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Keine Kleingruppen

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Man könnte nun einwenden, daß dann eben mehr Akzent auf die Kleingiruppenbildung bei jenen gelegt werden müßte, die in größerer Distanz zur Kirche stehen. (Der hier oft gebrauchte Ausdruck „Fernstehende“ ist insofern mißverständlich, weil „fern“ ein sehr breites Spektrum an Distanz zur Kirche umfaßt!) Doch halte ich eine Kleingruppenbildung unter solchen Distanzierten für unmöglich. Wir wissen heute, daß die religiöse Situation der Industriegesellschaft die des „geistigen Marktes“ ist, auf dem es ein vielfältiges weltanschauliches Angebot gibt und auf dem das Angebot der katholischen Kirche nur (noch) eines unter vielen ist. Das heißt aber, daß die religiöse Entscheidung, die der einzelne (oder besser seine Familie) trifft, kaum mehr gesellschaftlich greifbar wird:Religion wird deshalb zunehmend privatisiert und im Raum der Familie angesiedelt. Die im Druck befindliche VÖESt.-Untersuchung läßt erkennen, daß selbst unter sehr wenig kirchlichen Arbeitern die Religion im Raum der Familie akzeptiert wird. Leo von Deschwanden hat nun in einer Arbeit über den katholischen Pfarreipriester diese Tatsache der Prlvatisieirung der Religion hinsichtlich der Möglichkeiten einer Pastoral untersucht. Er kommt zu dem Ergebnis, daß es nicht einmal dem einzelnen Priester (als Vertreter einer Institution) (leicht) möglich sein wird, in diesen Inrtimraum einzudringen. Er meint, der erste Schritt müsse beim Fernstehenden selbst liegen. Aus diesen Überlegungen müßte klar geworden sein, daß die Klein-gruppembiidung bei aller Notwendigkeit ihre Grenzen hat. Sie stellt ein Instrumentarium dar, das kaum mehr leisten kann, als schon Bekehrte zu (weiter zu) bekehren. H. Swoboda hat dies schon 1908 der Großstadtseelsorge vorgeworfen. Wenn daher unsere Pfarrseelsorge allen Ernstes wirksam aus dem innerkirchlichen Getto ausbrechen will, braucht sie noch weitere missionarische Instrumentarien. Und hier nenne ich den Hausbesuch, und möchte sogleich einige Bemerkungen hinzufügen. , .

Alle diese Rückverweise auf die Kleingruppe machen aber die Aufnahme neuer Kontakte etwa in der Form des Hausbesuches nicht unnötig, sondern erst recht wichtig. Es wird allerdings, und damit wird der Gedankengang von Deschwanden wieder aufgegriffen, eine Kontakt-nahme sein, bei der ein erster, wenn auch noch so kleiner Schritt von den „Unkirchlichen“ oder „Kirchenfernen“ gemacht' wird. Anlässe dafür gäbe es in der gegenwärtigen Seelsorge viele: Taufe, Erstkommunion, Firmung, Trauung, Begräbnis usw. Die Synodalvansammlung hat deshalb zu Recht die Vorlage noch einmal an die Kommission zurückverwiesen. So, wie nämlich das Konzept ist, ist es effektiv nicht tragbar, sondern gefährlich. Eine flüchtige Kosmetik in kurzer Zeit erwies sich für aussichtslos, weil das Ergebnis ein noch wirkungsloserer Kompromiß als der vorliegende wäre, aus dem dann in der Pastoral jeder wie bisher machen könnte, was er wollte. Darüber hinaus die Synode von der neuen Kommission verlangen müsse, daß nicht nur Prinzipien formuliert werden, wie dies in meinem Beitrag nier geschehen ist, sondern sie müßte eine Reihe klar umschriebener und auch schon erprobter Modelle Pastoralen Handeins verlangen, In denen diese Prinzipien realisiert sind. Mit einem Beispiel eines solchen schon erprobten Modells (etwa Machstraße) möchte ich meine Kritik schließen.

Wenn ein Kaplan In einer Pfarre den Erstkommunionsunterricht zu halten hat, wird er sich nicht nur mit den Kindern befassen, sondern er weiß, daß seine Arbeit mit den Kindern nur dann Erfolg hat, wenn auch die Eltern einbezogen werden. Das bedeutet einmal einen „gezielten“ Hausbesuch aus Anlaß des beginnenden Unterrichts. Es wird dann in der Folge zu (mindestens drei) Elternabenden kommen. Bei diesen wird es durchaus möglich sein, auch die Eltern aktiv mitarbeiten zu lassen. Das Engagement ist eine sehr wertvolle Form der wachsenden Identifikation und damit der Integration. Vielleicht gelingt es dann sogar, mit einigen Eltern zur Bildung einer dauerhaften Gruppe zu gelangen.

Diese kurze Skizze zeigt deutlich, daß der erste Schritt bei den oft weitabstehenden Katholiken liegt: Sie sind es, die das Kind bei der Erstkommunion haben wollen. Damit treten sie aus dem nahezu unzugänglichen Raum ihrer Privatheit heraus und schaffen zugleich der Gemeinde die Möglichkeit einer intensiveren Kontaktnahme im Hausbesuch. Erst dann wird eine Gruppenarbeit einsetzen, die aber zunächst bloß zu einer lockeren und vor allem vorübergehenden Gruppenbildung führen wird.

Ob es dann später unter diesen Eltern von Erstkommunikanten noch zu einer dauerhaften Klein-gruppenbildung kommen wird, oder ob sich solche Eltern, die durch den Hausbesuch und die Elternabende der Gemeinde ohne Zweifel näher gekommen sind, schon bestehenden Gruppen anschließen werden, wird vielleicht gar nicht so sehr von religiösen, sondern viel mehr entscheidend von sozialen Voraussetzungen abhängen. Wir sollten uns einmal redlich die Frage stellen, ob das Ideal der kleinen, überschaubaren und erlebnisdichten Kleingruppe nicht selbst schon das Ergebnis mittelständischen Denkens ist, für das aber eben aus diesen sehr profanen Gründen breite Schichten der Bevölkerung oberhalb und unterhalb, also Arbeiter wie Akademiker, ojrne eine tiefgreifende Umgestaltung ihrer sozialen Verhaltensmuster nicht fähig sind. Das Anliegen dieser Zeilen ist nicht neu. Es ist die Sorge um jene Katholiken, die mehr oder weniger weit weg sind von einer Gemeinde glaubender und (was gar nicht mehr so sicher ist) auch weg sind von einer Gemeinde, von in der Liebe tätigen Menschen, die aber dennoch Menschen sind, denen gegenüber eben diese Gemeinde durch deren Annahme in der Taufe unaufgebbare Pflichten übernommen hat.

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