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Klein- und Mittelbetriebe sichern Konjunktur

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Die österreichische Wirtschaft ist durch ein Vorherrschen von Klein- und Mittelbetrieben gekennzeichnet. Eine Tendenz zum Großbetrieb ist in Österreich noch wesentlich weniger festzustellen als in anderen Industriestaaten. Dies ist sowohl auf das relativ kleine Wirtschaftsgebiet, dessen geographische Randlage zu Westeuropa und die verhältnismäßig dünne Besiedlung Österreichs zurückzuführen wie auch auf die Tatsache, daß Österreich historisch der industriellen Entwicklung in Westeuropa mit einigem Abstand folgte. Auch der Zerfall der Donaumonarchie, die Inflation der Jahre nach dem ersten Weltkrieg, die auf diese folgende Wirtschaftskrise, aber auch die wirtschaftlich entscheidungsvolle Standortbeurteilung (Rohstoffvorkommen und Transportwege) waren dem Entstehen starker Großindustrien nicht günstig. Zur Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft wurden in Österreich einige große Werke im Rahmen einer Großraumplanung, die sich sehr schnell als Illusion erwies, projektiert und zum Teil auch gebaut. Einige waren zu Kriegsende erhalten geblieben, andere nur als Torso vorhanden. Heute stellen nicht wenige unserer Großbetriebe, nachdem sie in den Jahren das ungeheuren Nachholbedarfes in der ganzen Welt ausgezeichnet beschäftigt waren, wobei die gewaltige Nachfrage die Kostenfrage völlig überdeckte, für unsere Volkswirtschaft bei dem immer fühlbarer werdenden Preisdiruck auf dem Weltmarkt und Absinken der Ertragslage bedeutungsvolle Strukturprobleme dar.

Die österreichische Privatwirtschaft stützt eich im Bereich der Industrie deshalb vor allem auf Mittelbetriebe, die zum überwiegenden Teil allerdings hoch spezialisiert sind und vielfach auch im Ausland begehrte Qualitätserzeugnisse herstellen. Liegt doch die Stärke der österreichischen Position im internationalen Wettbewerb nicht so sehr in der billigen Herstellung von Massengütern als im Angebot von Qualitätswaren und Spezialpro-dukten, wie auch ein Überblick über die auf der Wiener Frühjahrsmesse ausgestellten Erzeugnisse zeigt.

Die klein- und mittelbetriebliche Struktur der österreichischen Wirtschaft wird weiter dadurch verstärkt, daß in dieser Gewerbe Dienstleistungsbetriebe und Landwirtschaft eine bedeutende Rolle spielen. Der Gewerbebetrieb wurde in Österreich nie in dem Maße von der Industrie verdrängt, wie dies in Deutschland oder den Vereinigten Staaten seinerzeit der Fall war. Auch setzte diese Entwicklung in unserem Lande später ein, während sich bereits allmählich, wie es auch in anderen Ländern schon früher feststellbar war, ihre Umkehr anbahnt, da es der erhöhte Lebensstandard den Konsumenten erlaubt, das relativ billige industrielle Massenprodukt durch das den individuellen Bedürfnissen und Anforderungen vielfach besser entsprechende gewerbliche Qualitätserzeugnis zu ersetzen. Abgesehen davon entstanden z. B. gerade in den letzten Jahren, wie später noch ausgeführt wird, zahlreiche neue Möglichkeiten für gewerbebetriebliche Existenzen. Im Handel führt die, mit Ausnahme von Wien, breite geographische Streuung der Bevölkerung und das Vorherrschen von Klein- und Mittelstädten sowie das Verlangen der Konsumenten nach Qualitätserzeugnissen und individueller Betreuung ebenfalls zu einer klein- und mittelbetrieblichen Unternehmens-struktur, allenfalls zum Zusammenschluß dieser Betriebe zu freiwilligen Ketten, während das Großkaufhaus viel weniger in Erscheinung tritt als in westlichen Großstädten. Auch in der Landwirtschaft herrscht der Klein- und Mittelbetrieb auf Grund des alpinen Charakters des überwiegenden Teiles des österreichischen Wirtschaftsgebietes vor.

Sieht man vom verstaatlichten Sektor ab, so bestimmt die Entwicklung der österreichischen Klein- und Mittelbetriebe überwiegend nicht nur das Wachstum der Industrieproduktion, sondern auch die Gestaltung des Exportes und den Verlauf der Konjunktur. Dies gilt um so mehr, wenn man die Größe der Unternehmungen mit internationalen Maßstäben mißt, also in Betracht zieht, daß auch große österreichische Unternehmungen, international gesehen, die Bedeutung eines Mittelbetriebes nur selten überschreiten. Eine Wirtschaftspolitik, die darauf abzielt, vor allem den Klein- und Mittelbetrieb zu sichern und zu fördern, ist deshalb auch am besten geeignet, die Konjunktur zu stabilisieren und auf Dauer die internationale Konkurrenzfähigkeit der österreichischen Wirtschaft zu sichern. Diese Bestrebungen kommen überdies auch dem Bemühen entgegen, die österreichische Wirtschaft auf eine möglichst breite Grundlage weit gestreuten Privateigentums zu stellen.

Die Alternative, hoher Lebensstandard durch industrielle Massenproduktion und entpersönlichte Industriegesellscbaft oder Gewerberomantik in Armut, stellt deshalb insbesondere für Österreich ein typisch falsches Problem! Daß wir hier nicht zu wählen haben, sondern daß das sozial Wünschenswerte dem unter Produktivitätsgesichtspunkten Richtigen weitgehend entspricht, zeigt sich auch an der großen Bedeutung des Fremdenverkehrs und des Dienstleistungssektors im allgemeinen. Auch bietet der relativ hohe Bildungsstand der österreichischen Bevölkerung die Grundlage für eine Vermehrung frei schaffender Existenzen. Gerade weil unsere Wirtschaftspolitik die sich hier bietenden Chancen nur ungenügend nützt, muß man ja die starke Abwanderung qualifizierter Arbeitskräfte ins Ausland beklagen.

Doch auch am gewerblichen und industriellen Sektor bliebe noch viel zu tun, wollte man der Struktur und den Entwicklungschancen der österreichischen Wirtschaft gerecht werden. Die österreichischen Klein- und Mittelbetriebe leiden unter einer Reihe von Nachteilen teilweise künstlicher Art. Die die vertikale Konzentration fördernde Wirkung der Allphasen-Umsatzbesteuerung ist nur eine unter vielen berechtigten Klagen. Nachteile für kleinere Unternehmungen ergeben sich aus der Organschaf tsregel, der Praxis der Vergabe öffentlicher Aufträge und aus der zu wenig differenzierten steuerlichen Behandlung des nicht entnommenen Gewinnes. Auch auf sozialpolitischem Gebiet geraten die Klein- und Mittelbetriebe oft in den Sog der Lohn-, Gehalts- und Rahmenkollektivvertragsvereinbarungen der Großbetriebe, die sich zum Teil in speziell ausgezeichneter Beschäftigungslage (oft geringer Exportabhängigkeit) befinden, zum Teil besonders kapitalintensiv sind oder politisch geführt werden. Bei ihnen herrscht daher vielfach eine ganz andere Konjunkturlage; sie haben auch mehr und realere Möglichkeiten, neue Kosten aufzufangen bzw. finanziell abzudecken.

Die klein- und mittelbetriebliche Wirtschaft steht der Ausdehnung der verstaatlichten Unternehmungen in den Sparten der Finalindustrie nicht deshalb ablehnend gegenüber, weil sie eine Leistungskonkurrenz fürchtet, sondern weil ihr u. a. nicht zugemutet werden kann, mit Großunternehmungen zu konkurrieren, die in der Umsatzbesteueirung und beim Vermögenstransfer zwischen einzelnen Unternehmensteilen begünstigt werden, die ihre Investitionen, wie nicht wenige Beispiele beweisen, weitgehend aus Steuermitteln vornehmen können und bei denen das unternehmerische Risiko bzw. die Verluste, wie e sich in letzter Zeit öfters zeigte, schließlich vom Staatshaushalt getragen werden. Es wäre unvernünftig, dagegen aufzutreten, daß verstaatlichte Betriebe die Erzeugung von Fertigprodukten aufnehmen, die in Österreich noch nicht hergestellt werden und in das Erzeugungsprogramm des betreffenden Großbetriebes passen. Es muß aber vom gesamtwirtschaftlichen Standpunkt aus abgelehnt werden und widerspricht jeder vernünftigen wirtschaftlichen Planung, wenn verstaatlichte Betriebe die Erzeugung von Finalprodukten womöglich unter Inanspruchnahme von Steuermitteln aufnehmen, die bereits in ausreichendem Maße von privaten Betrieben hergestellt werden, die über einen entsprechenden Maschinenpark, langjährig qualifizierten Mitarbeiterstalb, ausgezeichnete Branchenkenntnisse und, sofern es sich um Exportbetriebe handelt, über langjährige Weltmarkterfahrungen und -Verbindungen verfügen. In solchen Fällen käme es, abgesehen von einem Konkurrenzkampf zweier Firmen mit ungleichen Start- und Wettbewerbsbedingungen, doch zu volkswirtschaftlich unvertretbaren Doppelinvestitionen und der Gefährdung der Existenz besonders bewährter Fachkräfte.

Hat man sich jedoch einmal zu der Erkenntnis durchgerungen, daß eine günstige Entwicklung der Klein- und Mittelbetriebe ein entscheidendes Fundament des wirtschaftlichen Wohlstandes in Österreich bildet, dann müßten dieser Erkenntnis auch die entsprechenden Taten folgen. Das System der Zuliefer- un'd Subbetriebe, wie es eich in Deutschland und den Vereinigten Staaten entwickelt hat, bietet für die Existenzsiche-rung kleinerer Unternehmungen noch viele Chancen, die auch in Österreich in wesentlich erhöhtem Maße genützt werden sollte. Die Großbetriebe könnten in ihren Produktionsprogrammen entlastet werden und sich wirklich auf die industrielle Massenfertigung spezialisieren. Nicht wenige Kleinbetriebe könnten dadurch auch die Vorteile der Massenproduktion nützen, indem sie in Großserien Teilerzeugnisse herstellen, wobei in diesen Kleinbetrieben die Vorteile von wesentlich geringeren allgemeinen Regien (geringere Verwaltangiskosten) sich auf die Preis- und Ertragslage besonders günstig auswirkten. Der fruchtbaren Arbeit der Wirt-schaftsföMerungsinsrtatute durch Beratung und Schulung. Informationen über die modernsten Werkzeugmaschinen usw. zur Rationalisierung der Betriebe beizutragen, kann nicht genug Bedeutung für die Erhaltung und Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der Klein- und Mittelbetriebe zuerkannt werden.

Mit der Entwicklung der technischen Zivilisation steigt überdies der Bedarf an Reparatur- und Serviceunternehmungen, die den Klein- und Mittelbetrieben neue Erwerbsmöglichkeiten bieten. Man sieht also, daß sich den mittelständischen Betrieben zweifellos erhebliche neue Existenzmöglichkeiten für die Zukunft eröffnen. Allerdings müßte man die gesetzlichen Grundlagen für eine günstige Entwicklung der Klein- und Mittelbetriebe Waffen. Vor allem fehlt es ihnen heute an einer ausreichenden Kapitaldecke. Sowohl die Fremd- wie die Eigenfinanzierung müßte deshalb um Möglichkeiten bereichert werden, die insbesondere auch von Klein- und Mittelbetrieben genützt werden können. In der Kreditpolitik wäre darauf Bedacht zu nehmen, daß auch kleinere Kreditnehmer in ausreichendem Maße Bankkredite zu tragbaren Kreditkosten erhalten und daß das Volumen dieser Kredite nicht allzusehr zugunsten der Finanzierung der öffentlichen Hand künstlich beschränkt wird. Für die Selbstfinanzierung wäre insbesondere die Gewährung einer steuerfreien Investitionsrücklage notwendig, durch die es auch kleineren Unternehmungen leichter möglich wäre, Investitionismittel anzusammeln, das Ausmaß der Vorfinanzierung durch Bankkredite zu vermindern und hinsichtlich des Zeitpunktes der Investitionen unabhängiger zu werden. Die schon erwähnte steuerlich differenzierte Behandlung des nicht entnommenen Gewinnes würde entscheidend die Kapitalausstattung der einzelnen Betriebe verbessern. Auf steuerlichem Gebiet sind schon seit längerem weitere wichtige Forderungen angemeldet, denen endlich entsprochen werden sollte. Es sei hiezu unter anderem erwähnt: die Anpassung der Freigrenzen und Freibeträge an die Geldwertentwicklung, die Vereinfachung der Gewerbe-und I/jhnsteuerverrechnung, wobei gleichzeitig an die Vereinfachung der Abrechnung der Sozäalversicherungsbeiträge geschritten werden sollte usw... Dort, wo Mittelbetriebe eine Größe erreicht haben, die eine Umwandlung in eine juristische Person verlangt, sollte diese gerade jetzt im Zusammenhang mit der Assoziierung Österreichs an den größeren europäischen Markt Steuer- und gebührenfrei gestellt werden. Daß die Milderung des Körperschaftssteuertarifes und die Abschaffung der Doppelbesteuerung der Aktien endlich in Angriff genommen werden sollte, ist ein Anliegen der gesamten österreichischen Wirtschaft.

Wie die Erfolge österreichischer Unternehmungen im Ausland und ihr Angebot auf der Wiener Frühjahrsmesse zeigen, ist die österreichische Wirtschaft auch im Ausland durchaus konkurrenzfähig. Damit sie in dem immer härter werdenden internaitionalen Wettbewerb allerdings auf die Dauer bestehen kann, sollte sie von allen künstlichen und willkürlichen Lasten befreit werden. Inisbesondere dürfte die Belastung österreichischer Unternehmungen durch Steuern, Gebühren, Tarife und Sozialleistungen nicht stärker ansteigen als im vergleichbaren Ausland. Exportrisikogarantien und Exportkredite mit entsprechend langen Laufzeiten müßten den Nachteil, den relativ finanzschwache Inlandfirmen gegenüber ausländischen Großkonzernen insbesondere im Überseegeschäft zu tragen haben, ausgleichen. Am heimischen Markt hingegeil wird man bei Wettbewerbsgleichheit die Konkurrenz mit dem Ausland nicht scheuen müssen, wobei es natürlich da und dort zu Härten kommen wird. Es ist allerdings vorauszusetzen, daß einem Machtmißbrauch durch ausländische Großunternehmen, insbesondere einem ausländischen Dumping beim Import nach Österreich wirksam vorgebeugt wird. Die derzeitigen Anti-Dumping-Bestimmungen sind in keiner Weise ausreichend! Die österreichischen Klein- und Mittelbetriebe bejahen die europäische Wirtschaftsintegration. Sie fordern nur zur Europareife dringendst die seit langem fälligen wirtschafts- und steuerpolitischen Maßnahmen und Gesetze. Sie fühlen sich unter Erfüllung der vorgenannten Forderungen der europäischen Integration gewachsen und erhoffen sich bessere Entwicklungsmöglichkeiten auf dem europäischen Großmarkt als jene, die ein nationaler Protektionismus, der letztlich in eine ausweglose, die persönliche Freiheit gefährdende Isolation führen würde, bieten könnte.

Die Erhaltung und Förderung der österreichischen Klein- und Mittelbetriebe ist ein wirksames Mittel, nicht nur um wirtschaftliche, sondern vor allem auch um politische Eigenverantwortlichkeit zu wecken und zu stärken. Ermöglicht sie doch eine breitere Streuung des Privateigentums an Produktionsmitteln, schafft Naheigentum und wirkt den in einer Induistriegesellschaft auftretenden ungesunden Konzentrationistendenzen — wirtschaftlichen Machtballungen — entgegen. Klein- und Mittelbetriebe tragen auch dazu bei, soziale Spannungen zu vermindern, weil in einer von ihnen gekennzeichneten Wirtschaft Einkommensunterschiede nicht allzustark zutage treten, zwischen Unternehmer und Arbeitnehmer ein intensiveres Nahverhältnis besteht, Leistung und Erfolg augenfälliger miteinander verbunden sind und von dem verbesserten sozialen Klima eine Erhöhung der politischen Stabilität erwartet werden kann. Auch gegenüber Konjunktur-und Absatzschwankungen sind Klein- und Mittelbetriebe unempfindlicher, weil sie sich an Konsumentwicklung und Konjunkturlage schneller und elastischer anpassen können.

Daß die Entwicklung der österreichischen mittelständischen Wirtschaft zu berechtigten wirtschaftlichen Hoffnungen Anlaß gibt, zeigt nicht zuletzt die Leistungsschau auf der Wiener Messe. Dieser Tatsache sollte auch in der Wirtschaftspolitik verstärkt Rechnung getragen werden. Die Sozialpolitik müßte in erhöhtem Maße die realen Möglichkeiten der Klein- und Mittelbetriebe berücksichtigen. Auch in der Lohnpolitik sollte man sich endlieh der Tatsache bewußt sein, daß nur jenes Sozialprodukt verteilt werden kann, welches produziert wurde, wobei man ja nicht auf die Berücksichtigung der notwendigen Investitionen vergessen darf. Dauerhafter sozialer Wohlstand, den wir alle anstreben, muß eben erarbeitet werden, setzt eine florierende Wirtschaft und diese eine sachliche, konzeptvolle Wirtschafts-, Budget-, Finanz- und realistische Sozialpolitik voraus. Niemals aber sollte man sich der Täuschung hingeben, die österreichische Wirtschaft könne auch ohne ihre Klein- und Mittelbetriebe prosperieren. Ernstliche Schwierigkeiten im mittelständischen Bereich der österreichischen Wirtschaft würden die gesamte Wirtschaft in schwerste Mitleidenschaft ziehen und schwerwiegende politische Folgen, die Freiheit des einzelnen Staatsbürgers betreffend, mit sich bringen. Die unübersehbaren Leistungen der Klein-und Mittelbetriebe sollten auch den Trägern der staatlichen Wirtschaftspolitik mahnend ins Bewußtsein rufen, daß ein wichtiger Sektor der Volkswirtschaft, daß eine für jede gesunde Gesellschaftsstruktur bedeutsame Bevölkerungsschichte darauf harrt, seine gerechten Anliegen entsprechend berücksichtigt zu sehen.

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