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Kinderreiche — minderwertig?

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Die Familienpolitik ist immer noch mit zahlreichen Mißverständnissen belastet, die schwer ausrottbar scheinen. Einer der folgenschwersten Irrtümer ist die Verwechslung von Familien-politik mit Bevölkerungspolitik bzw. die Identifizierung dieser beiden grundsätzlich verschiedenen Gebiete, die von Soziologen und Farnilien-politikern streng geschieden werden. Bevölkerungspolitische Maßnahmen zielen direkt auf eine quantitative Veränderung oder qualitative Verbesserung der Nachkommenschaft ab. Dies kann generell durch eine Begünstigung oder aber durch eine Benachteiligung der Kinderreichen gegenüber den Kinderlosen und Kinderarmen geschehen, wenn eine zahlenmäßige Geburtenregulierung (Erhöhung oder Senkung der Geburtenrate) angestrebt wird; oder aber diese Begünstigung bzw. Benachteiligung wird nach irgendwelchen Gesichtspunkten auf bestimmte Bevölkerungsschichten beschränkt, um (zur qualitativen Geburtensteuerung) ihre stärkere beziehungsweise schwächere Vermehrung zu erwirken. Immer haben bevölkerungspolitische Maßnahmen eine direkte Beeinflussung der quantitativen oder qualitativen Geburtenbewe-gung zum Ziel. Ob, wieweit und mit welchen Methoden diese der Menschenwürde und der christlichen Moral entsprechen, soll hier un-erörtert bleiben.

Familienpolitik ist etwas grundsätzlich anderes. Ihr geht es überhaupt nicht um eine Steuerung der Nachkommenschaft. Diese Frage berührt sie nicht. Die Maßnahmen der Familienpolitik haben die Familie um ihrer selbst willen und als Ordnungsfaktor der Gesellschaft zum Gegenstand. Das ist etwas ganz anderes. Die Familienpolitik plädiert also beispielsweise nicht deshalb für die Kinderbeihilfen bzw. für ihre Erhöhung, damit die Bevölkerung zunehme, sondern damit die Familien — unabhängig von ihrer Kinderzahl — anständig leben können, damit sie nicht für ihre unersetzliche Leistung in biologischer und ordnungspolitischer Hinsicht (wo gesunde Familien leben, herrscht Ordnung in Staat und Gesellschaft) gegenüber den Kinderlosen benachteiligt, deklassiert seien. Der Familienlastenausgleich soll die mit den Kindern verbundenen wirtschaftlichen Lasten in gerechter Weise auf alle Schultern gleichmäßig verteilen, da „die Kinderlosen ihre Existenz (ihre Zukunft, ihr Alter) auf den Kindern der anderen bauen“. Die Übernahme eines Teiles dieser Lasten durch die Kinderlosen ist in keiner Weise eine „Bestrafung“ für sie, so wenig die Familienlastenaus-gleichszahlungen für die Familien eine „Belohnung“ bedeuten, sodern nur die Abwendung von Unrecht.

Die Feststellung, daß Bevölkerungs- und Familienpolitik ihrem Wesen, ihrer Zielsetzung nach etwas ganz anderes sind, wird nicht aufgehoben oder eingeschränkt durch den Zusatz: familienpolitische Maßnahmen können bevölkerungspolitische Folgen haben, ja, dies wird sogar vielfach der Fall sein. Durch die möglichen Folgewirkungen hat also Familienpolitik schon etwas zu tun mit Bevölkerungspolitik, aber eben nur in dieser Hinsicht, wobei es außer Zweifel steht, daß in manchen Staaten bevölkerungspolitische Absichten bei der Festlegung familienpolitischer Maßnahmen mit im Spiel waren oder sind. Eine richtig verstandene Familienpolitik wird sich aber von bevölkerungspolitischen Beweggründen freihalten. Diese Unterscheidung ist nicht nur theoretisch, sondern ebenso praktisch von großer Bedeutung. Die Antwort auf die Frage, ob und welche Maßnahmen für die Familien zu treffen seien, hängt in hohem Maße davon ab, ob man familien- oder bevölkerungspolitische Ziele im Auge hat.

DER VORSCHLAG VON PROF. KNAUS Erst kürzlich hat Prof. Knaus („Heute“ vom 8. Oktober i960) seinen von den österreichischen Familienorganisationen mit eingehender Begründung letztes Jahr abgelehnten Vorschlag wiederholt, die derzeitige Kinderbeihilfenprogression (zunehmende Beihilfe mit wachsender Kinderzahl) umzuwandeln. Verwirrung wird zunächst dadurch gestiftet, daß Prof. Knaus die unerläßliche Unterscheidung zwischen Bevölke-rungspolitik und Familienpolitik nicht macht, vielmehr diese grundsätzlich verschiedenen Angelegenheiten in einen Topf wirft. Er wirft seinen Vorschlag in die familienpolitische Debatte, obwohl dieser gar nicht familienpolitischer Herkunft, sondern ausschließlich bevölkerungspolitischer Natur ist. Er möchte damit der — zumindest in Mittel- und Westeuropa vollkommen gegenstandslosen — Gefahr einer Übervölkerung begegnen und gleichzeitig eine vermeintliche qualitative Verbesserung der Bevölkerung durch Drosselung der — ohnehin in einer Minderheit befindlichen — Kinderreichen anstreben. Familienpolitisch ist dieser Vorschlag absurd, weil er die gegebenen Realitäten auf den Kopf stellt, wie es etwa auch Bischof Rusch auf der letztjährigen Hauptversammlung des Katholischen Familienverbandes in Tirol ausdrücklich betonte. Solange nicht schon ab dem ersten Kind eine das Existenzminimum abdeckende Kinderbeihilfe gezahlt wird, ist eine progressive Staffelung dieser Beihilfe mit der Anzahl der Kinder unerläßlich, wenn sich die Deklassierung nicht mit zunehmender Kinderzahl vergrößern soll' (der vom Lohneinkommeh des Familienerhalters abzuzweigende Fehlbetrag wächst sonst mit der Kinderzahl rapid an). Die Familienorganisationen kämpfen nun bekanntlich seit Jahren verbissen um eine Erhöhung der derzeit völlig unzureichenden Beihilfenprogression mit dem Hauptargument der sozialen Gerechtigkeit. Die Verwirklichung des Vorschlages von Professor Knaus würde aber nicht nur die derzeit unzureichende Beihilfenprogression aufheben, sondern durch die Umkehr in eine Degression das bestehende Unrecht an den Kinderreichen doppelt vergrößern. Vom familienpolitischen Standpunkt aus ist also eine weitere Diskussion darüber überflüssig.

EINE UNHALTBARE BEHAUPTUNG Prof. Knaus hat aber nicht nur seinen familienpolitisch unhaltbaren Vorschlag, sondern auch seine Behauptung — für die er uns jeden Beweis schuldig geblieben ist — wiederholt, die kinderreichen Familien gehörten der weniger wertvollen Bevölkerungsschicht an, weshalb ihre derzeitige „Förderung“ (!) im Interesse einer „qualitativen Familienpolitik“ (gemeint ist natürlich eine qualitative Bevölkerungspolitik) nicht erwünscht sei. Auch wer die Existenz einer verschwindenden Minorität asozialer Großfamilien unter den Kinderreichen in keiner Weise leugnet, weiß, daß der breite Durchschnitt der kinderreichen Familien einen lebendigen Gegenbeweis gegen die Knaussche Behauptung darstellt. Damit wird auch sein Argument in bevölkerungspolitischer Hinsicht gegenstandslos. Die Statistik über die Familienherkunft (nach der Kinderzahl) intellektuell produktiver, musisch begabter und religiös-ethisch wertschaffender Menschen (Priester kommen vorwiegend aus kinderreichen Familien) spricht eine beredte Sprache. Prof. Knaus wird uns also zunächst Beweise vorlegen müssen, wenn er bei seiner Behauptung vom Zusammenhang zwischen Kinderreichtum und wertgeringerer Volkssubstanz bleiben will.

Die Familienorganisationen wollen mit ihrer Klarstellung in keiner Weise Propaganda für Geburtenreichtum betreiben bzw. den Kinderreichen eine bevorzugte Stellung in der Gesellschaft erkämpfen. Die obigen Darlegungen haben gezeigt, daß Familienpolitik in ihrer Zielsetzung mit Bevölkerungspolitik überhaupt nichts zu tun haben will und der Ausbau des Familienlastenausgleichs nur einer Forderung der sozialen Gerechtigkeit entspricht.

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