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Kinder zählen nicht mit

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Die „Wiener Zeitung“ vom 15. Mai dieses Jahres berichtet unter der Überschrift „Beamte mit Gehaltsregelungsvorschlag einverstanden“, daß der Vorstand der Gewerkschaft der öffentlich Bediensteten dem Ergebnis der Gehaltsverhandlungen mit der Bundesregierung zugestimmt hat. Demnach sollen die Beamtenbezüge ab 1. August dieses Jahres um vier Prozent (mindestens aber 80 Schilling) und die Haushaltszulagen von 100 auf 150 Schilling erhöht werden.

Niemand kann leugnen, daß die Beamtengehälter hinter der allgemeinen Preisentwicklung wieder zurückgeblieben sind und daher nachgezogen werden sollen. Inwieweit sie durchführbar ist, hängt von den Staatsfinanzen ab. Hier soll daher nicht über das Ausmaß der Gehaltserhöhung gesprochen werden, sondern über die Frage, ob die vorgesehene Lösung gerecht, das heißt geeignet ist, die abgesunkene Kaufkraft der Bezüge aller Beamten in gleicher Weise auf die ursprüngliche Höhe zurückzuführen, oder ob dadurch nicht einzelne Gruppen bevorzugt oder benachteiligt werden.

Die Prüfung dieser Frage schließt keineswegs eine Kritik des Bestrebens ein, den Empfängern der niedrigsten Gehälter eine Mindesterhöhung von 80 Schilling zuzusichern. Soziale Maßnahmen sind durchaus zu begrüßen, wenn dabei auch nicht übersehen werden darf, daß damit die schon früher begonnene Nivellierung der Bezüge weiter fortgesetzt wird; und zwar in doppelter Weise, weil die bei Gehaltserhöhungen immer stärker wirksame Steuerprogression schon bei mittleren Gehältern von den vier Prozent ein Viertel und mehr aufzehrt, so daß nur noch drei Prozent oder noch weniger übrigbleiben. All das läßt sich aber unter dem Gesichtspunkt der Förderung des wirtschaftlich Schwachen noch vertreten. Völlig unverständlich ist aber, warum . die Haushaltszulage um, 50 Prozent, die Kinderzulage hingegen überhaupt nicht erhöht werden soll.

Ein guter Anfang

Nach dem Gehaltsgesetz 1956 steht dem Beamten für die nicht berufstätige Gattin eine Haushaltszulage von 100 Schilling und für jedes noch nicht selbsterhaltungs-fähige Kind eine Kinderzulage von ebenfalls 100 Schilling zu. Mit dieser Regelung hat der damalige Gesetzgeber sinnvoll zum Ausdruck gebracht, daß die Entlohnung des Beamten ein Familienlohn sein soll, der sich entsprechend der Zahl der Familienmitglieder gleichmäßig erhöht. Die in der letzten Zeit zur Selbstverständlichkeit gewordene Eingliederung der Frau in das Erwerbsleben hat allerdings dazu geführt, daß kinderlose Ehepaare oder Kleinfamilien, die das Kind tagsüber einem Dritten zur Betreuung tiberlassen können, ein zweifaches Einkommen haben, während der Ernährer einer fünf- oder mehr-köpfigen Familie, dessen Gattin im Haushalt vollauf in Anspruch genommen ist, nur über eine einzige Einkommensquelle verfügt.

Die Folge davon ist, daß bei gleicher Arbeitsleistung der Eheleute (man möchte beinahe sagen: geringerer Leistung, denn die Mutter mehrerer Kinder kennt keinen Achtstundentag und kein freies Wochenende) der Lebensstandard der Kleinfamilie zirka dreimal so hoch wie der der Großfamilie ist. Da die kinderreichen Familien besonders unter den Arbeitnehmern in Österreich verhältnismäßig gering an Zahl sind und ihnen auch keine entsprechende Organisation zur Verfügung stand, hat es sehr lange gedauert, bis sich die Öffentlichkeit mit diesem krassen Mißverhältnis in der sozialen Struktur unseres Landes überhaupt beschäftigt hat. Das Aufziehen mehrerer Kinder ist bekanntlich kein reines Vergnügen und kommt ja der Allgemeinheit genauso zugute wie den Eltern, da die Kinder dereinst für alle, auch für die Kinderlosen, die Renten aufbringen und die Landesverteidigung übernehmen müssen.

Allmählich setzte sich die Überzeugung durch, daß der fortschrei-

tenden Deklassierung der Familie Einhalt geboten werden müsse. Mit dem Gesetz über die Gewährung von Kinder- beziehungweise Familienbeihilfe wurde endlich ein neuer Weg beschritten. Die Erfahrung, daß die Belastung der Familienerhalter mit der Zahl der Kinder nicht proportional, sondern unverhältnismäßig stärker ansteigt, kam darin zum Ausdruck, daß die Höhe der Beihilfen progressiv gestaffelt wurde. In der Erkenntnis, daß eine Erwerbstätigkeit einer Mutter von drei oder mehr Kindern nahezu ausgeschlossen ist, wurde die sogenannte Mütterbeihilfe eingeführt, die einer Steigerung der Beihilfen ab dem dritten Kinde gleichkommt.

... und ein Schritt zuriick

Im Vergleich zu diesen Maßnahmen bedeutet die geplante Neurege-

lung der Beamtenbezüge einen bedauerlichen Rückschritt. Die Kinderbeziehungsweise Familienbeihilfe und die Mütterbeihilfe brachten für die kinderreichen Familien gewiß eine fühlbare Erleichterung, aber keineswegs auch nur eine Annäherung an den Lebensstandard der die Mehrzahl bildenden Kleinfamilien mit zweifachem Einkommen. Die Annahme, daß die soziale Frage auf dem Familiensektor durch die Beihilfengesetze für alle Arbeitnehmer gelöst und die Kinderzulage der öffentlich Bediensteten nunmehr bedeutungslos geworden wäre, ist daher ganz und gar verfehlt. Aber selbst dann, wenn man diesen falschen Standpunkt einnimmt, ist es völlig unverständlich, warum die im Privatdienst ebenfalls unbekannte Haushaltszulage einheitlich um 50 Prozent erhöht werden soll.

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