6684024-1962_07_06.jpg
Digital In Arbeit

Karl Arnolds Erben

Werbung
Werbung
Werbung

Unmittelbar nach den deutschen Bundeswahlen trafen einander zwei Abgeordnete, um in einem inoffiziellen Gespräch die durch den Verlust der absoluten CDU/CSU-Mehrheit ver-

änderte politische Lage zu erörtern. Es waren der Generalsekretär der CDU-Sozialausschüsse, Hans Katzer, und der sozialdemokratische Vorsitzende der Bauarbeitergewerkschaft, Georg Leber. Nach dem Gespräch suchte Katzer seinen Parteivorsitzenden und Kanzler Dr. Adenauer auf, um ihm eine Koalition mit der SPD vorzuschlagen. Als es statt dessen zum Bündnis mit der FDP kam, reagierte 4er „linke Flügel“ der CDU recht empfindsam.

Der vor zwei Jahren nach dem Verlust von Karl Arnold, Josef Gockeln und (des damals bereits schwer erkrankten) Jakob Kaiser totgesagte CDU-Arbeitnehmerflügel fühlt sich heute stärker denn je. Dazu haben nicht zuletzt seine im Schatten der letzten Wahlen errungenen Erfolge beigetragen: Er blockierte in der Fraktion die Krankenkassenreform des aus seinen eigenen Reihen kommenden Bundesarbeitsministers Blank, drückte gegen alle Bedenken die steuerlich begünstigte Ergebnisbeteiligung der Arbeitnehmer (Gesetz zur Vermögensbildung) und die Erhöhung des Krankengeldzuschusses der Arbeitgeber (Novelle zum sog. Lohnfortzahlungsgesetz) durch. Anderseits glaubt er felsenfest, allein durch den Ausbau der Sozialleistungen und der Mitbestimmung eine Abwanderung von christlichen Arbeiterwählern zur toleranter und kirchenfreundlicher gewordenen SPD verhüten zu können.

55 Mandate stark

Wenn z. B. der Senior der Sozialausschüsse und geistige Ziehvater Katzers, Johannes Albers (Köln), im Gespräch äußerte, für den Bestand der CDU werde es entscheidend seinM ob ihre Arbeitnehmergruppe in den nächsten vier Jahren eine „sozial fortschrittliche Politik“ durchsetze, so mag der Außenstehende dabei eine gewisse Selbstüberschätzung heraushören, aber die Arbeitnehmergruppe ist von ihrer Bedeutung für Wohl und Wehe der Partei überzeugt. An Rhein und Ruhr scheint jener streitbare soziale Katholizismus wieder zu erwachen, der die Altväter der heutigen katholischen Arbeiterbewegung in der Weimarer Zeit beseelte und der sich jetzt anschickt, dem von ihm immer mißtrauisch beäugten „christlichen Besitzbürgertum“, das das Beieinander mit den Liberalen gesucht hat, entgegenzutreten. Dabei hofft man auf die Schützenhilfe der „Mutter und Lehrmeisterin“, der Kirche. Diese inneren Spannungen versprechen harte sozialpolitische Auseinandersetzungen in der CDU und innerhalb der Koalition überhaupt.

Kennzeichnend für diese Situation und die taktischen Wege, die der linke CDU-Flügel einzuschlagen gedenkt, ist die Tatsache, daß Katzer, während er bereits die ersten Stellung-

nahmen gegen die Koalition vorbereitete, strikt verneinte, Einzelheiten des sozialpolitischen Abschnitts des Koalitionsvertrages zwischen CDU/CSU und FDP zu kennen. Wie wenig und

wieviel er nun wirklich gewußt haben mag, er kam damit jedenfalls nicht nur der offiziellen Version von der Geheimhaltung des Abkommens nach, sondern deutete zugleich an, daß er und seine Gefolgsleute sich von einem mit ihnen nicht ausgehandelten „Papier“ auch nicht verpflichtet fühlen könnten. Er wird auch, wie ihm sehr nahestehende Freunde versichern, keinen Wert darauf legen, bei der Beratung sozialpolitischer Fragen im Koalitionsausschuß mitzuwirken: „Dann würde er sich ja nur die Hände binden und bei der parlamentarischen Entscheidung- nicht mehr frei sein.“

Man will sich nicht die Hände binden, um die Möglichkeit zu haben, bei entscheidenden sozialpolitischen Abstimmungen auch gegen die Mehrheit in der Koalition stimmen zu kijnnen. Die Arbeitnehmergruppe schreibt sich selbst 55 Abgeordnete zu, und wenn diese Rechnung auch, von Katzer und Winkelheide (dem Sprecher der katho-lichen Arbeitervereine) bis hin zum gemäßigten und ausgleichenden Berliner Josef Stingl reicht, der „linke Flügel“ also gegen Meinungsverschiedenheiten in seinen eigenen Reihen keineswegs gefeit,ist, genügt schon der Alleingang eines Teils, die Mehr-beitsverhältnisse im Bundestag bedenklich ins Wanken zu bringen. Gehen aber die 55 in ganz bestimmten sozialpolitischen Fragen geschlossen mit der SPD zusammen, können sie selbst bei (in sozialpolitischen Diskussionen meist nie) vollbesetztem Plenum den Rest der Koalitionsparteien mit einer Stimme Mehrheit in die Knie zwingen.

Aber solche dramatischen Szenen auf der politischen Bühne werden in den meisten Fällen überhaupt nicht vonnöten sein, um dem „linken Flügel“ die gewünschten Erfolge zu bringen. Weitaus eindeutiger als im Bundestag ist nämlich die Gewichtverteilung im Sozialpolitischen Ausschuß, durch den alle einschlägigen Gesetzentwürfe geschleust werden, ehe sie schließlich — oft in völlig veränderter Form — dem Bundestag zu den entscheidenden beiden letzten Lesungen vorgelegt werden. Beliebt ist es auch, unbequeme Vorlagen durch langfristiges Vertagen praktisch einen Tod im Ausschuß finden zu lassen. Der sozialdemokratische Ausschußvorsitzende Schellenberg ist ein Meister des Taktierens, und in seinem Ausschuß verfügen die vier christlichdemokratischen Arbeitnehmerabgeordneten zusammen mit den Sozialdemokraten über 15 Stimmen, die restliche CDU/CSU und FDP aber nur über zwölf.

Von den Zielen der CDU-Arbeitnehmergruppe und der Sozialausschüsse seien die bedeutendsten kurz aufgezählt:

• Gleichstellung von Arbeitern und Angestellten im Krankheitsfall,

• Erhöhung des Angebots an Bauland für Familieneigenheime.

• Kindergeld von 30 DM für alle Zweitkinder und Erhöhung der Zuwendungen für dritte und weitere Kinder von 40 DM auf 50 DM.

• Ausbau des Gesetzes zur Vermögensbildung der Arbeitnehmer und des Sparprämiengesetzes.

• Weitere Privatisierung von Bundesvermögen. Zugreich eine Reform des Aktienrechtes, die den kleinen Aktionären mehr Einfluß einräumt und die Publizitätspflicht verstärkt.

• Überbetriebliche Mitbestimmung.

• Keine Abzugsfähigkeit der Vermögenssteuer bei der Einkommensteuer, Reform des Erbschaftssteuerrechts, Verlagerung der Steuerprogression von den mittleren auf die hohen Einkommen.

• Ausbau des Kartellrechtes und Abbau der Preisbindung der zweiten Hand.

Einige dieser Forderungen sind den Klauseln des Koalitionsvertrages — soweit bekannt — genau entgegen-

gesetzt und geeignet, die Koalition zu sprengen.

Das gilt in erster Linie für die Bemühungen um eine „echte Lohnfort-zahlung“. Der Arbeitgeber soll verpflichtet werden, für die ersten sechs Wochen der Arbeitsunfähigkeit seinen erkrankten Arbeitern nicht mehr nur einen Zuschuß zum Krankengeld zu zahlen, sondern den vollen Nettolohn. Katzer und seine Leute betrachten es als eine Sache des Prestiges und der politischen Existenz, diese Forderung durchzusetzen. Sie befinden sich allerdings auch in einer höchst unangenehmen Situation, denn es dürfte ihnen kaum möglich sein, entsprechend Anträge der SPD abzulehnen, ohne Stimmenverluste in den Arbeiterbezirken hinnehmen zu müssen. Ihren Worten nach wären sie vor zwei Jahren sogar bereit gewesen, einer Selbstbeteiligung in der gesetzlichen Krankenversicherung zuzustimmen, wenn man ihnen nur die „echte“ Lohnfortzahlung als Gegengabe angeboten hätte. Heute glauben sie, ihr Ziel auch ohne anderweitiges Zugeständnis binnen zwei Jahren zu erreichen. Daraus aber ergibt sich ein zweiter Gegensatz zur FDP, die bei den Koalitionsverhandlungen ausdrücklich eine Krankenkassenreform mit Kostenbeteiligung der Versicherten gefordert hat.

Noch einige Koalitionsklippen

Zu den Bedingungen der FDP bei der Regierungsbildung gehörte auch der Verzicht auf einen weiteren Ausbau des Mitbestimmungsrechtes. Die sogenannte überbetriebliche Mitbestimmung zählt aber zu den Lieblingsplänen jener trotz aller sozialistischen Anflüge noch immer leicht ständestaatlich orientierten Christlich-Sozialen. Sie wollen entweder die Industrie- und Handels-, Landwirtschaftsund Handwerkerkammern zur Hälfte mit Arbeitnehmern besetzen oder

eigene Arbeiter- und Angestelltenkammern gründen.

Ähnlichen Zündstoff bietet das Liebäugeln mit dem Plan, den Katzers Gesprächspartner Leber als Vorsitzender der IG Bau in die Debatte geworfen hat, um auch den nichtorganisier-ten Arbeitnehmern den Beitritt zur Gewerkschaft attraktiver zu machen. Nach Katzers und Albers Ansicht sollten diese und ähnliche Pläne, die praktisch auf eine Stärkung der gewerkschaftlichen Macht hinauslaufen,

nicht voreilig abgelehnt werden. Dieses Verhalten resultiert aus der Ansicht, daß „die Gewerkschaften eine Schwenkung vollzogen haben und sich mit Leuten wie Leber gut zusammenarbeiten läßt“. Das ist eine Meinung, die die CDU-Sozialausschüsse in Königswinter bereits zur weiteren Zusammenarbeit mit dem DGB bewog, als 1960 die christlich-soziale Kollegenschaft des Pater Reichelt mit diesem brach.

Während die FDP schließlich das Gesetz zur Vermögensbildung der Ar-beitnehmer — das die Unternehmen ermächtigt, ihren Arbeitern und Angestellten bis zu 312 DM „Gewinnbeteiligung“ zukommen zu lassen, die in Wirklichkeit mit dem Gewinn nichts zu tun haben und zum großen Teil vom Steuerzahler aufgebracht werden müssen — in zwei Jahren auf seine Auswirkungen hin überprüfen lassen möchte, will der „linke Flügel“ der CDU dieses Gesetz bald weiter ausbauen. Dabei mag dahingestellt bleiben, ob er wirklich daran glaubt, auf diesem Wege die Unternehmensgewinne neu verteilen zu können, oder ob es ihm mehr darum geht, lohnähnliche Zuwendungen durch neue steuerliche Vergünstigungen auf Sparkonten zu leiten. Das Prämiensparen ist ihm jedenfalls für sein Ziel der Eigentumsbildung noch nicht wirkungsvoll genug.

Dieses sind nur einige der Klippen, zwischenen denen Adenauer das Koa-litions-Schifflein hindurchzusteuern hat. Die SPD wird ihm das mit Sicherheit so sauer wie möglich machen, denn da sie die Vorstellungen und Nöte der CDU-Arbeitnehmergruppe kennt, wird sie bei jeder Gelegenheit die wunden Stellen anrühren und den „linken Flügel“ zu einem unbequemen Credo zwingen, mit dem dieser entweder sich selber und seine Gefolgsleute oder den Koalitionspartner verärgern muß.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung