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„Kulturelles Kapital aktivieren“

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In seinem Aufsatz „Richtlinien für ein Kulturamt“ sagt Adolf Loos: „Eines nur lähmt die Schaffenskraft des Künstlers: die Bevorzugung des Nichtkünstlers durch die Autorität und das ihr folgende Triumphgeheul der urteilslosen Menge, in dem die Stimme des Künstlers erstickt.“ Diese Worte erhellen schlagartig die Problematik des Verhältnisses von Staat und Künstler. Heftiger als anderswo meldet hier der einzelne seinen Anspruch auf eine Ausnahmestellung an, und schwerer als anderswo läßt sich diese Ausnahmestellung rechtfertigen. Da die Kunst in ihrer Aussage

senschaft fördern, der bloß nachvollzieht, was andere bereits entdeckt oder erforscht haben? Auch in der Kunst kann nicht die Abwandlung bereits vorhandener Ausdrucksformen, sondern nur die Originalität der Leistung zum Kriterium staatlicher Förderung gemacht werden. Das Bekenntnis zur originellen künstlerischen Leistung muß als oberster Grundsatz unserer Kulturpolitik betrachtet werden.

Es ist ein Bekenntnis, das Mut und Weitblick erfordert, weil das Neue, Unbekannte und Ungewohnte zunächst immer auf Kritik und Verständnislosigkeit stößt.

subjektiv ist und sich einer Schematisierung ebenso entzieht wie einer absoluten Wertbestimmung, erhebt sich die Kernfrage aller staatlichen Förderung: Nach welchen Kriterien soll subventioniert werden? Warum sollen gewisse Künstler mehr Anrecht auf eine Förderung haben als andere? Warum soll die Allgemeinheit überhaupt helfend eingreifen, obwohl sie — nach weitverbreiteter Auffassung — keinen praktischen Nutzen davon hat? Die Wissenschaft hat es leichter. Sie ist unbestrittener Motor des Fortschrittes. Ihre Ergebnisse lassen sich in technische Neuerungen umsetzen. Der technische Fortschritt wird zum überzeugenden Argument für die wissenschaftliche Forschung. Dieses Argument läßt sich für die Kunst nicht ins Treffen führen. Sie begleitet den Menschen durch seine Geschichte als Ausdruck seines Selbstverständnisses. Das Menschenbild einer Zeit spiegelt sich am klarsten und eindringlichsten in der Kunst dieser Zeit. Das Menschenbild unserer Zeit spiegelt sich am klarsten und eindringlichsten in der Kunst unserer Zeit' Wie der Wissenschaftler an den Grenzen unseres Wissens steht, so steht der Künstler an den Grenzen unseres Selbstverständnisses. Beiden ist aufgegeben, die Umwelt zu verändern und zu prägen. Diese Aufgaben zu ermöglichen, ist die oberste Pflicht jedes Gemeinwesens. Dieses Gemeinwesen hat die Formel zu finden, die den optimalen Erfolg, seiner Förderung gewährleistet. Von seiner grundsätzlichen Entscheidung wird es abhängen, ob die aufgewendeten Gelder der kulturellen Entwicklung zugute kommen und das kulturelle Leben befruchten oder bloß einen Pseudokulturbetrieb künstlich am Leben erhalten. Wieder sei der Vergleich mit der Wissenschaft gestattet. Wer würde einen Wissenschaftler oder Wis-

Um so wichtiger ist es, daß der Staat sich zu solchen Leistungen bekennt und damit das Vertrauen der kulturtragenden Schichten gewinnt.

Der Staat hat sich heute in den meisten Ländern der Welt rückhaltlos hinter Wissenschaft und Forschung gestellt. Warum sollte er sich nicht hinter jene schöpferischen Kräfte stellen, die das geistige Antlitz der Menschheit prägen?

Dazu gilt es in erster Linie, das Mißtrauen abzubauen, das zwischen Staat und Künstler herrscht. Dieses Mißtrauen hat im großen und ganzen folgende Wurzeln: Der Künstler sieht sich einer bürokratischen Maschinerie gegenüber. Er ist entweder zu stolz oder zu unbeholfen, sich mit ihr auseinanderzusetzen. Der Künstler fühlt sich unverstanden. Der Funktionär, mit dem er es zu tun hat, sieht die Problematik nicht von der Warte des Künstlers her.

Da es der Verwaltung in ihrer derzeitigen Konzeption oft nicht möglich ist, die künstlerische Qualität zu klassifizieren, werden die Subventionen nicht nach dem künstlerischen Leistungsprinzip, sondern nach sozialen oder demokratischen Gesichtspunkten vergeben. Damit ist dem Mittelmaß Tür und Tor geöffnet. Die zur Kunstförderung vorhandenen Beträge kommen nur zu einem zu geringen Prozentsatz dem Künstler zugute. Ein Großteil fließt zwischengeschalteten Institutionen zu.

Das Bundesministerium für Unterricht wird danach trachten, hier Abhilfe zu schaffen. Ich möchte diese Gelegenheit benützen, um Ihnen einige der Maßnahmen zu nennen, die wir entweder neu oder in Umformung bestehender Einrichtungen zu ergreifen gedenken.

1. Einberufung einer Kommission zur Erarbeitung von Richt-

linien für die Bundeskunstförde-rung. Es soll eine verbindliche Form der Förderung gefunden werden, die dem Leistungsprinzip Priorität einräumt und eine klare Trennung zwischen künstlerischer und sozialer Förderungswürdigkeit erlaubt.

2. Das Bundesministerium für Unterricht wird Stipendienaktionen auf den Gebieten Architektur, bildende Kunst, Film, Literatur und Musik ins Leben rufen beziehungsweise bereits angelaufene entsprechend den finanziellen Möglichkeiten wesentlich erweitern.

Dabei sollen folgende Stipendienkategorien geschaffen werden: Nachwuchsstipendien: Das Ziel dieser Stipendien mit einjähriger Laufzeit soll es sein, dem begabten künstlerischen Nachwuchs die Gelegenheit zu geben, erstmalig an die Öffentlichkeit zu treten. Im Falle eines Autors wäre also das Ziel die erste Buchveröffentlichung, im Falle eines bildenden Künstlers die erste Ausstellung, im Falle eines Musikers die erste öffentliche Aufführung einer Komposition. Arbeitsstipendien: Das Ziel dieser Stipendien mit einjähriger Laufzeit soll es sein, einem Künstler, der bereits Beweise seines Könnens erbracht hat, die Fertigstellung eines bestimmten Projektes oder die Verwirklichung eines Arbeitsvorhabens zu ermöglichen. Auslandsstipendien: Auf allen künstlerischen Gebieten ist die Öffnung nach außen und das kritische Verständnis für die Leistungen in anderen Teilen der Welt eine Voraussetzung des eigenen Erfolges. Es soll daher eine Anzahl von Stipendien geschaffen werden, die österreichischen , Künstlern. .Studienaufer^ftajt^ jn jenen Ländern, in .denen Österreich ein Kulturinstitut unterhält, ermöglichen.

3. Das Bundesminiisterium für Unterricht wird durch eine größere Zahl von Preisen und durch ein System von Prämien trachten, das kulturelle Leben zu fermentieren und zu stimulieren.

4. Das Bundesministerium für Unterricht wird fünf Beiräte, und zwar je einen für den Bereich Architektur, Bildende Kunst, Film, Literatur und Musik einsetzen, die über die Vergabe der genannten Stipendien, Preise und Prämien zu entscheiden haben. Die Zuerkennung erfolgt nicht bloß auf Grund eingelangter Bewerbungen, sondern auch durch Initiativanträge von Mitgliedern der Beiräte. Diese Mitglieder werden vom Bundesminister für Unterricht auf die Dauer von zwei Jahren ernannt. Es wird sich dabei durchwegs um Persönlichkeiten mit hervorragenden Fachkenntnissen handeln. Mit Hilfe der Beiräte will das Bundesministerium für Unterricht in einen möglichst engen und unbürokratischen Kontakt mit den kulturtragenden Kreisen unseres Landes treten.

Ich halte den Gedanken, der diesem Kulturgespräch zugrunde liegt, für außerordentlich fruchtbar. Ich bin nicht nur bereit, die von Ihnen im Rahmen der diesjährigen Tagung erarbeiteten Vorschläge einer ernsthaften Prüfung zu unterziehen und zu ihrer Verwirklichung soviel wie möglich beizutragen, ich möchte sogar einen Schritt weitergehen und anregen, ein solches offizielles Gespräch einmal jährlich in einer österreichischen Landeshauptstadt durchzuführen. Ich bin überzeugt, daß es uns in gemeinsamer und koordinierter Arbeit gelingen wird, Österreichs kulturelles Kapital — das zweifellos außerordentlich groß ist — zu aktivieren und im In- und Ausland zu voller Geltung zu bringen.

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