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Keine „perfekten Lösungen“ möglich

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Die Argumente, die diese Gruppe angesehener SVP-Mandatare zur Unterstützung ihrer Ansicht ins Treffen führt, klingen teilweise sehr überzeugend. Man könnte nicht immer nein sagen. Die Südtiroler Bevölkerung würde für eine negative Entscheidung der SVP wenig Verständnis haben. Der 20jährige Kampf zur Erlangung größerer autonomer Rechte habe wertvolle Energien verbraucht. Man könne nicht immer von Versprechungen und Hoffnungen leben, man müsse einmal auch etwas in die Hand bekommen. Der gegenwärtige Lösungsvorschlag enthalte zwar manchen „Schönheitsfehler“, doch bedeute er gegenüber allen bisherigen Angeboten Italiens in der Südtirolfrage einen bedeutsamen Fortschritt. Im übrigen müsse man sich vor Augen halten, daß es „perfekte Lösungen“ nicht gebe.

Kein anderer italienischer Ministerpräsident sei den Südtirolern mit so viel Verständnis entgegengekommen wie Moro, dem die Frage wirklich zu einem echten Anliegen geworden sei. Auch wenn man in der Vergangenheit mit Italien schlechte und entmutigende Erfahrungen gemacht habe, müsse man sich einmal zu einem Akt des Vertrauens aufraffen.

Von der SVP-Gruppe, die einem raschen Abschluß der Südtirol-Frage recht skeptisch, ja teilweise ablehnend gegenübersteht, weil ihr in dem inzwischen schon legendär gewordenen ,paket“ noch zuviel (politisch) luftleerer Raum enthalten ist, werden andere triftige Gründe ins Treffen geführt. Im „Paket“ sei zwar vieles enthalten, Wesentliches aber würde fehlen. Manche Konzession entpuppe sich bei näherer Betrachtung als „Verpackung“, hinter der nicht viel stecke. Gewiß, es gebe keine „perfekte Lösung“, denn auf die (Loslösung von Trient und Errichtung einer eigenen Region Südtirol) habe man bei der Einsetzung der 19er-Kommission 1961 schweren Herzens verzichten müssen. Damals habe man dieses Opfer auf sich genommen, um dem Ziel der Erlangung einer Landesautonomie keine unüberwindlichen Schranken in den Weg zu stellen. Die gegenwärtig zur Diskussion stehende Lösung entspreche jedoch nicht einmal diesem Mnimalziel.

Bedeutsamen Verbesserungen — so argumentiert der Kreis der Skeptiker eines raschen Abschlusses, unter ihnen der Ende Jänner aus Protest gegen eine „übertriebene und schädliche Geheimpolitik in und um Südtirol“ von seinem Posten als erster Obmannstellvertreter der SVP zurückgetretene Parlamentsabgeordnete Hans Dietl, stünden empfindliche Verschlechterungen im „Paket“ gegenüber. Der bekannte Landespolitiker Dr. Alfons Benedikter, der vielleicht profundeste Kenner der ganzen Materie, äußert sogar die Überzeugung, daß das gegenwärtige „Paket“ in seiner Gesamtheit eher unter, kaum aber über den Ergebnissen der 19er-Kommission von 1963 steht. Auch die angesehenen Landesräte Dr. Peter Brugger und Dr. Joachim Dalsaß stehen dem gegenwärtigen Lösungsvorschlag zum Teil skeptisch gegenüber. Die Opposition von Kreisen aus dem Pustertal, an der Spitze von Bezirksobmann Hans-Karl Neuhauser, ist bekannt. Aber auch der Vorsitzende des Bezirkes Bozen, Franz Widmann, äußert Vorbehalte.

Diese Vorbehalte erstrecken sich unter anderem vor allem auf folgende Punkte:

1. Im „Paket“ wurde keine Lösung des Problems der Gleichberechtigung der deutschen mit der italienischen Sprache gefunden.

2. Der Provinz wird jede echte Mitverantwortung bei der öffentlichen Ordnung verweigert.

3. Wenngleich das von der SVP immer strikt abgelehnte Vetorecht der italienischen „Minderheit“ (die es ebenso nicht gibt wie eine österreichische Minderheit in Tirol oder in Kärnten) bei der Verabschiedung des Landesbudgets nunmehr gefallen ist, so würde auch die neue Formel (getrennte Abstimmung, Bildung einer Paritätischen Landtagskommission und im Falle, daß auch die sich nicht einigen kann, Behandlungen vor dem ebenfalls paritätisch zusammengesetzten Landesverwaltungsgerichtshof) das Funktionieren der angestrebten Provinzautonomie sehr erschweren, wenn nicht gar auf die Dauer unmöglich machen.

4. Die entscheidend wichtigen Probleme Arbeitsvermittlung (Arbeitsämter) und Meldewesen bleiben trotz kleinerer Zugeständnisse im wesentlichen ungelöst.

5. Die Bestimmung in der italienischen Verfassung, daß durch das „nationale Interesse“ die Gesetzgebung (in diesem Fall des Landes) eingeschränkt werden kann, würde weiterhin gelten. Dabei haben gerade die Südtiroler in der Vergangenheit die „weite“ Auslegung des Begriffes „nationale Interessen“ bitter zu spüren bekommen.

6. Im „Paket“ werden zwar zeitliche Termine für die Verabschiedung der Durchführungsbestimmungen genannt, die geforderte Einräumung der Gesetzgebung bei nicht zeitgerechter Erlassung dieser Durchführungsbestimmungen wird jedoch verweigert.

7. Der Empfang des österreichischen und Schweizer Fernsehens wird den Südtirolern entgegen allen internationalen Gepflogenheiten nach wie vor verweigert. Dabei hatte sich die gesamte Südtiroler Landesregierung, also auch die italienischen Mitglieder, Ende 1965 einstimmig dafür ausgesprochen!

Denn eben hier liegt der Haken: Während man in Rom nicht müde wird, den Südtirolern zu beteuern, wie „großzügig“ und „großmütig“ die italienischen Angebote zur Lösung der Streitfrage seien, bringt man den gleichen Südtirolern ein Maß an Mißtrauen entgegen, das aus mehreren Gründen bedenklich stimmen muß. Führende Vertreter der DC begeistern sich nach wie vor an der „Integration“. Ein schönes, europäisch klingendes Wort. Auf Südtirol konkret angewendet, würde es den kulturell-volklichen Tod der Minderheit bedeuten. Und die Vereinigte Sozialistische Partei Italiens, die in der Vergangenheit öfters als Sprecherin für die Gewährung autonomer Rechte an Südtirol hervorgetreten ist, hat diese „Südtirol-Tradition“ nun offenbar aus wahlpolitischen Gründen zurückgestellt. Bei einer seit Monaten vorbereiteten Tagung in Bozen vom 26. Februar, an der führende römische Politiker der Partei teilnahmen, wurde ein Südtirol-Dokument ausgearbeitet, das allgemein als schwerer Rückschlag empfunden wind. Der PSI spricht sich darin sogar gegen den ethnischen Proporz bei der Besetzung von Staatsstellen aus, verlangt eine weitere Industrialisierung des Raumes Bozen, ist gegen die Gewährung der Industriekompetenz an die Provinz und befürwortet eine gemischte, zweisprachige Schule. „Integration“ (sprich Assimilierung) wird großgeschrieben.

Nur in einem Punkt ist die zweitstärkste Regierungspartei Italiens, die mit dieser Stellungnahme Moro praktisch in den Rücken gefallen ist, positiver als die Democrazia Cri-stiana. Sie spricht sich vorsichtig für eine internationale Verankerung aus: das „Paket“ gehöre zum Pariser Vertrag und müsse vor einer internationalen Instanz (IGH) einklagbar sein.

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