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Kritische Eltern, überforderte Lehrer

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Im „Riesenkonzern Schule" sei so ein neues Leitbild einfach notwendig, meinen die Gewerkschafter. In Deutschland, der Schweiz und in Dänemark seien ähnliche Diskussionen bereits erfolgreich angelaufen, sagen sie und hoffen, daß bis zum Herbst dieses Jahres das neue „Lehrer-Leitbild" ausdiskutiert ist und formal wirksam werden kann. Man läßt sich die Initiative einiges kosten und hat mit dem Entwurf eigens ein Institut für Unternehmensberatung beauftragt. Auf zehn Seiten enthält das Lehrerpapier „Realität und wünschenswerte Weiterentwicklungen". FURCHE-Mitar-beiterin Angela Thierry sprach mit dem stellvertretenden Vorsitzenden der Bundessektion Pflichtschullehrer in der GÖD, Walter Riegler, über den Sinn eines solchen Leitbildes.

dieFurche: Warum gerade jetzt ein Lehrer-Leitbild?

Walter Riegler: Die Idee zu einem Leitbild kommt eigentlich aus der Wirtschaft. Es gibt viele große Unternehmen, die sich selbst ein Leitbild verordnet haben. Es soll im großen Rahmen ein Unternehmen beschreiben und seine Ziele transparent machen. Lehrer wollen das auch. Sie wollen ihre Leistungen „besser verkaufen".

dieFurche: Geht man davon aus, daß der Beruf des Lehrers in der Öffentlichkeit eine schlechte bis gar keine Akzeptanz hat?

Riegler: Ja, sicher. Aber man muß hier auch unterscheiden können: Eine OECD-Studie hat im Vorjahr ausgewiesen, daß der Lehrerberuf in Österreich bei der Bevölkerung eine hohe Akzeptanz hat. Diese Akzeptanz ist aber keinesfalls in den Medien zu finden. Nach wie vor werden Klischees von zu viel Freizeit, von zu langen Ferien oft und gerne breitgetreten.

dieFurche: Wie hat sich das Bild des Lehrers in den letzten Jahren und Jahrzehnten gewandelt?

Riegler: Früher hat der Lehrer das Image einer anerkannten Autoritätsperson gehabt, das wurde gar nicht in Frage gestellt. Es gab hiefür auch jede Unterstützung durch das Elternhaus. Diese Autorität war sozusagen amtsgegeben.

Durch gesetzliche und gesellschaftspolitische Maßnahmen hat es hier große Veränderungen gegeben. Der Lehrer muß heute auch den Eltern gegenüber viel mehr Transparenz zeigen als früher.

dieFurche: Welche Probleme belasten Lehrer heute am meisten?

Riegler: Der Unterricht ist heute in seiner Vorbereitung und Präsentation um vieles aufwendiger geworden. Kinder und Eltern sind heute kritischer als früher und hinterfragen vieles. Es sind auch die Kinder heute anders. Die vielfältigen Umwelteinflüsse haben sie unruhiger und konzentrationsschwächer gemacht. Das bedeutet auch für den Lehrer, daß er in seinen Unterrichtsformen rascher und wendiger werden muß, um die Motivation der Schüler zu erhalten. Für den Lehrer bedeutet das mehr Anstrengung.

Ältere Lehrer haben nicht nur damit, sondern auch mit dem ständig steigenden Lärmpegel in Schulen Probleme. So gibt es viele Kollegen, die schon sehr lange im Schulbetrieb sind, die Abnützungserscheinungen und das vielzitierte „Burn-Out-Syn-drom" haben.

dieFurche: Warum ist ein Umstieg in einen anderen Beruf so schwierig?

Riegler: Unsere Ausbildung ist die von Spezialisten. Das heißt, daß wir in jedem anderen Beruf blutige Anfänger sind.

dieFurche: Wenn aber Berufsaussichten und Berufspraxis schwierig sind, warum bastelt man dann an einem „Leitbild"? Werbung für einen Problemberuf was hat das für einen Sinn?

Riegler: Das Leitbild ist eine Werbung um Verständnis. Der Leidensdruck, der bei Lehrern zu orten ist, hat seine Wurzeln darin, daß sich der Lehrer von der Gesellschaft mißverstanden und nicht anerkannt fühlt. Natürlich soll das Leitbild auch verdeutlichen, was Bildung leistet. Die Gesellschaft sollte auch bei sich selbst nachfragen, was sie von „Bildung" eigentlich will, sie hat - als Financier dieser Bildung - auch ein Anrecht darauf, hier mitzureden.

Der Rohentwurf dieses Leitbildes geht ja nicht nur österreichweit an alle Lehrer, sondern auch an die Elternvereine, an die Dachverbände, an Repräsentanten aus Wirtschaft und Politik. Jeder, der mitreden will, kann dies auch tun und ist dazu aufgefordert. Die Gewerkschaft wünscht sich, daß die Diskussion um das neue Lehrer-Leitbild auf möglichst breiter Basis geführt wird und neben den Lehrern auch Eltern und Schüler miteingeschlossen werden.

dieFurche: Im neuen „Lehrer-Leitbild" wird angeführt, daß die Lehrerarbeitszeit durchaus der Arbeitszeit anderer Arbeitnehmer entspricht und daß sich Lehrer durchaus „zur Beurteilung der eigenen Leistung bekennt" und sich verpflichtet fühlen „sich selbst laufend weiterzubilden".

Riegler: Wenn der Lehrer seinen Beruf ernst nimmt - und ich gehe davon aus, daß dies größtenteils der Fall ist -so sind diese Feststellungen zutreffend und ernst zu nehmen. Es gibt auch Lehrer die ihre Aufgabe so ernst nehmen, daß die Arbeitszeit anderer Berufe sogar überschritten wird. Längere Ferien sind da vielleicht auch kompensatorische Ausgleichszeiten. Die nervliche Überlastung darf in diesem Zusammenhang sicher auch nicht ganz außer acht gelassen werden.

Direktor Hermann Helm, Vorsitzender der Bundessektion der Pflichtschullehrer und geistiger Vater des Leitbilds, will dieses aber absolut nicht als Reaktion auf diverse bud-getäre Sparpläne der Regierung gewertet sehen. Es soll auch keinesfalls die Grundlage für Arbeitszeit- oder Budgetdebatten sein. Helm wünscht sich eine rege Beteiligung an der Diskussion auch seitens der Institutionen wie Bundeskanzleramt, Unterrichtsund Finanzministerium.

Die Autorin ist

freie Mitarbeiterin der FllRCHK

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