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Klarheit & Effektivität

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Da die Wahl zwischen Alternativen, die sich im formellen Wahlakt manifestiert, das Um und Auf der Demokratie darstellt, kommt dem Wahlrecht, das die Bah-menbedingungen der Wahl regelt, aber auch deren Folgen bestimmt, in der Demokratie eine zentrale Bedeutung zu. Für das Wahlrecht gilt wie für andere weichenstellende'Grundelemente der Demokratie der Satz, den Karl Benner schon im alten Österreich und in bezug auf die damals anstehenden Probleme geprägt hat: „Im lieben der Staaten ist die. Weisheit oder Torheit der Institutionen der entscheidende Faktor.”

Die österreichische Bechtsordnung geht vom Verhältniswahlrecht aus, das durch die Wahlrechtsreform Bruno Kreiskys 1970/71 noch insoferne verstärkt wurde, als es den Einzug kleiner Parteien in die gesetzgebenden Körperschaften auf Umwegen erleichtert hat. Die kurzfristige Wirkung dieser Beform, die Gustav E. Kafka schon damals als einen „Schritt in die falsche Bichtung” bezeichnet hat, war eine Begünstigung der FPÖ, die sich wiederum als für das Überleben der ersten SPÖ-Minderheitsre-gierung unentbehrlich erwiesen hat und der SPÖ für den Fall der fehlenden absoluten Mehrheit einen Partner zur Abstützung der Mehrheit und als Koalitionspartner sichern sollte. Die durchgeführte Beform hat die ihr zugedachten Zwecke auch lange Zeit erfüllt, heute ist sie aber nicht für die SPÖ selbst, sondern auch für den Staat insgesamt zu einem Blockierungsmechanismus geworden, der die große Koalition als einzigen politischen Ausweg offenläßt und zum Dauerzustand macht. Damit aber wird die österreichische Demokratie notwendiger Begierungsalternativen beraubt, die aber ebenso zum Wesen der Demokratie gehören wie die Wahl der Parteien, die diese Begierung bilden, selbst.

Seit jeher und heute mehr denn je halte ich das Mehrheitswahlrecht für das gerade den österreichischen Verhältnissen angemessenere, die beiden Großparteien, die mittlerweile zu Mittelparteien geschrumpft sind, hätten es in der Hand gehabt, diese Weichenstellung rechtzeitig vorzuneh-men und so der Demokratie jene ne-gierungsform zu sichern, die die im Hinblick auf die Klarheit der Willensbildung und die Effektivität des Begierens wünschenswerteste ist: die Alleinregierung einer Partei, die durch eine starke Opposition kontrolliert und auch wieder abgelöst wird. Gerade an dieser Ablösbarkeit mangelt es in der österreichischen Demokratie, die in der großen Koalition festgefahren ist und an der die sie bildenden Parteien wie an dem herrschenden Wahlrecht festhalten, weil sie die Macht, wenn es auch, wie im Falle der ÖVP, nur mehr eine immer brüchiger werdende Teil- und Zweitmacht ist, nicht hergeben wollen und keine dieser Parteien bereit erscheint, gelegentlich auch wieder in den sauren Apfel der Opposition, die aber für das Funktionieren einer echten Demokratie unabdingbar ist, zu beißen. Die Änderung des Wahlrechtes in die angegebene Bichtung wäre aber nicht nur für SPÖ und ÖVP ein Weg, sich in Würde zu trennen und auf eine Perspektive des Kommens und Gehens einzustellen, sondern könnte auch für die FPÖ, die am besten Wege ist, stärkste nicht-sozialistische Partei zu werden, akzeptabel, ja vorteilhaft sein. Ja, das Verfassungskonzept der FPÖ, das einen starken Präsidenten und die Stärkung der plebiszitären Gewalt vorsieht und sich an das französische Beispiel anlehnt, setzt sogar das Mehrheitswahlrecht voraus beziehungsweise macht es als Ergänzung notwendig. Dieses Wahlrecht wurde im Frankreich der Fünften Bepublik, aber auch in anderen Ländern, wie in Italien, eingeführt, weil man mit dem Verhältniswahlrecht die Erfahrung der Unregierbarkeit gemacht hat, die auch Österreich droht, wenn alles so weiterläuft wie bisher. Im Gegensatz zum relativen Mehrheitswahlrecht, wie es in Großbritannien zu Hause ist, macht das französische Muster, das auch im alten Österreich vorhanden war, die Erringung der absoluten Mehrheit in einem Wahlkreis erforderlich, so daß es häufig zu zwei Wahlgängen mit einer Stichwahl kommt. Diese Konstruktion gibt auch kleineren Parteien die Möglichkeit, entscheidend in das politische Geschehen einzugreifen und für eine größere politische Mobilität zu sorgen. Im übrigen aber hat sie den Vorteil, auf Begierungsebene Alleinregierungen zum Begelfall und nicht zum Ausnahmefall zu machen. Der Wähler hat unter diesen Vorzeichen eine echte Alternative, während er im Zeichen der großen Koalition nur marginale Verschiebungen herbeizuführen vermag.

Das Verhältniswahlrecht ist ohne Zweifel das gerechtere, aber was hilft eine Gerechtigkeit, die nach dem Grundsatz des fiat iustitia, pereat mun-dus funktioniert? Diese formale Gerechtigkeit ist gegen den Vorteil der Eindeutigkeit der Willensbildung und der Kraft des Begierens abzuwägen, und diese Abwägung fällt meines Erachtens zugunsten der Zweckmäßigkeit aus, die dem Mehrheitswahlrecht eigen ist und die einer starken Begierung, die regiert, und einerstarken Opposition, die wirkungsvoll kontrolliert, zugutekommt.

Hätten sich die beiden großen Parteien, so lange sie noch gleichsam unter sich waren, auf eine solche Lösung geeinigt, hätten wir längst einen mehrmaligen Wechsel der die Begierung bildenden Partei gehabt. Die Dauerherrschaft einer Partei und einer Koalition aber ist der Demokratie nicht nur nicht zuträglich, sie verhindert, daß sich Österreich auf den Normalzustand einer parlamentarischen Demokratie westlichen Zuschnitts einpendelt und die Nachkriegsordnung, die ihre große Zeit gehabt hat, aber längst ihre Grenzen erreicht hat, verläßt.

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