7116953-1996_19_06.jpg
Digital In Arbeit

Kücken im Stacheldraht

Werbung
Werbung
Werbung

Die Frage ist natürlich rein rhetorisch. Denn die meisten unserer Universitäten sind älter als die meisten anderen Institutionen unserer Republik. Sie sind uralten menschlichen Anliegen verpflichtet. Sie sind Überlebensinstitutionen. Trotzdem muß man wiederholen: Politik und Öffentlichkeit waren an den Universitäten nie sehr interessiert. Es besteht eine Tradition der Vernachlässigung, vor allem in der Diskussion. Die Forschung wird seit eh und je zu wenig dotiert. Die geringen Forschungsmittel werden von zu vielen Stellen verzettelt. Die Grundausstattung an den Unis ist sehr unterschiedlich.

Die Überlast an Studierenden ist zur Dauerlast geworden. Sie wird noch größer werden. Bald stehen 9.500 hauptberuflichen Universitätslehrern 250.000 Studierende gegenüber. Bald kommen 200.000 Absolventen der Unis dazu, die Weiterbildung verlangen. Auf allen Schulstufen werden die zahlenmäßigen Verhältnisse von Lehrern und Schülern diskutiert und maximale Größen festgelegt. Auf der Universitätsebene war und ist davon nicht die Rede.

Der Schweizer Politologe Alois Ri-klin stellte schon vor langem fest: „Die Folgen sind verheerend. Ein massiver Qualitätseinbruch, die Vergiftung des sozialen Klimas, die Züchtung einer Ellbogengesellschaft, die Förderung des Rechts des Stärkeren. Eigentlich sollten wir landauf, landab alle Heizungsröhren schlagen und ,Ala-arm' schreien, damit Politiker und Bürger den Ernst der Lage erkennen."

Der ehemalige Präsident des deutschen Wissenschaftsrates Dieter Simon hat die Stationen der deutschen Hochschulpolitik umschrieben: „Öffnen, offenhalten, wegsehen". In Österreich ist die „Zuschauerpolitik" seit der Öffnung der Universitäten zu einer Tradition geworden. Das Zuschauen bedeutet ein Wegsehen. Immerhin, die Lehre wird reformiert. Sie wird neu strukturiert. Die Mehrstufigkeit des Studienrechts wird reduziert. Internationalität und Qualität müssen aber dabei erhalten, ja zugunsten unserer Studierenden verbessert werden. Ihre gesamtgesellschaftliche Lage wird immer schwieriger. Grund genug, uns mehr und

besser für sie zu engagieren.

Die Universitäten haben eine Lili-put-Autonomie. Sie ähneln gerade aus dem Ei gekrochenen Kücken, die sich in einem Nest von Stacheldraht bewegen müssen. Wenn man sich in den Freiräumen bewegt, verletzt man sich leicht am Stacheldraht der Verwaltungsvorschriften.

Der Chef der Beamtengewerkschaft Siegfried Dohr hat das Problem jüngst hervorgehoben: Die Unis haben auf der einen Seite Freiräume, sind aber demgegenüber an eine Fülle von anderen Vorschriften gebunden (Haushaltsrecht, Buchhaltungsrecht, Besoldungsrecht, Dienstrecht, Beschaffungsrecht, Bau- und Hausverwaltungsrecht und so weiter).

Das Forschungs-, Unterrichts-, Studien- und Prüfungsrecht selbst ist keineswegs so frei, wie man glaubt. Trotz Beweglichkeit im einzelnen und kleinen besteht Unbeweglichkeit im großen und ganzen. Dohr stellt fest: „Diese de facto nur beschränkte Autonomie macht die Sache manchmal recht kompliziert." Dazu kommen Ungleichheiten in Einrichtung, Ausstattung, Raum und Zeit. Ungleichheiten bestehen auch zwischen und in den Gruppen der Universitätsangehörigen. So erbringen zum Beispiel ein Ordinarius und ein habilitierter Oberassistent oft die gleiche Leistung, haben aber dafür unterschiedliche Behandlung auf fast allen Gebieten des Hochschulrechts.

Die Jährlichkeit des Budgets macht das an sich starre System unbeweglich, die Möglichkeit des Wechseins zwischen Sach- und Personalaufwand

sind beschränkt, jedes Geld hat sein Mascherl. Deshalb erwarten die Universitäten mehr Autonomie in der Organisation, in Finanz-, Personal- und Verwaltungsangelegenheiten. Ansonsten ist gerade die Verwaltung der Unis zu wenig motiviert.

Und wenn die Probleme unserer Forscher, Lehrer und Studierenden von Politik und Wirtschaft heute ernster genommen werden als früher, so muß das auch für die Probleme der anderen Bediensteten gelten, die in der kompliziertesten Verwaltungseinrichtung des Bundes mit all diesen Widersprüchen im Alltag arbeiten müssen. Über sie wurde wenig in den Massenmedien berichtet. Auch für sie ist vielfach Überlast zur Dauerlast geworden.

Politik, Wirtschaft und Öffentlichkeit waren an den Universitäten zu wenig interessiert und haben sich zu wenig informiert. Eine Durchsicht aller österreichischen Begierungserklärungen auf Bundes- und Landesebene ergibt dies ebenso wie eine differenzierte Sicht der Budget- und Stellenpläne. Das ergibt aber auch eine Durchsicht der Massenmedien, welche selten auf die sachlichen und personellen Erfordernisse im Vergleich zu anderen Schultypen und im Vergleich zum Ausland reflektiert haben. Nicht selten ging man nicht von den Tatsachen aus, sondern von bestimmten Vorurteilen über Wesen und Wert der Hohen Schulen.

Vielleicht wird 1996 das erste Jahr sein, in dem monatelang über die Universitäten in Politik, Wirtschaft und Öffentlichkeit diskutiert wird. Das wäre gut so.

Der Autor ist

Prorektor der Universität für Bodenkultur in Wien.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung