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Kein Geld für „Austherapierte”

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Vor drei Jahren als „Meilenstein der Sozialpolitik” gepriesen, wurde das Bundes-Pflegegeldgesetz jetzt durch das Sparpaket empfindlich beschnitten.

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Vor drei Jahren als „Meilenstein der Sozialpolitik” gepriesen, wurde das Bundes-Pflegegeldgesetz jetzt durch das Sparpaket empfindlich beschnitten.

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Die Idee war großartig: Statt ausschließlich auf das bereits bestehende Angebot an pflegenden Diensten angewiesen zu sein, sollte jeder Pflegebedürftige sich mit einem an seine Betreuungsbedürfnisse angepaßten Geldbetrag die individuell benötigten Hilfeleistungen selbst auswählen und zukaufen können.

Das noch vor knapp drei Jahren zu Zeiten seiner Einführung als „Meilenstein der Sozialpolitik” gepriesene Bundes-Pflegegeldgesetz wurde durch das Sparpaket der Bundesregierung empfindlich beschnitten.

Die Fakten: Zwei Jahre lang wird das Pflegegeld nicht valorisiert, die Stufe 1 wurde auf 2.000 Schilling gekürzt und das Taschengeld bei Heimaufenthalten auf 550 Schilling herabgesetzt.

„Pflegegeldbezieher helfen dem Staat sparen. In zwei Jahren werden rund 250.000 Pflegegeldbeziehern mehr als vier Milliarden Schilling abgeknöpft”, so lautet die knappe Analyse in einer einschlägigen Sozialzeitschrift.

Einer von Österreichs Pflegegeldbeziehern ist Gerhard B*. Der Mann mußte sich vor nunmehr sieben Jahren einer Gehirn-Tumoroperation unterziehen. Leider verlief die Operation nicht komplikationslos. Gerhard R. sitzt heute im Rollstuhl, ist auf dem rechten Auge blind, und sein Gehirn hat viel von seinen ursprünglichen Funktionen verloren. An geregelte Arbeit ist nicht mehr zu denken, der gelernte Koch und ehemalige Gastwirt ist seit einigen Jahren in der Beschäftigungstherapie eines Behindertenvereins.

Gerhard R. hat aber auch eine Familie. Sein kleiner Sohn Gerhard* kam eineinhalb Jahre vor seiner Operation zur Welt. Seine Frau Johanna* ist seitdem Mutter und Familienoberhaupt in einem und pflegt dazu noch ihren Mann. Da war es bis vor zwei Jahren noch unmöglich, auch noch einer geregelten Arbeit nachzugehen. Die kleine Familie muß heute mit 23.000 Schilling pro Monat das Auslangen finden, abzüglich der Fixkosten pro Monat von rund 8.500 Schilling für Wohnen, Versicherungen und einer Kreditrückzahlung, die noch aus jener Zeit stammt, als Familie R. ein kleines Restaurant besaß.

Alles wäre zweifellos einfacher, wenn Frau R. im Angestelltenverhältnis für ihren Mann den Pflegedienst verrichten könnte. Das Pflegegeldgesetz sieht die reguläre Anstellung einer Pflegeperson ja als prioritär an. Johanna R. wäre dann wieder in einem Dienstverhältnis und somit sozial- und pensionsversichert. Wenn es sich aber beim „persönlichen Assistenten” des Pflegegeldbeziehers um ein Familienmitglied handelt, dann lautet die knappe Antwort des Sozialamtes nur: „Das geht nicht!”

Wer sind denn eigentlich „Die Pflegegeldbezieher und -bezieherinnen in Österreich?” Die „Statistischen Informationen der Arbeiterkammer” ”weisen in einer Erhebung von Ende Juni 1995 aus, daß 68,5 Prozent der Pflegegeldbezieher zum Stichtag Frauen waren.

Altersspezifisch betrachtet ist Pflegegeld eine Unterstützung für alte Menschen, ganze 85 Prozent der Pfle-gegeldbezieher waren 65 Jahre alt oder älter. Das Durchschnittsalter der Pflegebedürftigen betrug 78 Jahre.

Der Anteil schwerer Pflegefälle ist aber bei jüngeren Menschen höher als bei älteren. Rund 43.000 Pflegegeldbezieher waren zum Erhebungszeitpunkt im Erwerbsalter (15 Prozent). Auf die Gesamtbevölkerung umgerechnet, bedeutet dies, daß ein Fünftel der ab 65jährigen Pflegegeld bezieht, die meisten davon erhalten Gelder der Stufe 2. In dieser Stufe findet man auch die Mehrzahl der Pflege-geldbezieher (60 Prozent).

Die „AG pflegebedürftiger Personen” war Ende 1988 vom damaligen Sozialminister Walter Geppert einberufen worden, um Art und Umfang ei -nes künftigen und langfristigen Pfle-gebedarfes festzustellen und Vorschläge und Alternativen zur Abdeckung des Pflegeaufwandes anzubieten. Im Vorwort zum abschließenden Bericht ist noch von ziemlich hochgesteckten Zielen die Rede. Geppert stellte darin fest, daß in der Pflegebedürftigkeit „...keinesfalls ein irreparabler Zustand zu erblicken sei.”

Der Anspruch auf Leistungen der Pflegevorsorge solle unabhängig vom Alter und vom Grund der Behinderung bestehen. Was pflegende Familienangehörige anlangt, so müsse laut Geppert „...der Aufbau neuer Pflege-Strukturen nach meinem Dafürhalten in erster Linie zu einer Entlastung der pflegenden Angehörigen führen. Auf keinen Fall darf die Last der Pflege in der Familie so wie bisher den Frauen aufgebürdet bleiben.”

Die hochgesteckten Ziele sind vergessen

Nach drei Jahren ist vom Pioniergeist dieses Gesetzes nicht mehr viel übrig-. geblieben. Auch Johanna B. merkt von alldem nichts. Entlastende Dienste kann sie nicht in Anspruch nehmen, denn Gerhard R. ist hinsichtlich der Pflege ziemlich auf seine Frau fixiert — anderen Pflegepersonen ist er nur durch gutes Zureden einigermaßen zugänglich. Das ist keine Marotte - die Persönlichkeitsänderung ist eine der Folgen seiner Krankheit. Wirklich eingehend psychologisch geschulte Pflegekräfte, die mit Menschen wie Gerhard R. umgehen können, sind rar, oder zumindest mit dem Pflegegeld von Herrn R. nicht im benötigten Maß finanzierbar.

Das Pflegegeldgesetz basiert gänzlich auf Nächstenliebe. Nur dank der familiären und vor allem unbezahlten Hilfe von Familienmitgliedern ist es funktionsfähig, denn wirklich ausfinanzieren ließe sich eine angestellte, professionelle Pflegeperson mit den Sätzen der'einzelnen Pflegegeldstu-fen nicht. Umgerechnet auf Stundensätze wird jede Pflegestunde mit weniger als 50 Schilling gefördert. Laut Berechnungen wenden Österreicher wöchentlich 4,5 Millionen Arbeitsstunden - außerhalb des eigenen Haushaltes - kostenlos für die Pflege von Mitmenschen auf.

Vor dem 1. Juli 1993, also vor der Einführung des Pflegegeldes, kam Gerhard R. in den Genuß eines Rehabilitationsaufenthaltes. Nach vier Wochen im niederösterreichischen Laab waren gewaltige Fortschritte bei seinem gesundheitlichen Gesamtzustand erkennbar.

Vor knapp einem halben Jahr hat er wieder um einen Reha-Aufenthalt angesucht: „Leider nein”, kam da der abschlägige Bescheid von der PVA. Einen Beha-Aufenthalt gibts für Pflegegeldempfänger der Stufe 5 nicht mehr, denn die gelten als „austherapiert”. Das heißt, eine grundlegende Verbesserung des Gesundheitszustandes ist bei Menschen wie Gerhard R. nicht mehr zu erwarten. Die Krankenkasse wiederum hätte zwar den Kuraufenthalt bewilligt, aber nur mit einer Begleitperson, die für Gerhard R. notwendig ist. Aber rollstuhlge-rechte Kurhäuser gibt es von der PVA nicht.

Für die Beschäftigungstherapie von Herrn B. wurden 30 Prozent eingehoben und zwar rückwirkend bis Jahresbeginn. Eine vorherige Verständigung erfolgte nicht. Frau B. ärgert sich: „30 Prozent sind nicht gerade wenig, wenn man bedenkt, daß es noch extra etwas kosten würde, wenn mein Mann auch in der Tagesheimstätte zu Mittag ißt. Abgesehen davon kann man von einer Betreuung oder Förderung nicht wirklich sprechen, die Klienten sind dort größtenteils sich selbst überlassen!” Ersichtlich am Fall der Familie R. wird auch der enorme bürokratische Aufwand, der nun für alle Hilfsmittel gilt: Die Betteinlagen, die Gerhard B. benötigt, bekam er früher von der Krankenkasse, jetzt sind sie chefarzt-pflichtig. Die Urinale jedoch gibt es weiterhin von der Krankenkassa. Chefarztpflichtig bedeutet aber nur, daß die entsprechende Unterschrift des Chefarztes auf dem Ansuchen vorhanden sein muß, der Klient selbst wird beim Gang zum Chefarzt nicht benötigt. Für Johanna B. ist das nicht ganz logisch.

Der Modus der Pflegegeld-Vergabe ist dringend änderungsbedürftig, soviel ist klar. SP-Bundesgeschäfts-führerin Brigitte Ederer ließ im Jänner dieses Jahres mit dem Vorschlag aufhorchen, daß Geld künftig nur noch dann fließen sollte, wenn es für professionelle, regulär angemeldete Pflege ausgegeben wird. Nach ihrer Meinung eine geeignet Maßnahme, um Mißbrauch zu verhindern.

Unnötige BürokroHsierung

Fachleute im Sozialbereich sehen dies anders: Für Josef Weidenholzer, Präsident der Volkshilfe Österreich und Sozialwissenschaftler an der Uni Linz, war der Vorschlag Ederers ein Schritt hin zu einer unnötigen Verbürokratisierung der Pflegevorsorge einerseits für alte, betreuungsbedürftige Menschen und andererseits für behinderte Menschen, denn die Bedürfnisse und Ausgangssituationen sind alles andere als gleich. Gegen unfachlich-liche Hilfe in Form bezahlter Schwarzarbeit wendet sich freilich auch die Volkshilfe. Was aber fehlt, so Weidenholzer, ist der Ausbau der professionellen mobilen Dienste gemäß der 15A-Verträge zwischen Bund und den Ländern.

Michael Chalupka, Direktor der Evangelischen Diakonie in Österreich, reagierte auf die Ederer-Aussage mit der Forderung eines Pflegepasses. Nach Chalupkas Vorstellungen sollte die Auszahlung des Pflegegeldes davon abhängig gemacht werden, daß mindestens einmal pro Jahr ein „Pflege-Profi” den „Amateur-pfleger”' besucht und dies in einem Pflege-Paß bestätigt. Im Vordergrund soll dabei die Beratung für den Angehörigen stehen, kontrolliert werden soll dabei auch, ob der Pflegebedürftige wirklich die für ihn notwendige Pflege bekommt.

Neue Erkenntnisse über die Situation von Pflegebedürftigen und ihren Angehörigen wird die „Familienpolitische Begleitstudie” zum Pflegegeld bringen, die im Herbst dieses Jahres fertiggestellt sein soll. Die Studie wurde vom Familienministerium anläßlich des „Internationalen Jahres der Familie” 1994 in Auftrag gegeben.

* Die Namen wurden von der Redaktion geändert

1) Sozialpolitisches Diskussionsforum: „Zwei Jahre Bundespflegegeldgesetz. Daten zum Pflegegeld.”

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