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Kirchenrechtsprobleme—gestern und heute

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GESCHICHTE DES KIRCHENRECHTS. Band III: Das katholische Kirchenrecht der Neuzeit. 1517 bis 1917 (1. Teil). Von Willibald M. PI ö c h 1. Verlag Herold, Wien 1959. 600 Seiten. Preis 300 S

Zwei folgenschwere Zäsuren in der Kirchengeschichte, das morgenländische Schisma von 1054 und die beginnende Reformation von 1517, bilden den zeitlichen Rahmen für die Bände dieser Geschichte des Kirchenrechts. Der vorliegende 3. Band sollte ursprünglich als Schlußband die gesamte Rechtsgeschichte von 1517 bis zum CJG zusammenfassen, doch sah sich der Autor bei der Fülle des Materials gezwungen, eine Teilung vorzunehmen. So kommen in diesem Band nur die allgemeinen Normen über Kirche und Recht und das Verfassungsund Personenrecht zur Darstellung. Der mit ihm eine Einheit bildende 4. Band wird Sachenrecht, Prozeßrecht und Strafrecht enthalten.

Da die kirchliche Rechtsentwicklung immer in ihrer Abhängigkeit von der Geistesgeschichte zu sehen ist, hat der Verfasser den rechtsgeschichtlichen Darlegungen eine ideengeschichtliche Zusammenfassung vorangestellt. Die in dieser Zeitspanne auf die Kirche einwirkenden Gedanken und Strömungen und die notwendige Auseinandersetzung mit ihnen ziehen in kurzen, deutlichen Strichen an unserem Auge vorüber, angefangen von der Reformation und Gegenreformation bis zu den Auswirkungen des Vatikanischen Konzils und den neueren Unionsbestrebungen. Ein eigener Abschnitt wird dem wechselvollen und unterschiedlichen Verhältnis von Kirche und Staat in den einzelnen Ländern gewidmet, wobei auf den Mangel aufmerksam gemacht wird, daß der Anteil der Laien in der Verteidigung der kirchlichen Rechte von der Wissenschaft noch nicht genügend herausgestellt wurde.

Die eigentlich rechtsgeschichtlichen Ausführungen zeigen in ihrer Einteilung eine große Anlehnung an den CJC und sind daher für eine rasche Orientierung des Rechtsdogmatikers und Praktikers von Bedeutung. Gerade die Entwicklung in den letzten Jahrhunderten ist für das Verständnis des gegenwärtigen Rechtes oft entscheidend. Im einzelnen sind folgende Kapitel ausgeführt: Kirche und Recht, Der päpstliche Primat, Kirchenversammlungen, Hierarchie und Territorialverfassung, Regierung und Aufbau der

Diözese, Recht und Aufbau der Missionskirche, Personenrecht und Ordensrecht. Es ist zu bemerken, daß der Autor in dem Kapitel über das Personenrecht die Lehre von den kirchlichen Personen im allgemeinen und das kirchliche Aemterrecht zusammenfaßt. Auffallenderweise fehlt ein eigenes Kapitel über das Laienrecht. Die Einzelrechte der Laien werden voraussichtlich im letzten Band im Rahmen der Gesamtdarstellung der einzelnen Rechtsinstitute behandelt werden, während das kirchliche Vereinsrecht (Bruderschaften, Marianische Kongregationen) in das Ordensrecht hineingearbeitet ist. Dafür scheinen rein praktische Gesichtspunkte maßgebend gewesen zu sein, da der Stoff kein eigenes Kapitel ergab.

Bei den allgemeinen Rechtsgrundsätzen ist eingehend die Tätigkeit der Rechtswissenschaft herausgearbeitet, die viele Begriffe geklärt und so der

Kodifizierung des Rechtes eine wichtige Vorarbeit geleistet hat. Auch bei den Ausführungen über das Verfassungs- und Personenrecht fällt auf, daß die Lehrmeinungen der verschiedenen Zeiten stark zu Wort kommen und so nicht nur der Fortschritt in der Gesetzgebung, sondern auch in der Lehre deutlich gemacht wird. Es. wird dabei nicht nur das Recht der lateinischen Kirche dargestellt, auch dem Rechte der verschiedenen orientalischen unierten Riten wird ein verhältnismäßig breiter Raum gegeben, was dankbar anzuerkennen ist, da das orientalische Recht der Vergangenheit vielen nicht zugänglich war. Da die Rechtsentwicklung dieser

Periode oft weniger bekannt ist als die früherer Zeiten, geht der Autor öfter auf Einzelfragen ein, die eigene Forschung verraten (zum Beispiel Kon- sistorialräte, Laisierung). Daß dabei Verhältnisse oder Sonderentwicklungen aus dem österreichischen Raum öfter zu Wort kommen, sei dankbar vermerkt (vgl. S. 214, 231 f., 388, 448 49, 479, 498).

Bei der Behandlung der einzelnen Rechtsinstitute — es kommen auch solche zur Darstellung, die heute nicht mehr bestehen — fällt die dominierende Stellung des Trienter Konzils am Anfang dieses Zeitabschnittes auf. Zwar war seine Bedeutung in erster Linie theologisch-dogmatischer Natur, doch hat es auch in der kirchlichen Disziplin Sicherheit und Stabilität geschaffen, wenn auch keine umwälzenden Neuerungen gebracht. Ihm ist es vor allem gelungen, dem Bischof seine ursprüngliche Gewalt und Stellung wiederzugeben und so die seelsorgliche Erneuerung anzubahnen, 1 was in der Darstellung klar zum Ausdruck gebracht ist. Auch das Ringen um den Universalepiskopat des Papstes während und nach dem Tridentinum ist allenthalben sichtbar gemacht. Die dramatische Entscheidung dieser Frage auf dem Vatikanischen Konzil, dem zweiten Höhepunkt dieser

Periode, ist in allen Phasen lebendig herausgearbeitet. Die eigentliche Bedeutung dieser dreieinhalb Jahrhunderte lag jedoch nicht in großen Neuschöpfungen, sondern in der Anpassung des bestehenden Rechtes an die neue Situation, wobei wir in den Ausführungen allenthalben auf die überragende Gestalt Benedikt XIV. stoßen. Wie schwer es auch im Laufe der Geschichte war, das rechte Maß zu finden, wird bei der Frage nach der Häufigkeit der Partikularkonzilien gezeigt. Daß in der kirchenrechtlichen Entwicklung auch freiheitliche Bestrebungen sich durchsetzen können, ersehen wir aus der Lockerung des Pfarrzwanges und in der Beichtväterfrage der Ordensleute. Wo neue Wege beschritten wurden, hat sich der Autor bemüht, diese klar herauszuarbeiten. Wir finden diese Tatsache bestätigt bei der Einführung der Diözesankonsultoren, wobei ihm die Kenntnisse der amerikanischen Verhältnisse gut zustatten kommen. Auch die neuen Formen des Standes der Vollkommenheit, die sich in dieser Zeit entwickelten, die Kongregationen, Gesellschaften ohne Gelübde und Säkularinstitute, werden in ihren Anfängen dargestellt. Daß auch die Säkularinstitute bis in diese Periode zurückgehen, wenn sie auch ihre rechtliche Form und Anerkennung erst später erfahren haben, ist sorgfältig gezeigt. Wesentlich neues Recht wurde vor allem im Missionsrecht geschaffen, das trefflich als „ein Kind der Neuzeit" bezeichnet wird. Zwar war die Kirche immer missionarisch tätig, doch kannten frühere Jahrhunderte kein vom übrigen unterschiedenes Missionsrecht. Gerade im Verfassungsrecht ist die Kirche in den Missionsgebieten neue Wege gegangen, wie die Einführung der Apostolischen Vikare und Präfekten und deren Stellvertreter zeigt. Allerdings fehlen gerade im Missionsrecht noch weitgehende Einzelforschungen, so daß noch manche Unklarheiten bleiben mußten. Es sei nur auf die öfter erwähnte Gewalt der Ordensoberen über die eigentlichen Ordensangelegenheiten hinaus verwiesen. Die Bedeutung des Missionspatronates der beiden iberischen Staaten mit seinen positiven wie negativen Wirkungen hat eine gerechte Würdigung gefunden.

Wie die beiden vorausgehenden Bände weist auch dieser nach den einzelnen Abschnitten ein reichhaltiges Literaturverzeichnis auf, ferner sind ihm ebenfalls fünf Register beigefügt über Sachen, Personen und Orte, Konzile, Synoden, Reichstage und andere Versammlungen, über Bullen, Konstitutionen, Enzykliken, Motu Proprien und Dekrete und endlich ein chronologisches Papstverzeichnis.

Dem Autor dürfen wir auch zu diesem Bande gratulieren, und er verdient unseren wärmsten Dank. Wir wollen hoffen, daß der Schlußband möglichst bald erscheinen kann, auf daß endlich einmal eine abgeschlossene Kirchenrechtsgeschichte eines katholischen Autors vorliegt. Wenn heute in der Vorbereitung eines neuen Konzils auch das Kirchenrecht überprüft und den veränderten Verhältnissen angeglichen werden soll, dann kann die Rechtsgeschichte Fingerzeige geben. Wir hegen die Zuversicht, daß die Probleme der heutigen Zeit auch rechtlich gemeistert werden und dabei eine organische Weiterentwicklung gesichert ist. So wird auch bei dieser gewaltigen Aufgabe das vorliegende Werk dienlich sein.

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