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Digital In Arbeit

Keine freiwillige Einschränkung

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Nestroys „Unabhängiger“ ist bezeichnenderweise ein Müßiggänger, der nur durch seine absolute Farb-losigkeit auch Außenseiter ist. Er könnte gar nicht anders und gar

DR. HERMANN POLZ, Chefredakteur der „Oberösterreichischen Nachrichten“ nichts anderes sein, denn jeder in der Gesellschaft und für die Gesellschaft Tätige ist immer abhängig.

In diesem Sinne ist auch die unabhängige Presse abhängig, soll und muß es sein. Das Maß ihrer Unabhängigkeit wird im Positiven wie im Negativen durch Art und Zahl ihrer Abhängigkeiten bestimmt.

Jene Zeitungen, die in Österreich das Prädikat „unabhängig“ für sich beanspruchen, können in zwei Gruppen gegliedert werden: aktiv und passiv gebarende. Das Defizit der passiv gebarenden wird von finanzkräftigen Interessengruppen gedeckt, was je nach Größe des Defizits ein gewisses Maß an Abhängigkeit bedingt. Natürlich haben auch die aktiv gebarenden Zeitungen verschiedene Zusammenhänge zu beachten, doch ist der Beweis, daß sich weitgehende Unabhängigkeit bezahlt macht, selbstverständlich eine starke Garantie dieser weitgehenden Unabhängigkeit.

Jede unabhängige Zeitung hat also ihren ganz bestimmten Freiheitsspielraum. Nun kommt es nicht einmal so sehr auf dessen Größe als vielmehr auf dessen ebenso wagemutige wie verantwortungsbewußte Nutzung an. Aus Mangel an Zivilcourage wird der Freiheitsspielraum immer wieder freiwillig eingeengt. Diese Art von Freiheitsverzicht ist leider eine Grundtatsache des menschlichen Lebens, die aber in keinem anderen Bereich so verhängnisvoll wirken kann wie in dem der Meinungsbildung.

Immer ist die unabhängige Presse auch in Gefahr, freiwillig in die Abhängigkeit bestimmter Klischees zu geraten. Das hängt wohl mit Risikoscheu als auch mit jener fixen Eilfertigkeit oder Bequemlichkeit zusammen, die überwunden werden müssen, um politische Situationen immer wieder neu zu durchdenken. Bei unabhängigen Zeitungen hat es sich in der Zweiten Republik eingebürgert, in politischen Dingen auf eine Weise scharf ins Zeug zu gehen, die bei aller Schärfe risikolos ist. Viel zuwenig werden Personen und Aktionen, viel zu sehr aber demokratische Institutionen kritisiert. Eine Demokratie aber kann nur wachsen und gedeihen, wenn ihre Institutionen, vor allem das Parlament, nicht in Zweifel gezogen werden, wohl aber die einzelnen politischen Akteure sehr genau daraufhin angesehen werden, ob sie den Erfordernissen demokratischer Institutionen gerecht werden. Vielfach ist in der unabhängigen Presse das Parlament im modernen Parteienstaat nach den Maßstäben der repräsentativen Demokratie des 19. Jahrhunderts beurteilt und verurteilt worden. Die kritische Flucht vom Konkreten ins Abstrakte, vom Besonderen zum Allgemeinen hat unter anderem mitgewirkt, die für eine Demokratie so bedeutsamen Begriffe Politiker und Partei im Bewußtsein der österreichischen Öffentlichkeit noch mehr abzuwerten als sie es ohnedies schon waren.

Gegenüber den Abhängigkeiten von der Angst vor der Macht und von antiquierten und bequemen Klischees erscheinen mir alle anderen Abhängigkeiten gering und bei weitem weniger die Unabhängigkeit gefährdend, weil sie nicht freiwillig auf sich genommen werden, sondern Aufgaben sind, die bewältigt werden müssen.

Viel mehr als die Parteiblätter sind die parteiunabhängdgen Blätter, insbesondere die aktiv gebarenden unter ihnen, von ihren Lesern abhängig. Diese Abhängigkeit will Tag für Tag gemeistert werden, damit sie zu keiner Gefahr wird. Sie darf nicht zum Herumdrücken um klare Aussagen und Stellungnahmen führen, das durch risikolose Institutionenkritik kaschiert wird. Unabhängigkeit kann nur in möglichst restloser Ausnützung des spezifischen Freiheitsspielraumes durch entschlossene Stellungnahme bewahrt und bewiesen werden.

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