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Landespolitik in Bewegung

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Der Eintritt Dipl.-Ing. Hartmanns in die niederösterreichische Regionalregierung hat ohne Zweifel mehr Dynamik in die niiederösterreichi- sche Landespolitik gebracht. Der Landeshauptmann hat gezeigt, daß er auch unpopuläre Maßnahmen nicht scheut, wenn er davon überzeugt ist, daß sie dem Allgemeinwohl dienlich sind. Diesen Weg ging der Landeshauptmann, als er — ungeachtet aller politischen Bedenken und lokalpatriotischen Widerstände — das heiße Eisen der Gemeindezusammenlegungen schmiedete, als er seine Zustimmung zur Auflösung einer Reihe von Zwergschulen erteilte und „grünes Lieht“ für den Fernsehschilling gab.

Dipl.-Ing. Hartmann kann bereits die ersten Früchte seiner Politik einheimsen: In so mancher Gemeinde, in der eine einschneidende strukturelle Maßnahme eingeleitet wurde, ist die Kritik der Anerkennung und der Dankbarkeit gewichen.

Die Bildungsgesellschaft von morgen wird allerdings noch manche harte strukturpolitische Entscheidung und gewissenhafte Überlegungen erfordern. So hat dieser Tage die Studienkommission für die Reorganisation des Pflichtschulwesens in Niederösterreich vorgeschlagen, innerhalb der nächsten zehn Jahre nicht weniger als 455 (!) Zwergschulen aufzulösen. Schon im nächsten Schuljahr sollen 147 ein- und zweiklassige Schulen stillgelegt werden (derzeit gibt es in Niederösterreich 1169 Volksschulen). Eine ähnliche Zersplitterung weist trotz aller Bemühungen noch immer die niederösterreichische Gemeindestruktur auf.

Niederösterreich wird also auch in Hinkunft viel Dynamik in der Landespolitik brauchen. Allerdings kostet die Strukturverbesserung auch viel Geld (allein die Reorganisationsmaßnahmen auf dem Schulsektor werden auf 1,8 Milliarden Schilling geschätzt).

Der Landeshauptmann hat erst kürzlich in einer Rundfunkrede die Wünsche Niederösterreichs an den Bund zusammengefaßt. Dabei hat er das Elfpunkteprogramm der Bundesregierung apostrophiert, das auch Maßnahmen für eine regionale Strukturpolitik unter Bedachtnahme auf die in ihrer wirtschaftlichen Entwicklung zurückgebliebenen Gebiete vorsieht. „Dieser Punkt interessiert besonders uns Niederösterreicher, weil wir uns davon für unsere Grenzgebiete gewisse Vorteile erwarten." Vehement forderte Dipl.-Ing. Hartmann einen Gewerbesteuerausgleich für Niederösterreich, „der auf die tägliche Völkerwanderung der Pendler Rücksicht nimmt“, sowie die Abschaffung der ungerechten Fernverkehrssteuer.

Wieweit werden die Wünsche des Landeshauptmannes vom Bund erfüllt werden? Man erwartet in Niederösterreich, daß sich der Schritt von der weithin erstarrten Koalition zur Konfrontation auf Landesebene nicht negativ auswirken wird. Im Gegenteil. Hat man nicht bisher immer wieder auf dem „Barometerstand“ in Wien Rücksicht nehmen müssen? Die räumliche Nähe mit der Bundeshauptstadt und die enge personelle Verknüpfung mit der Bundespolitik.

Neue Schlachtreihe in der SPÖ?

Auch der Rückzug namhafter niederösterreichischer Politiker der linken Reichshälfte — Kreisky, Rösch, Czettel — von der Regierungsfront in die blau-gelbe Etappe wird nicht ohne Auswirkungen auf die Politik im Lande unter der Enns bleiben. Dr. Kreisky war immerhin der meistbeschäftigte — und wohl auch der zugkräftigste — Mairedner der Sozialisten. Über die politische Zukunft des Exaußenministers, zu dessen Popularität der Bauernbünd- ler Scheibenreif noch einiges bege- tragen hat, stellt man hierzulande die tollsten Vermutungen an: Der Bogen der Gerüchte spannt sich vom UNO-Generalsekretär, Diplomat bei einer internationalen Organisation bis zum Landeshauptmannstellvertreter. Eine erste Entscheidung, ob sich Dr. Kreisky in Niederösterreich stärker arrangieren wird, fällt ohne Zweifel beim kommenden SP-Par- teitag in Wiener Neustadt.

Allgemein erwartet man sich, daß

Anfang Juni bei der Tagung des höchsten Panteigremiums der SPÖ Niederösterreich die Marschroute für die weitere Arbeit auf Landesebene gesteckt werden wird. Eng damit verbunden ist eine Reihe wichtiger personeller Entscheidungen. Wahrscheinlich wird Nationalrat außer Dienst Ernst Winkler — er ist bereits 67 Jahre — seine Funktion als Obmann der SPÖ Niederösterreich zur Verfügung stellen. Es scheint als ziemlich sicher, daß Dr. Kreisky — falls er einwilligt — die Nachfolge von Winkler antreten wird. (Beim letzten Parteitag, 1964 in St. Pölten, hatte sich Winkler auf Drängen seiner Freunde entschlossen, die Funktion des Parteiobmannes noch für eine Periode anzunehmen.)

Wer kommt nach Tschadek?

Sollte Dr. Kreisky, aus welchen Gründen immer, ablehnen, so wird die Qual der Wahl schwerer sein. Als potentielle Anwärter gelten dann: Arbeiterkammerpräsident

Nationalrat Horr, der Gewerkschaf-

ter Nationalrat Konir, Staatssekretär außer Dienst Landtagsabgeordneter Rösch und Minister außer Dienst Czettel.

Die personellen Entscheidungen beim SPÖ-Landesparteitag werden vermutlich sogar bis ins Niederösterreichische Landhaus reichen. Die Karriere von Dr. Tschadek, der — ehemals Justizminister — nun seinen politischen Lebensabend als Landeshauptmannstellvertreter verbringt, geht seinem Ende entgegen. Dr. Tschadek, ein überzeugter Katholik, galt stets als ein Mann des Ausgleiches und der Zusammenarbeit. Ob sein Abgang, der — wenn nicht früher — so auf jeden Fall mit dem Auslaufen dieser Landtagsperiode erfolgen wird, zu einer Verbesserung des politischen Klimas der beiden großen Parteien im Landhaus führen wird, bleibt abzuwarten. Der nachrückenden SPÖ-Generation — wir denken hier an SP-Landespartei- sekretär Marsch sowie an Abgeordneten Rösch und Genossen — war Tschadek oft zu konziliant.

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