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Kann man Gott und dem Mammon dienen?

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Die Studientagung in St. Gabriel ,„Dritte Welt' in der Schuldenfalle: Gnadenlos verschuldet?” ließ viele Fragen offen.

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Die Studientagung in St. Gabriel ,„Dritte Welt' in der Schuldenfalle: Gnadenlos verschuldet?” ließ viele Fragen offen.

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Die meisten Länder, und zwar nicht nur die der Dritten Welt, sind hoffnungslos in den roten Zahlen. Belgien, Italien, Kanada oder Schweden sind praktisch bankrott. Und wenn es ans Sparen geht, beginnt man im Sozialbereich. Der deutsche Bankexperte Stephan Kinnemann sieht hier ähnliche Konsequenzen der Schuldenkrise wie in den Entwicklungsländern auf die Industrieländer zukommen. Den meisten Teilnehmern der von Missio Austria und dem Missionsreferat der Osterreichischen Superiorenkonferenz von 3. bis 7. Juli veranstalteten Studientagung in St. Gabriel (siehe auch Furche 26/1995) lagen freilich die Probleme der Dritten Welt mehr am Herzen.

Laut Kinnemann hat sich die Lage in Lateinamerika stabilisiert, in besonders armen, meist afrikanischen Ländern aber sehr kritisch entwickelt. Ansätze von Krisenmanagement seien von begrenzter Wirkung geblieben, ob Schuldenerlaß, Umschuldungen oder Strukturanpassungsprogramme des Internationalen Währungsfonds oder der Weltbank. Dem simplen Bild, der Norden nütze die Schuldenposition, in die er den Süden gebracht habe, zu dessen hemmungsloser Ausbeutung, und der Süden könne sich daraus nicht mehr befreien, weshalb ein Schuldenerlaß der Industrieländer, der privaten und der öffentlichen Gläubiger, unabdingbar sei, setzte Kinnemann das Bemühen um Antworten, „die abseits populistischer Patentrezepte liegen”, entgegen.

Der deutsche Wirtschaftsfach* mann nannte zunächst mehrere externe Gründe für die Verschuldung der Entwicklungsländer: den ersten Ölpreisschock 1973/74, das steigende Realzinsniveau und den zweiten Ölpreisschock zu Beginn der achtziger Jahre, den Rohstoffpfeisverfall und das sich verschlechternde Verhältnis zwischen Ausfuhr- und Einfuhrpreisen, die Einschränkung der Neukreditvergabe seit 1982 und die protek-tionistische Handelspolitik der Industrieländer. Dazu kamen „hausgemachte” Ursachen innerhalb der Entwicklungsländer: die Fehlverwendung aufgenommener Kredite (Rüstung, Prestigeprojekte), die Verwendung von Kurzfrist-Krediten für langfristige Investitionsvorhaben (für Anschlußfinanzierungen mußte man dann oft viel höhere Zinsen akzeptieren), fehlendes Schuldenmanagement, unzulängliche binnenwirtschaftliche Rahmenbedingungen.

Als erstes von drei zentralen Zielen für Lösungsansätze nannte Kinnemann, die Menschen in diesen Ländern müßten wirklich mitentscheiden können, Demokratie und Menschenrechte verwirklicht werden. Weiters müßten sich die Länder „eine Wirtschafts- und Sozialordnung geben, die nicht gegen zentrale ökonomische Erkenntnisse verstößt”. Es gehe nicht um kritiklose Übernahme der „kapitalistischen” Wirtschaftsordnung, aber um die „Einführung von Systemen, die auf dezentralen Entscheidungen der Bürger beziehungsweise der Wirtschaftssubjekte beruhen und damit marktwirtschaftlich orientiert sind”. Drittens müßten die Industrieländer in den ökonomischen Strukturanpassungsprozeß einbezogen werden, diese müßten dabei auf eine (militärische, ökpnomische, geopolitische) Instrumentalisierung der Entwicklungsländer verzichten.

Stephan Kinnemann vertritt das „Konzept der gegenseitigen Einmischung und der gemeinsamen Lösungen” und sieht als Voraussetzung dafür die Vision von einem Zusammenleben freier und gleichberechtigter Völker in dieser „Einen Welt”.

Die Theologen auf dieser Tagung setzten naturgemäß andere Akzente. Der in St. Gabriel Altes Testament lehrende Steyler Missionar Gottfried Vanoni führte aus, daß die Vaterunser-Bitte von der Vergebung der Schuld eindeutig wirtschaftliche Schuld miteinschließe. Und das Jesuswort, man könne nicht Gott und dem Mammon dienen, beziehe sich auf Mammon als widergöttliches System, das Ungleichheit und Ungerechtigkeit produziere. Sich „Freunde mit Hilfe des ungerechten Mammons” zu machen, bedeute, dem ungerechten System entgegenzusteuern, mit Geld so umzugehen, daß die Ungleichheit unter den Menschen nicht vergrößert, sondern verkleinert werde. Vanoni hob den Auftrag an die Christen hervor, in der Welt der Ungleichheiten Ausgleich zu schaffen, unti betonte: „Auf die Bibel kann sich nicht berufen, wer den wirtschaftlichen und politischen Bereich aus der christlichen Religion heraushalten möchte.”

Vor der Vergötzung des Marktes warnte der aus Korea stammende, in Brasilien lehrende Theologe Jung Mo Sung. Anhand zahlreicher Zitate versuchte er nachzuweisen, daß der Glaube an den Markt und seine Kraft zur Selbstregulierung bereits vielfach zum Religionsersatz geworden sei. Wie man früher an den Himmel geglaubt habe, so glaube man nun an den Fortschritt, an eine paradiesische Zukunft, wo alle Wünsche erfüllbar werden. Diesem Götzen würden auch Menschenopfer dargebracht, er werde auf dem Rücken der Armen in der Dritten Welt verehrt.

Jung Mo Sung kritisierte, einerseits werde der freie Fluß von Gütern propagiert, anderseits errichte man aber neue Mauern für die Menschen: „Die Eliten unserer armen Länder identifizieren sich mehr mit den Eliten der reichen Länder als mit der Bevölkerung im eigenen Land, und so errichten sie Luxusbunker inmitten von Elend und Traurigkeit in unseren vernachlässigten Armenvierteln.”

Der zambische Bischof Medardo Mazombwe, der schon auf der Afrika-Synode für einen Schuldenerlaß eingetreten war, wiederholte seinen Appell und nannte Beispiele auf der nördlichen Halbkugel, wo sich Schuldenerlaß positiv ausgewirkt habe. Im wesentlichen herrschte aber Übereinstimmung, daß ein Schuldenerlaß allein keine Lösung wäre, es müßten im Rahmen einer neuen Weltwirtschaftsordnung positive Weichenstellungen für die Zukunft erfolgen.

Seitens des Veranstalters verwies der Nationaldirektor von Missio Austria, Pater Gregor Henckel-Donners-marck, auf kirchliche Dokumente zu dieser Thematik, insbesondere auf die Entschuldungsforderung des Papstes im Schreib.en zum Jahr 2000. Auf dieser Linie, die an die alttestamentliche Tradition von Entschuldung in einem feierlichen Jubeljahr anknüpfe, liege auch das weitere Vorgehen kirchlicher Hilfswerke in Österreich.

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