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Landschulen im Ausgedinge

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Hier wird unter Landschule das verstanden, was man ohne künstliche Konstruktion darunter seit eh und je gemeint hat: die weniggegliederte Volksschule mit Oberstufe im ländlichen Milieu. Früher konnte es über das Zutreffen des einen oder anderen Merkmales noch Diskussionen geben, die Entwicklung der letzten zwei Jahrzehnte hat eine ernüchternde Vereinfachung gebracht, denn Oberstufen sowie zwei und mehrstufige Klassen gibt es nur mehr im ländlichen Raum, wobei man diesen aber wesentlich größer annehmen muß als das Verbreitungsgebiet der erwähnten Schulorganisationsformen. Die hier gemeinte Landschule wird immer mehr auf die hauptschulfer- nen Gebiete eingeengt, ein noch nicht zum Abschluß gekommener Prozeß, der zunächst den Verlust der Volks- schuloberstufen bewirkt und gleichzeitig oder fortschreitend auf die Beseitigung der mehrstufigen, aber auch der zweistufigen Klassen zielt.

Unter der Parole der Leistungssteigerung und der Beseitigung des Bildungsgefälles zwischen Stadt und Land wurde die ohnehin beachtliche

Änderung der Schulstruktur im letzten Jahrzehnt mit gezielten Maßnahmen so verstärkt, daß der Anieji der Volksschuloberstufen an der Schülerzahl der 5. bis 8. Schulstufen auf ein Fünftel ziurückgegangen ist und die Zahl der zwei- und mehrstufigen Klassen nicht mehr ein Drittel der Volksschulklassen ausmacht Alle Beobachtungen lassen darauf schließen, daß diese Anteile in den siebziger Jahren nahezu halbiert werden dürften. Damit wird dann aber eine Situation erreicht sein, die eine radikale Lösung nahelegt. Denn auch der gesellschaftspolitische Ruf nach gleichen Bildungschancen, wird

— wie übrigens schon jetzt und völlig zurecht — vor allem für den ländlichen Raum verstärkt werden.

Kein Bildungsgefälle Stadt — Land

Die Zahl und das Gewicht der Stimmen, die der ländlichen Lebenswelt Eigenständigkeit, besondere Gestalt und Gehalt gegenüber dem städtischindustriellen Raum bestreiten, nimmt zu.

Eine massive Kritik wendet sich beispielsweise gegen die spezielle Land-

schulpädagogik von der Art, daß das Bildungsziel etwa auf das Verbleiben im ländlich-bäuerlichen Bereich abzielen dürfe, auf eine Einengung der Lehraufgaben auf „lebenspraktische Bedürfnisse“, also auf bildungsprak- tische Genügsamkeit und dergleichen. Mit Recht wird die Gewinnung der Gleichheit der Bildungschancen, die Erziehung eines mündigen wie beruflich mobilen Menschen, die Überwindung der vielberufenen Milieu- Sperre gefordert, im ganzen also eine Ausbildung, die mit dem allgemeinen Niveau Schritt hält. Hinter der Lösung von der Beseitigung des Bil- dungsgefälles zwischen Stadt und Land und den gleichen Bildungsmöglichkeiten für weichende Bauernkinder, die bei uns schon allgemein zu hören und au lesen sind, stehen eigentlich dieselben Auffassungen und Zielvorstellungen.

Kein Wunder also, daß man weder die innere noch die äußere Landschulreform — verstanden nach der Terminologie der fünfziger Jahre — für ausreichend zur Lösung der Bildungsprobleme auch des Landes hält, sondern nach einer strukturel len verlangt (G. M. Rückriem). Hinter dieser Forderung stehen selbstverständlich gesamtschulische Vorstellungen und Überlegungen. Wieweit immer solche in die neuen Bii- dungSkonizepte Österreichs einfließen

— aus den bisherigen Veröffentlichungen läßt sich noch kein sicheres Bild gewinnen —, fest steht aber schon jetzt, daß darin Volksschuloberstufen und mehrstufige Klassen nur eine Ausnahmerolle spielen können.

„Schwierig und schmerzlich“

Ist also die letzte Stunde der österreichischen Landschule angebrochen oder soll man mit einem letzten Aufgebot der Entwicklung eine andere Wendung geben; soll man in übereilte Neuregelungen flüchten oder mit Trutz und Weltschmerz sich auf eine „unbesiegliche Sache" verlassen; soll man Zusammenstürzen lassen oder einreißen, was in besseren Tagen mit Fleiß und Zuversicht aufgebaut wurde, oder in wilder Entschlossenheit jedes Stüde landscbulpädago- gischen Bodens verteidigen? Keineswegs, wir sollten uns vielmehr ein Beispiel an dem gewaltigen Ringen der Landwirtschaft um deren Strukturverbesserung und Anpassung an die Erfordernisse unserer Zeit nehmen.

Sinkende Zahl — erhöhte Hilfe

Es werden also Landschulen noch lange bestehen, sie werden nur weniger und einsamer werden. Um so mehr bedürfen sie besonderer Aufmerksamkeit und Betreuung. Lehrer bildung und Lehrerfortbildung haben diesem Umstand durch flexible Lösungen und übergreifende Zusammenarbeit so Rechnung zu tragen, daß die unvermeidlichen Schwierigkeiten verringert werden. Die aus den Jahren einer forcierten Landschulreform bestehenden Einrichtungen und Maßnahmen sind nötiger denn je, weil zwar die Landschulen weniger, aber ihre Probleme mehr werden und die Arbeit der nicht mehr in gleichartiger Nachbarschaft arbeitenden Lehrer schwieriger wird. Diese Arbeit wird man mehr als bisher materiell, nämlich vor allem auch finanziell würdigen und endlich durch — bisher leider vergeblich geforderte — differenzierte Klassen- schiülerzahlen entlasten müssen. Wegen der bescheidenen Finanzkraft der Schulerhalter wird man sich entschließen müssen, zur Ausstattung von Schulen und Schülern mit — weil speziellen — verhältnismäßig teureren Unterrichtsmitteln angemessen beizutragen. Man wird einfach zur Kenntnis zu nehmen haben, daß je mehr die Zahl der Landschulen sinkt, die Betreuungs- und Hilfsmaßnahmen für die einzelnen Schul01 erhöht werden müssen.

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