Knapp an der Realität vorbei

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Während Bundeskanzler Wolfgang Schüssel eine 20-prozentige Akademikerquote anvisiert, träumt die neue ÖH-Führung vom Ende der Studiengebühren. Werden die Hohen Schulen zur Spielwiese für Utopisten?

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Während Bundeskanzler Wolfgang Schüssel eine 20-prozentige Akademikerquote anvisiert, träumt die neue ÖH-Führung vom Ende der Studiengebühren. Werden die Hohen Schulen zur Spielwiese für Utopisten?

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Seien wir realistisch - verlangen wir das Unmögliche." Was die Ikone aller Revolutionäre, Che Guevara, in den sechziger Jahren als Leitspruch auserkor, feiert ein - wenn auch nuanciertes - Comeback: "Bleiben wir realis-tisch, ohne Boykott läuft gar nichts!" Rechtzeitig vor den ÖH-Wahlen hatte der Kommunistische StudentInnen Verband (KSV) alle revolutionären Kräfte mobilisiert und zur Zahlungsverweigerung der Studiengebühren aufgerufen. Statt an die Universität sollten die 5.000 Schilling auf ein Treuhandkonto fließen. Wäh-rend sich die sozialistischen Studierenden (VSStÖ) noch zierten, waren die Grün-Alternativen StudentInnen (GRAS) von der Idee durchaus angetan.

Was noch vor einer Woche als aktionistische Schwärmerei gegolten hat, bekommt angesichts des Ergebnisses der ÖH-Wahl eine neue Dimension: Obwohl mit 15 Mandaten noch immer stimmenstärkste Fraktion, hat die ÖVP-nahe AktionsGemeinschaft zum zweiten Mal in der Nachkriegszeit den ÖH-Vorsitz verloren und - so Spitzenkandidat Ulrich Höller - "als erste Gruppe für die Studiengebühren bezahlt". GRAS und VSStÖ dagegen konnten das Protestpotential nutzen und erreichten mit 23 Mandaten eine knappe Mehrheit in der Bundesvertretung. Auch der KSV werde noch an Bord geholt, kündigten die zwei Fraktionen im Siegestaumel an.

Man muss kein Politologe sein, um für den Ausgang dieser Wahl weniger die Arbeit der AG als die Regierung verantwortlich zu machen. Man muss auch nicht Peter Wes-tenthaler heißen, um die katastrophale Wahlbeteiligung von knapp 28 Prozent bedenklich zu finden. (Wobei es ebenso bedenklich ist, diese Zahl als Gradmesser für das Interesse der tatsächlich Studierenden heranzuziehen: zu viele Karteileichen haben sich in die Inskriptionsregister verirrt.) Man muss jedoch das Demokratieverständnis eines Peter Wes-tenthaler besitzen, um auf Grund der niedrigen Beteiligung sogleich für die Abschaffung der missliebigen Hochschülerschaft zu plädieren.

Gerade in Zeiten der Universitätsreform ist eine engagierte ÖH nötiger denn je. Als Interessenvertretung ist sie jedoch gut beraten, sich nicht allein auf Servicedienste zu beschränken. Noch viel weniger steht ihr Kampf-Rhetorik zu Gesicht: Als "linke Exekutive" die (Partei-)Politisierung der Hochschülerschaft voranzutreiben und - wie die potenzielle neue ÖH-Chefin Anita Weinberger (GRAS) - das Ende der "Kaffeekränzchen" mit Bildungsministerin Elisabeth Gehrer auszurufen, schadet der ÖH-Führung mehr, als es ihr (kurzfristig) nützt. So schwer der Frust über die Hau-Ruck-Einführung der Studiengebühren wiegt: Auf deren Rücknahme zu hoffen ist Utopie.

Nur bedingt realistisch ist auch die Hoffnung der Hochschullehrergewerkschaft, mit einem Warnstreik am 29. Mai das geplante Uni-Dienstrecht zu Fall zu bringen, sollte die "letzte" Verhandlungsrunde dieser Tage scheitern. Wie schon bei den Protesten im März sind die Erfolgschancen gering. Grund zum Ärger haben die Universitätsbediensteten jedoch allemal: Ganze drei Wochen lang konnten sie die Novelle zum leistungsbezogenen Dienstrecht studieren; nach wie vor ist ungeklärt, ob für jene 1.500 "Assistenten in Ausbildung", die sich in Zukunft nach vier Jahren für die Stelle eines Universitätsassis-tenten bewerben müssen, auch entsprechende Dienstposten zur Verfügung stehen; auch die Stellung notwendiger "System-erhalter" im Universitätsbetrieb ist ungeklärt.

Mitten in Dienstrechtsdebatten und ÖH-Wahlen platzte indes eine Vision der etwas anderen Art: Bis 2010 solle die Akademikerquote - seit jeher bildungspolitisches Sorgenkind - auf 20 Prozent emporschnellen, verkündete Wolfgang Schüssel in seiner "Rede zur Lage der Nation". Der Wunsch des Kanzlers ist durchaus verständlich: Nur acht Prozent der österreichischen Erwerbsbevölkerung über 25 Jahren können ein abgeschlossenes Hochschulstudium vorweisen - gegenüber 16 Prozent in Deutschland und 29 Prozent in den USA. Die Statistik taugt jedoch nur bedingt zum Vergleich. So ist etwa die Pflichtschullehrerausbildung hierzulande im nichtuniversitären Bereich angesiedelt. Auch das rare Angebot an Kurzstudien schlägt sich in der Statistik nieder. Erst im Herbst wird mit 17 neuen Bakkalaureatsstudien, zusätzlich zu den zwei vorhandenen, gerechnet.

Der Hochschulbereich selbst ist also schmal. Fasst man jedoch den gesamten tertiären Sektor zusammen, sieht die Welt - mit elf Prozent - schon besser aus. Bis zu den vom Kanzler angeträumten 20 Prozent ist es dennoch weit. Zu weit, bekräftigt ein Beamter des Bildungsministeriums gegenüber der furche: "Das ist schon rein rechnerisch unmöglich, auch wenn 100 Prozent eines Jahrgangs studieren." Ob das Inte-resse an den Universitäten trotz Studiengebühren und Sparmaßnahmen jedoch steigen wird, bleibt abzuwarten.

Universitäre Visionen treiben auch den Präsidenten der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Werner Welzig, herum. Während er einerseits vor der Frage nach der wirtschaftlichen "Hebelwirkung" von Wissenschaft warnt, plädiert er andererseits dafür, den Sinn von vier katholisch-theologischen Fakultäten zu hinterfragen (siehe Seite 7). Dass dieser Vorstoß wegen "geringen Rationalisierungsbedarfs" ohnehin zur Utopie verdammt ist, tut seinem Eifer keinen Abbruch.

Mit rascher Realisierung ist dagegen beim Projekt "Studieren ohne Grenzen" zu rechnen. Bachelor in Wien, Master in Madrid und Doktorat in Rom könnten bald mehr sein als Schimäre. Solcherlei Visionen ließen sich wohl auch Parade-Utopisten wie Che Guevara gern gefallen.

P.b.b. - Aufgabepostamt 8020 Graz - Verlagspostamt 1010 Wien, 01Z020862K

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