herangetreten ist; die Beantwortung der Frage selbst ist leider mehr als dürftig. Der Gerichtshof findet sich nämlich mit dem kurzen Hinweis ab, daß die Regelung der Eheschließung in den Bereich der öffentlichen Ordnung falle. Diese Kürze der Erklärung bewirkt vor allem, daß der Entscheidung die Schlüssigkeit mangelt. Das gegenwertige staatliche Eherecht — das bekanntlich aus der nationalsozialistischen Zeit stammt — erkennt das kirchliche Eherecht nicht an, letzteres kann daher auch keine staatlich anerkannten Rechtswirkungen zeitigen, die darauf fußenden kirchlichen Handlungen sind nach staatlichem Recht irrelevant, genau so wie — um ein drastisches Beispiel zu geben — eine Trauungszeremonie auf einer Bühne. Es hätte also zunächst einmal die Frage untersucht werden sollen: Kann eine rechtlich bedeutungslos Handlung überhaupt gegen die öffentliche Ordnung im Rechtsinne verstoßen? Der Gerichtshof ist anscheinend der Meinung gewesen, daß diese Frage zu bejahen sei. Er hat es aber bedauerlicherweise unterlassen, die Gründe dafür anzugeben. Vielleicht schwebte ihm der Gedanke vor, daß Personen, die Handlungen vornehmen, die mit Rechtswirksamkeit nur von staatlichen Organen gesetzt werden können, jedenfalls gegen die öffentliche Ordnung verstoßen. Diese Annahme wäre in ihrer allgemeinen Gestalt unrichtig, da es jeweils auf die Interessensphären ankommt, in denen sich die Handlungen abspielen. Auf kultusrechtlichem Gebiet kann die Annahme durch folgende Beispiele widerlegt werden: Der Staat kann dem Eidrecht der

Kirche nicht den Vorwurf des Verstoßss gegen die öffentliche Ordnung machen, weil er selbst das Eidwesen gesetzlich geregelt hat. Er kann nicht sagen, daß der Priester in der Beichte keine Buße in den Fällen auferlegen dürfe, bei denen es sich um Sünden handelt, die nach staatlichem Recht Delikte sind und von staatlichen Gerichten geahndet werden. Es handelt sich hier eben um verschiedene Interessensphären von Staat und Kirche. Sei die Einstellung des Gerichtshofes in diesem Punkte wie immer, jedenfalls hat er in keiner Weise klargestellt, in welcher Art nach gegenwärtigem österreichischem Recht eine kirchliche Trauung die öffentliche Ordnung stören könnte. Der Gerichtshof konnte durch den kurzen Hinweis auf die staatliche Regelungsbefugnis nicht die Auffassung erschüttern, daß eine solche Störung außerhalb des Bereiches des rechtlich Möglichen liegt und daß daher die Schranke der öffentlichen Ordnung für die Ausübung der religiösen Freiheitsrechte im gegenständlichen Falle Uberhaupt nicht in Frage kommt.

Nun zur Frage der Kultusfreiheit selbst. Der Oberste Gerichtshof hat sich gleichfalls nicht näher damit beschäftigt, ob die Einschränkung des kirchlichen Trauungsrechtes eine Beschränkung der Kultusfreiheit bedeute. Er dürfte jedoch im Grunde diese Frage bejaht haben, er war nur der Meinung, daß hier die oben erwähnte Schranke zu gelten hätte. Daß ein Widerspruch zwischen der staatlich garantierten Kultusfreiheit und der Norm, die die kirchliche Ersttrauung unter Strafe stellt, besteht, kann wohl nicht ernstlich geleugnet werden. Von all den Stimmen, die diesen Gegensatz strikte betonen, möchte ich die Abhandlung des Mitgliedes des Verfassungsgerichtshofes und Univ.-Prof. K. Wolff „Le Mariage dans le Droit Autrichien actuell“ (Revue Internationale de Droit Compare, 1949) zitieren. Ich möchte es aber nicht versäumen, auf die einseitige antireligiöse Einstellung der Strafnorm aufmerksam zu machen. Sie stellt nämlich nicht die Vornahme von Feierlichkeiten der Eheschließung schlechthin unter Strafe, sondern nur die religiösen Feierlichkeiten. Die Strafnorm bezieht sich also nicht auf Fälle, in denen Anhänger einer Weltanschauung ohne religiöses Bekenntnis (so etwas ist gemäß dem bei uns in der NS-Zeit eingeführten Kindererziehungsgesetz möglich) eine Eheschließungsfeierlichkeit vor der standesamtlichen Trauung vornehmen. Außerdem wäre noch zu beachten, daß katholische Brautleute bei der kirchlichen Eheschließung selbst auch eine religiöse Feierlichkeit begehen und daher unter die Strafnorm fallen würden. Diese unerwünschten Folgerungen führen uns nun zu einem Fragenbereich, dessen Vernachlässigung durch den Gerichtshof wir gleichfalls lebhaft bedauern müssen.

Der Gerichtshof scheint sich darüber keine Gedanken gemacht zu haben, welche Rolle die beschuldigten Personen überhaupt innegehabt haben. Sie waren nicht Akteure von irgendwoher, sie waren Funktionäre der katholischen Kirche, einer staatlich anerkannten Religionsgesellschaft, der zwar in der letzten Zeit viele Rechte in der staatlich-kirchlichen Sphäre entfallen sind, die aber immer noch die Stellung einer privilegierten Körperschaft des öffentlichen Rechtes hat. Diese Stellung ist in einer Norm höherer Ordnung verankert, im Staatsgrundgesetz über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger aus 1867. Artikel 15 hebt ausdrücklich die Stellung der gesetzlich anerkannten Kirchen und Religionsgesellschaften hervor. Dadurch, daß der Staat eine Religionsgesellschaft zu einer anerkannten gemacht hat, hat er ihre Lehren und Einrichtungen bedingungslos mit anerkannt, er kann darin nicht später selbständig Abstriche machen, auch nicht unter dem Titel der öffentlichen Ordnung.

Er könnte nur die Anerkennung widerrufen, was meiner Meinung nach im Falle der katholischen Kirche nur durdi ein Gesetz möglich wäre. Diese kultusrechtlichen Gedankengänge über den unverletzbaren Bereich der gesetzlich anerkannten Religionsgesellschaften haben bei Beratungen von Gesetzesentwürfen wiederholt eine Rolle gespielt. Ich verweise nur auf die Behandlung der Frage, ob der Gesetzgeber das Schächten von Tieren den Funktionären israelitischer Kultusgemeinden wegen des Tatbestandes der Tierquälerei verbieten könnte.

Diese Frage wurde verneint, weil das Schächten zu den verbindlichen Einrichtungen einer gesetzlich anerkannten Religionsgesellschaft gehört, die der Staat nicht, ohne in die von ihm anerkannten Satzungen der Religionsgesellschaft einzugreifen, als rechtswidrig bezeichnen kann. In diesem Sinne hat auch der Verwaltungsgerichtshof seinerzeit ein Erkenntnis (Slg. Nr. 5248/1906) gefällt, das nicht nur sehr belehrend, sondern auch beherzigenswert ist. Daß die Spendung eines Sakraments — im vorliegenden Falle haben wir es ja mit dem Sakrament der Ehe zu tun — zu dem erwähnten unverletzbaren kirchlichen Bereich gehört, bedarf wohl keines näheren Beweises. Zumindest ist die bezügliche kirchliche Satzung nicht weniger gewichtig wie die Schächtungsatzung der Juden.

Nun noch zur Betrachtung einer Seite der Gerichtshofentscheidung, welche in Juristenkreisen wohl als die erstaunlichste gewertet werden dürfte. Es ist dies die Verfahrensrechtliche Einstellung zur Frage des Widerspruchs zwischen der Strafnorm und der verfassungsgesetzlichen Kultusnorm. Es handelt sich darum, ob die gegenständliche Strafnorm aus der nationalsozialistischen Zeit nicht durch die Inkraftsetzung der Bundesverfassung, also infolge des inhaltlichen Widerspruchs zwischen einem früheren und einem späteren, zugleich höher zu wertendem Gesetz außer Kraft getreten ist. Dieser Punkt wäre jedenfalls vor der Frage zu behandeln zu gewesen, ob die Strafnorm wegen Verfassungswidrigkeit beim Verfas'sungsgerichtshof der“ Überprüfung zu unterziehen sei, Letztere Frage hatte der Gerichtshof nämlich untersucht, obwohl hier noch das Problem. Schwierigkeiten bereitet, daß es sich um Normen aus der NS-Zeit han-. delt, bezüglich welcher die Kompetenz; des Verfassungsgeriehtshofes sehr zweifelhaft ist. Die Frag der Derogation der Strafnorm durch die zeitlich späteren Verfassungsbostimmungen hätte schon das Erstgericht, ja sogar die Staatsanwaltschaft selbständig lösen können. Bei Bejahung der Derogation hätte es gar nicht zur Anklagerhebung kommen können. Man hat den Eindruck, daß in Juristenkreisen die Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofes — es handelt sich auch um solche jüngeren Datums —, die solche inhaltliche Derogationen festgestellt haben, noch nicht hinreichend bekanntgeworden sind. Meiner Meinung nach wäre also im vorliegenden Falle die Frage der inhaltlichen Derogation zu untersuchen und auch zu bejahen gewesen, da, wie ich oben dargelegt habe, die gegenständliche Strafnorm mit der im erwähnten Staatsgrundgesetz beziehungsweise im Staatsvertrag von Saint-Germain garantierten Kultusfreiheit im Widerspruch steht.

Die Strafnorm ist durch das Inkrafttreten der Verfassungsnormen (und zwar im Wege des Verfassungs-Über-leirnngsgesetzes) mit 1. Mai 1945 stillschweigend außer Kraft gesetzt worden.

Hier muß noch kurz der Behauptung des Obersten Gerichtshofes entgegengetreten werden, daß aus dem österreichischen Gesetz vom 26. Juni 1945, in welchem gewisse kirchliche Trauungen aus den Umsturztagen des Jahres 1945 staatlich anerkannt und die Straflosigkeit dieser Trauungen ausgesprochen wurde, auf den Willen des österreichischen Gesetzgebers zu schließen sei, daß in den von dem erwähnten Gesetz nicht erfaßten Fällen die Bestrafung einzutreten habe. Dieser Schluß ist unrichtig. Die gesetzliche Anordnung der Straflosigkeit hat ihren besonderen Grund. Zahlreiche kirchliche Ehen, die nachträglich staatlich anzuerkennen waren, wurden in den Apriltagen 1945 geschlossen. Damals standen die Straf-narmen aus der NS-Zeit jedenfalls noch in Geltung, ihre Derogation trat ja erst mit 1. Mai 1945 ein. Die Straflosigkeit mußte daher vorsichtshalber eigens aufgehoben werden.

So steht es also mit der Entscheidung des Obersten Gerichtshofes in juristischer Sicht, welche Entscheidung bekanntlich auch zu bedeutsamen Erklärungen auf kirchlicher Seite geführt hat. Das Gebiet des Kultusrechts ist gegenwärtig in Österreich eines der schwierigsten; es spielen die verschiedensten Rechtssysteme hinein, angefangen von dem des alten Absolutismus bis zu dem der neuen Republik. Prinzipiell Wirkende kultusreehtliche Entscheidungen der Behörden und Gerichte bedürfen daher großer juristischer Umsicht. In dieser Beziehung ist leider die besprochene Entscheidung des Obersten Gerichtshofes mangelhaft. Daraus ist das bedauerliche Fehlresultat zu erklären.

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